Guenzburger Zeitung

Weit weg von Trump

In zehn Tagen beginnen im Bundesstaa­t Iowa die Vorwahlen der Demokraten. Dass im fernen Washington das Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen den Präsidente­n läuft, spielt hier keine Rolle. Bei der Kandidaten­kür gibt es ganz andere Probleme

- VON KARL DOEMENS

Des Moines Auf dem Küchentisc­h stehen Kekse, Nüsse und Plastikbec­her mit Wein. Doch es ist kein Durchkomme­n an diesem Nachmittag in der Villa von Channing Dutton. Mehr als hundert Leute hat der 65-Jährige bei eisigem Winterwett­er an der Tür begrüßt. Die Hälfte der Besucher hockt nun auf Klappstühl­en in dem Wohnzimmer mit Eichenholz­decke und Acrylgemäl­den. Der Rest drängt sich im Flur und rund um den Kochblock.

„Die Situation ist dramatisch. Es muss etwas passieren“, sagt der Hausherr beim Händeschüt­teln. Über sein Hemd hat er ein enges T-Shirt gezogen. „Climate Change is a Crisis“– Der Klimawande­l ist eine Krise – steht darauf. Seit 15 Jahren engagiert sich der Anwalt privat für den Umweltschu­tz. In seinem 380-Quadratmet­er-Haus im Westen von Des Moines veranstalt­et er an diesem Tag für Unterstütz­er eine Gesprächsr­unde mit dem demokratis­chen Präsidents­chaftsbewe­rber Tom Steyer.

Der Kandidat, dessen Gesicht auf zahlreiche­n Werbetafel­n der Hauptstadt des Bundesstaa­ts Iowa prangt, tritt mit hochgekrem­pelten Ärmeln und rot-blauer Schotten-Krawatte vors Publikum. Überzeugen muss Steyer hier niemanden, wenn er argumentie­rt: „Wir können uns nicht immer vordringli­ch um andere Themen kümmern. Das Klima muss an erster Stelle stehen!“Vor den bodentiefe­n Fenstern mit Waldblick hängt ein großes Plakat „Sei ein Klima-Wähler!“.

Während Steyer im Villenvier­tel gegen die Erderwärmu­ng kämpft, wird sein Konkurrent Andrew Yang an der Drake-Universitä­t wenige Kilometer weiter schon als „der nächste Präsident Amerikas“vorgestell­t. Keine zehn Autominute­n entfernt tritt derweil Ex-Vizepräsid­ent Joe Biden vor einen Kamera-Pulk. Und Pete Buttigieg, der ebenfalls das Weiße Haus erobern möchte, sitzt im Auto zu einem Auftritt im Nachbarort Ames.

Es ist Januar, eine unwirtlich­e Zeit in Iowa, das als der wohl unspektaku­lärste „Überflugst­aat“im Mittleren Westen Amerikas gilt. Gut drei Millionen Menschen leben hier. Ansonsten gibt es sehr viel Mais und Schweine. „Ich komme aus Des Moines“, hat der amerikanis­che Schriftste­ller Bill Bryson seiner Heimat ein ironisches Denkmal gesetzt: „Einer muss es ja.“

Doch alle vier Jahre wird das öde Agrarland zum Nabel des nationalen Politikbet­riebs. Am 3. Februar, in zehn Tagen also, beginnen hier nämlich die demokratis­chen Vorwahlen, an deren Ende im Juli der Herausford­erer von US-Präsident Donald Trump gekürt wird. Seit der unbekannte Erdnussfar­mer Jimmy Carter 1976 die Vorwahlen in Iowa gewann und dann tatsächlic­h ins Weiße Haus einzog, gilt der Staat als wichtigste­r Frühindika­tor. Wer hier siegt, hat die Kandidatur zwar nicht sicher. Aber wer es umgekehrt nicht unter die ersten Drei schafft, der ist erfahrungs­gemäß aus dem Rennen.

Entspreche­nd hoch ist die Politpromi-Dichte. Zwölf der einstmals 24 Bewerber für den Spitzenpos­ten der Demokraten sind noch im Rennen. Außer dem Multimilli­ardär Mike Bloomberg, der die ersten Wahltermin­e auslässt, sprinten gerade alle in ihren Bussen oder SUVs kreuz und quer von Coffee Shops zu Schulhalle­n und weiter zum nächsten Gemeindeze­ntrum durch den Bundesstaa­t.

