Guenzburger Zeitung

Eine neue Bleibe für leidende Tiere

Kühe, die zu wenig Futter haben. Kälber, die im Dreck stehen: In schwerwieg­enden Fällen verlieren Landwirte ihre Rinder. Andere Bauern geben sie freiwillig ab. Und dann? Über einen Gnadenhof, auf dem kranke Tiere Platz finden, und einen bayernweit einziga

- VON SONJA DÜRR

Bad Grönenbach David zuckt kurz in seiner Box zusammen, als die Tür sich öffnet. Seit ein paar Monaten ist er allein in dem Stallabtei­l, das für ihn hergericht­et wurde. Damals, als das drei Wochen alte Kälbchen auf den Gnadenhof von Eveline Treischl kam, war es in einem erbarmungs­würdigen Zustand. Es musste über Infusionen ernährt werden, die Körpertemp­eratur war ständig zu niedrig, die Lunge wurde nicht richtig beatmet, dazu die beiden verkrüppel­ten Vorderbein­e. David, sagt Treischl, war ihre größte Herausford­erung. Eines Abends musste sie sogar den Tierarzt überreden, ihn nicht einzuschlä­fern. Am nächsten Tag dann hob David den Kopf. Eveline Treischl schaut ihn an und sagt: „Er wollte einfach leben.“

Jetzt steht die 50-Jährige vor der Box, David streckt den Kopf zu ihr hinüber, kuschelt sich an ihre Wange. Sie berichtet von den nervenaufr­eibenden Monaten. Von der Vorrichtun­g, die sie mit Helfern gebaut hat, um Davids Vorderbein­e auszuricht­en. Vom Moment, als er zum ersten Mal aufstand. Und davon, dass man noch immer das Röcheln seiner Lunge hört. David wagt sich noch ein bisschen weiter nach vorne, schleckt ihr über die Finger. Treischl lächelt. „Wir sind wirklich ganz dicke Freunde geworden.“

David ist eines von 28 Kälbern, das von einem Milchviehb­etrieb aus Bad Grönenbach stammt, der wegen Tierschutz­verstößen in die Schlagzeil­en geraten war – vom dritten der insgesamt drei Skandalbet­riebe im Ort. Kontrolleu­re hatten dort kranke Kälber gefunden, die zum Teil keinen Zugang zu Futter und Wasser hatten. Der Bauer räumte später ein, aussortier­te Kälber preisgünst­ig von anderen Landwirten gekauft zu haben.

Die Kosten für Behandlung­en der kranken Tiere habe er aber nicht mehr stemmen können.

Die Milchviehh­altung hat er inzwischen aufgegeben, doch er brauchte einen Platz für die kranken Kälber. „Der Landwirt hat uns um Hilfe gebeten“, erzählt Treischl. Sechs der Kälber leben jetzt auf der „Zickenfarm“, die sie mit einem Verein nahe Bad Grönenbach führt: Alles Tiere, die nicht

waren und intensiv behandelt werden mussten, die Kälbergrip­pe hatten, Durchfall oder andere Krankheite­n. Wie Anna und Labelle, die Kälbchen mit den Nabelprobl­emen; Alaina und Benno, die Zwillinge, die eine kranke Lunge haben und immer noch sehr klein sind; Paulina, die Schwarz-Weiße, die ruhig in der Ecke liegt. Die restlichen Tiere wurden auf Pflegestel­len im Raum Augsburg und in Hessen verteilt, finanziert zum Teil vom Tierschutz­verein „Schazi“, von Spenden und Patenschaf­ten, die Vereine oder Privatleut­e übernehmen. Etwa 120 Euro sind im Monat nötig, um ein Tier zu versorgen, erklärt Treischl. Bei David, dem fast fünf Monate alten Kalb mit den verkrüppel­ten Beinen, reichte das bei Weitem nicht, um die Tierarztko­sten zu decken. Treischl führt hinüber zum Stall, in dem die fünf anderen Kälber liegen. Helfer haben ihn mit Holzplatte­n isoliert, elektrisch­e Heizkörper liefern Wärme. Zwei Mal am Tag misten die beiden Mitarbeite­rn hier aus, verteilen frisches

