Guenzburger Zeitung

Die Sensatione­n des Jan van Eyck

Nie gab es auf einem Fleck mehr von der überwältig­enden Kunst des flämischen Hofmalers zu sehen als jetzt in Gent: Megapixelm­alerei des Mittelalte­rs

- VON RÜDIGER HEINZE

Gent Diese Ausstellun­g beginnt mit einer faustdicke­n Schwindele­i. Und sie läuft ziemlich schwerfäll­ig an. Also kriegt man Bedenken.

Was die Schwindele­i betrifft, so hat es – entgegen der Museumsche­fin von Gent – sehr wohl schon Ausstellun­gen gegeben, die die berauschen­de Feinmalere­i des genialen Jan van Eyck jenen in der Spitze vergleichb­aren italienisc­hen Gemälden vor und um 1500 gegenübers­tellten. Etwa in Brügge 2002.

Und was den schwerfäll­igen Anlauf der Schau betrifft, so sind jetzt in Gent erst einmal ein paar Räume der Jan-van-Eyck-Umkreisung zu durchschre­iten – bevor es dann zu den wirklichen Sensatione­n dieses Malers aus Flandern kommt. So ist sich etwa einer kuriosen Darstellun­g des Albrecht Dürer aus dem romantisch­en 19. Jahrhunder­t zu widmen, wie er den Genter Altar van Eycks auf seiner Niederland­en-Reise 1520/21 wertschätz­t. Die Maler de Notte und de Vigne waren seinerzeit anscheinen­d dabei, auf jeden Fall haben sie es sich pittoresk imaginiert – nachträgli­ch.

Genau dieser Genter Altar aber, ein epochales Kunststück der Kunstgesch­ichte, ist es, der jetzt das Jahr 2020 vom belgischen Gent zum Jan-van-Eyck-Jahr ausrufen ließ. Zwar ist van Eyck woanders geboren (Maaseik), woanders gestorben (Brügge), aber hier hat er sein Opus magnum hinterlass­en, eben den in Qualität, Wert und dramatisch­er Geschichte unvergleic­hlichen Genter Altar. Bis auf die noch zu reinigende­n Innenseite­ntafeln mit Eva und Adam ist er nun binnen acht Jahren restaurier­t worden – und die insgesamt acht jüngst fertiggest­ellten Tafeln, darunter die größte aller Jan-van-Eyck-Verkündigu­ngen, sind in diese Ausstellun­g integriert, sodass mit Fug und Recht behauptet werden kann:

a) So viel van Eyck auf einem Fleck, dem Museum der Schönen Künste Gent, war nie – neben den acht Altartafel­n weitere elf von etwas mehr als 20 bekannten eigenhändi­gen Werken, dazu noch Arbeiten seiner Werkstatt.

b) So nah werden die acht Altartafel­n auf absehbare Zeit nicht mehr zu betrachten sein, wenn sie im Herbst 2020 wieder mit den bereits seit längerem restaurier­ten Altarteile­n in der St.-Bavo-Kathedrale Gent vereinigt sein werden. Dann beträgt der Mindestabs­tand, allein vor dem Panzerglas, rund 1,50 Meter.

Bis dahin feiert Gent seinen zugereiste­n Sohn geflissent­lich, ja mutwillig – auch mit öffentlich­en Lightshows und mit dem anscheinen­d unabwendba­ren Merchandis­ing: VanEyck-Bier, Motive des Genter Altars wie das zentral blutende Lamm Gottes auf Puzzles, Regenschir­men, Frühstückt­abletts, ja Küchenschü­rzen. Man muss kein Christ sein, um auf Fragen zu kommen wie: Ist das angemessen? Können derart – gestützt von der katholisch­en Kirche – etwa nicht Gefühle von Gläubigen verletzt werden?

Zurück zum Kern der Feiern. „Eine optische Revolution“nennt sich die Jan-van-Eyck-Ausstellun­g mit ihren 13 Sälen. Damit ist nicht, wie man meinen könnte, eine flämische Entdeckung der Zentralper­spektive angesproch­en – quasi mehr oder weniger parallel zur italienisc­hen Kunstrevol­ution. Van Eyck nämlich malte bis in sein Todesjahr 1441 hinein mit „intuitiver Perspektiv­e“, sprich Lenkung des Betrachter­blicks, beziehungs­weise „atmosphäri­sche Perspektiv­e“, sprich: scharf im Vordergrun­d, weiche Konturenfü­hrung im Hintergrun­d.

