Die Frage der Woche Alle Kinderkunstwerke aufheben?
Ein ganz klares Ja. Nicht etwa, weil ich mich zur Fraktion der Eltern zähle, die ihr Kind für einen kleinen Picasso halten. Ein Ja zum Kunstwerkeaufheben allein deshalb, weil ich das Wegwerfen nicht übers Herz bringe. Selbst in einem Krickel-Lakrackel oder einem KopffüßlerStrickmännchen stecken Herzblut, Hingabe, Liebe und natürlich Kreativität. Das hat es verdient, aufgehoben und wertgeschätzt zu werden. Das Best-of schafft es sogar an den Kühlschrank oder an die Kunstwerkewand. Macht Hollywoodstar Jamie Lee Curtis übrigens auch so, wie sie neulich in einem Interview mit unserer Zeitung verriet.
Sie stand auch vor dem Problem, das viele Eltern haben: Was, wenn der Dreijährige hunderte Bilder malt und man die eigenen vier Wände nicht mit Kinderkunst tapezieren möchte? Was, wenn die Vierjährige aus dem Kindergarten täglich Nachschub mitbringt? Jamie Lee Curtis hat also DIE Aufräum- und WegwerfExpertin gefragt: Marie Kondo riet ihr, Fotos davon zu machen und das Original wegzuwerfen. Bilder zum Durchwischen statt zum Aufhängen? Jamie Lee Curtis war davon nicht überzeugt. Ich bin’s auch nicht. Es geht doch nichts über ein Original zum Anfassen und Detailgucken, hier bröckelnde Farbe, da verwischte, dort ein Fingerabdruck.
Nicht aufgehängte Kunstwerke kommen also in eine große Sammelmappe, die von Zeit zu Zeit gemeinsam mit dem Künstler gesichtet wird. Die Gespräche, die dabei entstehen, die Reaktionen eines Vierjährigen über seine Ergüsse aus der „Babyzeit“vor einem Jahr – unbezahlbar. Ob alles Kunst ist oder davon auch was weg kann, darf der Künstler irgendwann mal selber entscheiden – aber die Archivarin behält sich ein Veto-Recht vor.
Picasso hatte seine blaue und rosa Periode, Monet liebte seine Seerosen, Edvard Munch lieferte mehrere Varianten von „Der Schrei“. Aber doch nur vier. So etwas schaffte meine Tochter an einem Tag, als sie sich als junge Künstlerin in der Höhlenphase befand, also Höhlen malte: Manchmal saß die ganze Familie in der Höhle, manchmal auch sie und ihre Freundinnen, meist schien auf den Bildern die Sonne.
Es gibt grandiose Bilder aus der Höhlenphase, eines hängt an der Wand, etwa zehn andere sind gut verwahrt in einer Mappe, der Rest…vernichtet! Vielleicht gibt es noch das eine oder andere Exemplar bei Großeltern und Verwandten.
Wird sie die unzähligen Höhlenbilder je vermissen oder eines aus ihrer ungefähr einjährigen Werkphase, als sie mit dem Sujet tränendes Auge experimentierte? Oder ihr Bruder, weltgrößter Rittermaler des beginnenden 21. Jahrhunderts, eine der Variationen „Schwarzer Ritter kämpft“? Nein. Auch Gerhard Richter wirft Bilder in die Papiertonne! Nur das Beste soll bleiben, ein guter Grundsatz auch für Kinderkunst. Vielleicht blickt man als Erwachsener liebevoll auf ein eigenes Werk aus der Kopffüßlerphase (Mensch noch ohne Bauch und mit fühlerartigen Armen und Beinen), aber doch nicht auf zehn, zwanzig oder wer weiß wie viele. Was will man dann mit all dem Papier? Die Pinakotheken anschreiben, ob sie noch Platz haben? Und was mit den unzähligen schiefen Tontöpfchen, produziert während der Kindergartenphase? Auch zu bedenken: Kinder sind oft sehr lässig, ein paar Striche, fertig! Die Eltern nehmen ja alles! Aber deswegen müssen sie doch nicht alles aufheben. Eines aber ist wichtig: Was liebevoll gemalt und verschenkt wurde, muss auch liebevoll entsorgt werden: Unbeobachtet also!