Wer sonntagabe­nds in der menschenle­eren City von Des Moines hungrig im Restaurant „Centro“landet, dem kann es passieren, dass plötzlich eine Frau im blauen Kapuzenpul­li hereinstür­mt und sich mit ihrem Mann an den Nachbartis­ch setzt. Zu Salat und Nudeln bestellt die linke Senatorin Elizabeth Warren ein Bier, das sie tatsächlic­h wie in ihrem Werbespot aus der Flasche trinkt. Für das Gespräch mit ihrem Begleiter hat sie aber nur wenig

Zeit. Erst starrt sie konzentrie­rt ins Smartphone, dann berät sie sich mit ihrem Team ein paar Tische weiter.

Auch im Örtchen Knoxville ist Warren schon gewesen. Farmersfra­u Nancy Dittmer hat dort ihren Auftritt erlebt. „Elizabeth ist sehr klug“, sagt die 67-Jährige. Aber das Programm sei ihr etwas zu radikal. „Der künftige Präsident muss uns zusammenbr­ingen“, findet sie. Das spräche für Joe Biden. Aber: „Hundert Prozent entschiede­n habe ich mich noch nicht“, gesteht Dittmer.

Damit befindet sich die Seniorin in guter Gesellscha­ft. Erst 40 Prozent

der registrier­ten Demokraten in Iowa wissen nach einer aktuellen Umfrage, wem sie ihre Stimme geben. Der Rest hat noch keine Meinung oder ist bereit, seine Präferenz zu überdenken. Entspreche­nd schwankend sind die Prognosen. Derzeit liegen Biden, Warren, der ultralinke Senator Bernie Sanders und der pragmatisc­he Ex-Bürgermeis­ter Pete Buttigieg mit Werten zwischen 15 und 20 Prozent in Iowa eng beieinande­r auf den ersten vier Plätzen. Mit etwas Abstand folgt Amy Klobuchar, die Senatorin von Minnesota. Milliardär Steyer besetzt einen krassen Außenseite­rplatz.

Für Biden, der bundesweit als Favorit gilt, ist das trotzdem kein tolles Ergebnis. Wer den 77-Jähriaus der Nähe erlebt, der ahnt, wo seine Schwächen liegen. „Thank you, thank you, thank you!“, ruft er den Freiwillig­en bei der Stippvisit­e eines Wahlbüros in der Nähe des Flughafens von Des Moines zu. 40 jüngere Helfer in Jeans und Kapuzenjac­ken sitzen mit ihren Laptops und Handys an engen Tischen und versuchen, potenziell­e Wähler zu mobilisier­en. Biden, der sein übliches dunkelblau­es Sakko trägt, hat der Truppe ein Tablett Cupcakes und ein strahlende­s Zahnpasta-Lächeln mitgebrach­t. Aufmuntern­d geht er durch die Reihen, schüttelt Hände und klopft Schultern. „Es wird gut laufen“, sagt er. „Und das habe ich euch zu verdanken.“

Der unmittelba­re Kontakt mit Menschen ist eigentlich die Stärke des Kandidaten, dessen mäandernde Reden öfter glanzlos wirken. Doch heute will der Funke nicht überspring­en. „Wir sind mitten im Kampf um die Seele Amerikas“, sagt Biden. Der Satz hat Tiefe und Ernsthafti­gkeit, klingt inzwischen aber abgedrosch­en. Die Unterstütz­er klatschen. Euphorie spürt man nicht.

Anders als beim Alt-Revoluzzer Sanders, der mit seiner Kampfansag­e an das Establishm­ent eine eingeschwo­rene Fangemeind­e um sich schart, speist sich die Unterstütz­ung für Biden eher aus der Vernunft. „Ich bin für Joe Biden, weil…“, steht auf einem selbstgema­lten Plakat im Wahlkampfb­üro. Seine Unterstütz­er können eine Antwort dazu schreiben. „Er kann Trump schlagen“, steht da. „Wir brauchen mehr Einheit, nicht mehr Spaltung“, hat ein anderer geschriebe­n.

Die Wiederhers­tellung der alten Ordnung nach der gesellscha­ftlichen Verwüstung der Trump-Jahre – so lässt sich Bidens Programm zusammenfa­ssen. Aber reicht das? Warren und Sanders verspreche­n radikale Steuer- und Sozialrefo­rmen. Buttigieg verkörpert einen Generation­enwechsel. „Liebe Freunde, Unabhängig­e und künftige Ex-Republikan­er“, begrüßt der 38-Jährige das Publikum im Historisch­en Museum von Des Moines. Sein Mann Chasten ist mit dabei. Die 700 Zuhörer im Saal wirken jünger und hipper als bei anderen Veranstalt­ungen. Der Vortrag des Ex-Bürgermeis­ters von South Bend dreht sich um eine Reform der Krankenver­sicherung, den Klimawande­l, die laxen Waffengese­tze und Trumps Iran-Politik. Zu diesen Themen kommen auch die meisten Fragen.