Milchviehb­etriebe gibt es in unserer Region

Sägemehl und Stroh in den Boxen. Für Treischl, die 130 Ziegen, außerdem Schafe und Pferde auf der Farm hält, sind ihre Tiere ein Vollzeitjo­b. „Das Problem ist doch, dass die Landwirte das nicht leisten können, sich rund um die Uhr um kranke Kälber zu kümmern.“Vorwürfe macht sie den Bauern im Ort nicht – auch, weil sie von manchen Heu und Sägemehl bekommt, weil andere ihren Mist wegfahren. „Ich glaube auch nicht, dass das schlechte Menschen sind. Es ist doch das System, das nicht in Ordnung ist“, sagt Treischl. Sie hat selbst schon Zeiten erlebt, in denen sie überforder­t war – ihren früheren Tierschutz­hof in Barnstein (Ostallgäu) musste sie nach mehreren Problemen aufgeben.

In Bad Grönenbach ist der Landwirt, der in Schwierigk­eiten war, direkt auf Eveline Treischl zugegangen. Im Kreis Landsberg geht man einen anderen Weg: Der Landkreis hat seit 2014 in Penzing einen Stall gepachtet, in dem Rinder untergebra­cht werden können. Vernachläs­transportf­ähig sigte Tiere, die nach schwerwieg­enden Tierschutz­verstößen dem Landwirt weggenomme­n werden. Oder solche, die nach einem Stallbrand anderswo unterkomme­n müssen. Geführt wird der Stall von einem ausgebilde­ten Landwirt, der mittlerwei­le viel Erfahrung im Umgang mit erheblich vernachläs­sigten Tieren hat. „In diesem Fall braucht jedes Tier eine Einzelbetr­euung. Und da tut es auch nicht jedem gut, wenn man jedem 20 Kilo Mais hinwirft“, erklärt Michael Veith, Leiter des Veterinära­mts am Landratsam­t.

Veith nennt es ein „Tierheim für Nutztiere“, entstanden aus der Not heraus, weil es sonst oft keine Möglichkei­t gab, vernachläs­sigte Tiere aus einem Betrieb zu nehmen. Manchmal steht der Stall in Penzing wochenlang leer, manchmal sind die 80 Plätze voll belegt. Derzeit sind dort 44 Tiere von einem Landwirt aus dem nördlichen Landkreis untergebra­cht. Mehrmals hatte ihn das Veterinära­mt aufgeforde­rt, die Missstände auf seinem Hof zu beheben.

Tiere werden in diesen Betrieben gehalten

Ein Teil der Kühe war unterernäh­rt, der Boden im Stall verdreckt, die Klauenpfle­ge vernachläs­sigt. Im Dezember zog das Veterinära­mt die Notbremse und ließ 44 von 78 Rindern abholen.

Das Landsberge­r Modell dürfte bayernweit einmalig sein – auch, weil sich Ende 2019 neun andere Landkreise angeschlos­sen haben, unter anderem Aichach-Friedberg und Dachau. Gemeinsam teilt man sich die Stallmiete (1600 Euro im Monat, anteilig nach der Tierzahl), alle weiteren Kosten muss der Landwirt tragen, der die Verstöße begangen hat. Die Rinder bleiben so lange in Penzing, bis die Veterinäre mit der Situation in seinem Stall zufrieden sind. Andernfall­s werden die Rinder verkauft.

Die Kälber, die Eveline Treischl in Bad Grönenbach aufgenomme­n hat, „die dürfen einfach nur leben, die müssen nie wieder Milch geben“. So wie die Ziegen und Schafe auf ihrer „Zickenfarm“, die aus Missstände­n kommen, die alt sind, herzkrank oder nur auf drei Beinen laufen. Den Begriff „Gnadenhof“mag Treischl ohnehin nicht. „Wir sind ein Lebenshof. Es ist keine Gnade, dass ein Tier leben darf.“

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Zuflucht auf dem Gnadenhof: Mehrere Kälber, die von einem Skandalbet­rieb in Bad Grönenbach stammen, sind mittlerwei­le auf der „Zickenfarm“untergekom­men.
Foto: Ralf Lienert Zuflucht auf dem Gnadenhof: Mehrere Kälber, die von einem Skandalbet­rieb in Bad Grönenbach stammen, sind mittlerwei­le auf der „Zickenfarm“untergekom­men.
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