Für Haltung gibt es keine Punkte
Die Norddeutschen halten an Trainer Florian Kohfeldt fest, obwohl objektiv wenig Argumente für ihn sprechen. In den kommenden Wochen aber könnte sich die Stimmung ändern
Augsburg Jetzt hat es Florian Kohfeldt doch noch gemacht. Der Mann, der von BlutschweißtränenRhetorik wenig hält und bisher im Abstiegskampf den Eindruck jedweden Aktionismus vermied, greift in die Kiste der Erlebnispädagogik. Statt sich in heimischen Gefilden auf das Auswärtsspiel am Samstag in Leipzig vorzubereiten (15.30 Uhr, Sky), bezog er mit seinem Team am Mittwoch ein Kurztrainingslager. Logistischen Gründen folgend, reisten die Bremer nicht auf die Kanaren oder nach Katar – sondern nach Leipzig. Auf der Anlage des Regionalligisten BSG Chemie Leipzig versucht Kohfeldt seinen Spielern jene Handlungsweisen angedeihen zu lassen, die den Ligaerhalt wahrscheinlich werden lassen. Am besten schon durch einen Punktgewinn beim Tabellenzweiten RB.
Für die öffentlichkeitswirksam aufrüttelnde Ansprache ans Team haben die Bremer den sonst eher zurückhaltend auftretenden Sportchef Frank Baumann auserkoren. Der kündigte nach dem letztwöchentlichen 0:2 gegen Union Berlin an, dass man die Spieler nun „schärfer anpacken“und „öffentlich anzählen“werde.
Die Bremer sind nun also auch verbal dort angekommen, wo sie laut Tabelle stehen: Im Abstiegskampf. Dabei waren sie doch mit hehren Zielen in die Saison gestartet. Nach Platz acht in der vergangenen Spielzeit wollten die Werderaner diesmal ins internationale Geschäft einziehen. Dazu haben sie immer noch die Möglichkeit. Immerhin stehen die Chancen im Viertelfinale des DFBPokals gegen Eintracht Frankfurt gar nicht so schlecht. Allerdings haben die Bremer aus verständlichen Gründen wenig Lust darauf, ab dem Herbst zwischen Europa League und Sandhausen zu pendeln.
Werder spielt eine miese Runde. Kein Verein kassierte bislang mehr Tore als die 48 der Norddeutschen. Defensive Stabilität zählt seit jeher nicht zur fußballerischen DNA der Bremer. Früher aber brillierten in der Offensive Rudi Völler, Miroslav Klose, Ailton oder wenigstens Max Kruse. Derzeit ist Milot Rashica der einzige Offensivspieler von Format, der Kohfeldt zur Verfügung steht. Claudio Pizarro macht mit 41 Jahren die Erfahrung, dass selbst der sorgsamst gepflegteste Körper irgendwann nicht mehr den Anforderungen des Bundesligafußballs genügt. Der aus Hannover verpflichtete Niclas Füllkrug fällt schon beinahe die gesamte Spielzeit mit einem Kreuzbandriss aus. Überhaupt diese Verletzten. Kein anderer Verein hatte in dieser Saison so viele zu verzeichnen wie die Bremer. In der Endabrechnung erhalten sie deswegen trotzdem keine Ausgleichspunkte. Sie stehen mit 17 Punkten nach 21 Spielen auf dem 17 Tabellenplatz. Eingerahmt vom SC Paderborn und Fortuna Düsseldorf. Beides Vereine, die vor der Saison nicht Europa als Ziel ausgegeben hatten, sondern schlicht das Vermeiden künftiger Duellen mit Osnabrück.
Die beiden Konkurrenten wussten schon vor dem ersten Spieltag um ihre Situation. Während die Paderborner auf kompromisslosen Offensivfußball setzen, haben die Düsseldorfer versucht, mit einem Trainerwechsel bessere Ergebnisse zu provozieren. Die Bremer aber zaudern. Sie selbst würden es als beständiges Handeln bezeichnen.
Bislang weigern sich die Entscheider, den Trainer auszuwechseln. Sie sind überzeugt von seinen fachlichen Fähigkeiten. Dazu wirkt er in seiner Emotionalität authentisch und gilt den Journalisten als zugewandter und rhetorisch überzeugender Gesprächspartner. Fußball ist aber ein Ergebnissport. Für die Haltungsnoten der Funktionäre gibt es keine Zähler.
Nach der Partie in Leipzig folgen Spiele gegen Dortmund und Frankfurt. Haltung kann sich auch einmal ändern.