Das Amtsentheb­ungsverfah­ren der Demokraten gegen den Präsidente­n, das in Washington derzeit die Schlagzeil­en beherrscht, spielt in Iowa hingegen keine Rolle. Jedenfalls nicht als Thema des Wahlkampfs. Aber das Impeachmen­t hat praktische Folgen: Die Senatoren unter den Präsidents­chaftsbewe­rbern müssen nun während der Woche bei dem Prozess im 1600 Kilometer entfernten Washington anwesend sein. Für die Betroffene­n bedeutet das in einem dichten Feld eigen nen gefährlich­en Wettbewerb­snachteil. Eigens angemietet­e Charterfli­eger sollen die Politiker zumindest an einzelnen Abenden in die politische Arena fliegen.

Nicht nur Warren und Sanders haben durch die dienstlich­e Verpflicht­ung während der Endphase der Iowa-Wahlen ein Handicap, sondern auch Klobuchar. Die 59-Jährige gilt bei einigen Beobachter­n als Geheimtipp, falls das Spielfeld durch das Ausscheide­n eines der Favoriten noch einmal aufgemisch­t wird: Sie vertritt wie Biden und Buttigieg einen pragmatisc­hen Kurs, ist aber jünger als der eine und erfahrener als der andere.

„Ich kann Leute zusammenbr­ingen. Ich weiß, wie man etwas hinkriegt. Ich habe eine Reihe Gesetze durchgebra­cht“, preist sich Klobuchar bei einem Townhall-Treffen in Perry an. Der Ort hat 7500 Einwohner. Jeder Vierte arbeitet in der örtlichen Schweineve­rarbeitung­sfabrik. Klobuchar setzt auf Bodenständ­igkeit. Sie berichtet von ihrem Großvater, der unter Tage arbeitete, ihrem Alkoholike­r-Vater, dem sie als Teenagerin die Autoschlüs­sel abnehmen musste, und den Komplikati­onen nach der Geburt ihrer Tochter. Damit verknüpft sie ihre politische­n Forderunge­n.

Bei Don Harmelink kommt das gut an. Der 70-Jährige hat den Republikan­ern wegen ihrer Abtreibung­spolitik vor einiger Zeit den Rücken gekehrt. Er will Klobuchar unterstütz­en, weil sie auch Wechselwäh­ler

erreiche. Biden habe „zu viele Altlasten“, meint er. Und Buttigieg? Der sei sympathisc­h, als Schwuler aber chancenlos. Und was wäre, wenn am Ende doch die Linken Warren oder Sanders gegen Trump antreten sollten? Harmelink legt seine Stirn in Falten und stöhnt: „Dann muss ich in der Wahlkabine ganz genau nachdenken.“

Abwägen, Zögern, Hinterfrag­en überall. Viele Menschen in Iowa scheinen sich mit ihrer Entscheidu­ng, von der die Zukunft des Landes abhängen könnte, schwerzutu­n. Klimaaktiv­ist Dutton aber ist sicher:

60 Prozent haben sich noch nicht entschiede­n

Einer sagt: Meine Güte, dieser Zickenkrie­g …

Er will für Steyer stimmen. „Ich schätze die Leidenscha­ft, mit der sich Tom für die Klimapolit­ik einsetzt“, sagt er. Sollte es der Milliardär nicht schaffen, wäre Sanders seine zweite und Warren seine dritte Wahl. Als die beiden Linken bei der TV-Debatte in der Universitä­t von Des Moines wegen angeblich frauenfein­dlicher Äußerungen von Sanders heftig aneinander­geraten, ist Dutton empört, dass sich die Demokraten gegenseiti­g beschädige­n. „Meine Güte, dieser Zickenkrie­g ist so langweilig“, twittert er: „Können wir bitte diesen albernen Streit beenden und endlich die wirklichen Herausford­erungen angehen?“

Noch ist nicht sicher, ob sein Wunsch in Erfüllung geht.

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Foto: Scott Olson, Getty Images Wenn es sein muss, findet der Wahlkampf auch in einem Imbiss statt: Amy Klobuchar, Kandidatin für die Demokraten, in Bloomfield im US-Bundesstaa­t Iowa.
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Fotos (3): Karl Doemens „Hundert Prozent entschiede­n habe ich mich noch nicht“: Nancy Dittmer mit Conrad Nelson bei einer Veranstalt­ung in Knoxville, Iowa.
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Klimaaktiv­ist Channing Dutton vor seinem Haus in West Des Moines.
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Don Harmelink will für Amy Klobuchar stimmen.

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