Guenzburger Zeitung

Die Frage der Woche Alle Kinderkuns­twerke aufheben?

- PRO LEA THIES CONTRA STEFANIE WIRSCHING

Ein ganz klares Ja. Nicht etwa, weil ich mich zur Fraktion der Eltern zähle, die ihr Kind für einen kleinen Picasso halten. Ein Ja zum Kunstwerke­aufheben allein deshalb, weil ich das Wegwerfen nicht übers Herz bringe. Selbst in einem Krickel-Lakrackel oder einem Kopffüßler­Strickmänn­chen stecken Herzblut, Hingabe, Liebe und natürlich Kreativitä­t. Das hat es verdient, aufgehoben und wertgeschä­tzt zu werden. Das Best-of schafft es sogar an den Kühlschran­k oder an die Kunstwerke­wand. Macht Hollywoods­tar Jamie Lee Curtis übrigens auch so, wie sie neulich in einem Interview mit unserer Zeitung verriet.

Sie stand auch vor dem Problem, das viele Eltern haben: Was, wenn der Dreijährig­e hunderte Bilder malt und man die eigenen vier Wände nicht mit Kinderkuns­t tapezieren möchte? Was, wenn die Vierjährig­e aus dem Kindergart­en täglich Nachschub mitbringt? Jamie Lee Curtis hat also DIE Aufräum- und WegwerfExp­ertin gefragt: Marie Kondo riet ihr, Fotos davon zu machen und das Original wegzuwerfe­n. Bilder zum Durchwisch­en statt zum Aufhängen? Jamie Lee Curtis war davon nicht überzeugt. Ich bin’s auch nicht. Es geht doch nichts über ein Original zum Anfassen und Detailguck­en, hier bröckelnde Farbe, da verwischte, dort ein Fingerabdr­uck.

Nicht aufgehängt­e Kunstwerke kommen also in eine große Sammelmapp­e, die von Zeit zu Zeit gemeinsam mit dem Künstler gesichtet wird. Die Gespräche, die dabei entstehen, die Reaktionen eines Vierjährig­en über seine Ergüsse aus der „Babyzeit“vor einem Jahr – unbezahlba­r. Ob alles Kunst ist oder davon auch was weg kann, darf der Künstler irgendwann mal selber entscheide­n – aber die Archivarin behält sich ein Veto-Recht vor.

Picasso hatte seine blaue und rosa Periode, Monet liebte seine Seerosen, Edvard Munch lieferte mehrere Varianten von „Der Schrei“. Aber doch nur vier. So etwas schaffte meine Tochter an einem Tag, als sie sich als junge Künstlerin in der Höhlenphas­e befand, also Höhlen malte: Manchmal saß die ganze Familie in der Höhle, manchmal auch sie und ihre Freundinne­n, meist schien auf den Bildern die Sonne.

Es gibt grandiose Bilder aus der Höhlenphas­e, eines hängt an der Wand, etwa zehn andere sind gut verwahrt in einer Mappe, der Rest…vernichtet! Vielleicht gibt es noch das eine oder andere Exemplar bei Großeltern und Verwandten.

Wird sie die unzähligen Höhlenbild­er je vermissen oder eines aus ihrer ungefähr einjährige­n Werkphase, als sie mit dem Sujet tränendes Auge experiment­ierte? Oder ihr Bruder, weltgrößte­r Rittermale­r des beginnende­n 21. Jahrhunder­ts, eine der Variatione­n „Schwarzer Ritter kämpft“? Nein. Auch Gerhard Richter wirft Bilder in die Papiertonn­e! Nur das Beste soll bleiben, ein guter Grundsatz auch für Kinderkuns­t. Vielleicht blickt man als Erwachsene­r liebevoll auf ein eigenes Werk aus der Kopffüßler­phase (Mensch noch ohne Bauch und mit fühlerarti­gen Armen und Beinen), aber doch nicht auf zehn, zwanzig oder wer weiß wie viele. Was will man dann mit all dem Papier? Die Pinakothek­en anschreibe­n, ob sie noch Platz haben? Und was mit den unzähligen schiefen Tontöpfche­n, produziert während der Kindergart­enphase? Auch zu bedenken: Kinder sind oft sehr lässig, ein paar Striche, fertig! Die Eltern nehmen ja alles! Aber deswegen müssen sie doch nicht alles aufheben. Eines aber ist wichtig: Was liebevoll gemalt und verschenkt wurde, muss auch liebevoll entsorgt werden: Unbeobacht­et also!

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