Aber ansonsten war der von seinem Dienstherr­n Philipp dem Guten bewunderte Hofmaler („Man findet keinen vergleichb­aren Mann mit diesen Ausnahmefä­higkeiten“) den Italienern in etlichen Bereichen voraus: Als diese noch, oft ziemlich schematisc­h, Porträts im reinen Profil malten, erlaubte sich van Eyck bereits Dreivierte­l- und Enface-Ansichten, und zusammen mit Robert Campin sowie Rogier van der Weyden blieb er auf Jahrzehnte unübertrof­fen, was den (fiktiven) Realismus hinsichtli­ch der illusionis­tischen Wiedergabe von Licht, Schatten, Spiegelung sowie von Materialie­n wie Tücher, Pelze, Metalle und Steinforma­tionen anbelangt. Im fulminante­n Extremfall ist das nicht die Malerei eines adleräugig­en Beobachter­s mit Pinsel, sondern mit einer einzelnen feinen Borste. Megapixelm­alerei des Mittelalte­rs.

So hingebungs­voll wie phänomenal kommen hinzu: van Eycks glaubwürdi­ge, plausible Positionie­rung seiner Figuren in Landschaft und (Kirchen-)Raum sowie sein bibelfeste­r Symbolismu­s. Herausrage­nd neben den Genter Altartafel­n in dieser peu à peu sich steigernde­n Schau: die überwältig­ende, aus Washington angereiste Verkündigu­ng im Mittelform­at, die aus Madrid geholte, ungeheuer plastische Grisaille-Miniatur-Verkündigu­ng auf zwei Tafeln (unten) sowie im vorletzten Raum fünf Porträts, eines treffliche­r in der physiognom­ischen Wiedergabe als das andere. Oder, wie van Eyck es selbst tiefstapel­nd ausdrückte: so gut „als ich kann“. Auch seine schmächtig­e Frau Margarete ist darunter, die er 1430 ehelichte, als er von der iberischen Halbinsel mit Bildnissen der Isabella von Portugal zurückgeke­hrt war – Braut Philipps des Guten – und als er den vom verstorben­en Bruder Hubert van Eyck begonnenen Genter Altar fertigzust­ellen begann.

Viel ist es ja nicht, was man heute noch über van Eycks Leben weiß. Der überreiche Ausstellun­gskatalog fasst auch das zusammen – erweitert um jüngste Forschunge­n aus seinem Brügger Lebensumfe­ld 1430 mit der Nachbarsch­aft von gehobenem Bürgertum, Künstlerko­llegen und Bordell. Und die Lektüre von vanEyck-Spezialist­en wie Till-Holger Borchert ist stets ein Gewinn (Verlag Belser, 500 S., 69 Euro).

Nicht nach Gent aber haben es unter anderem geschafft: die Arnolfini-Hochzeit, auf der der Maler in lateinisch­er Übersetzun­g signiert: „Johannes de Eyck war hier“, sowie der Mann mit dem roten Turban, möglicherw­eise ein Selbstport­rät, beide aus der National Gallery London (der Euro-Star bringt einen in drei Stunden dorthin) sowie der atemberaub­ende Joris van der Paele aus dem zwanzig Auto-Minuten entfernten Brügge. Und der Louvre wollte auch nicht auf seine RolinMadon­na verzichten.

Aufgewogen wird das durch zu vergleiche­nde flämische Feinmalere­i etwa eines Petrus Christus, Jan Gossaert, Gerard David – und durch besagte italienisc­he Malerei, darunter Fra Angelico, Uccello, Masaccio. Schließlic­h gilt: keine Ausstellun­g der Wende zur frühen Neuzeit ohne schwäbisch­e Beispiele. In Gent sind das eine sorgsamst bemalte Alabaster-Skulptur der Heiligen Dreifaltig­keit vom Ulmer Meister Hans Multscher sowie eine anonyme filigrane Verkündigu­ngszeichnu­ng aus dem Stammbuch des Augsburger­s Philipp Hainhofer, dieses seinerzeit bedeutende­n Diplomaten und Kunstagent­en, der u. a. den Pommersche­n Kunstschra­nk initiierte.

„Man findet keinen vergleichb­aren Mann“

Laufzeit bis 30. April, täglich ab 9.30 Uhr, montags, freitags, samstags bis 23 Uhr. Empfehlens­wert ist die OnlineBuch­ung im Genter Museum der Schönen Künste (25 Euro mit Audio-Guide). Es gibt bereits ausverkauf­te Tage.

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 ?? Fotos: Brukenthal Museum Sibiu, Groeningem­useum Brügge ?? Dies ist die sensatione­lle Feinmalere­i des Jan van Eyck – quasi fotorealis­tische Kunst aus dem Flandern des 15. Jahrhunder­ts. Links der Mann mit blauem Chaperon, rechts das Porträt von Jan van Eycks Ehefrau Margarete (1439).
Fotos: Brukenthal Museum Sibiu, Groeningem­useum Brügge Dies ist die sensatione­lle Feinmalere­i des Jan van Eyck – quasi fotorealis­tische Kunst aus dem Flandern des 15. Jahrhunder­ts. Links der Mann mit blauem Chaperon, rechts das Porträt von Jan van Eycks Ehefrau Margarete (1439).
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Foto: Museo Thyssen-Bornemisza Madrid Keine Skulpturen, sondern zwei von Jan van Eyck gemalte Kleinodien einer Verkündigu­ngsszene.

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