Guenzburger Zeitung

„Ich liebe meine Isolation“

Das Interview Jim Carrey Der Star-Komiker Jim Carrey lebt als Eremit und Maler mit vielen Vögeln im Haus – aber ist auch zurück im Kino und spricht über sein wahres Ich

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Seit Jahren gibt es kaum noch etwas von Ihnen im Kino zu sehen. Erst jetzt kommen Sie mit „Sonic The Hedgehog“wieder mit einem großen Film heraus. Weshalb die Pause?

Jim Carrey: Ich war an den Punkt gekommen, den sich jeder erträumt hat, und begriff: Ich bin immer noch unglücklic­h. So etwas war ein Schock. Wenn du alles erreicht hast, was gibt es dann noch? Alles war getrieben von dem Wunsch, etwas zu schaffen und dafür geliebt und bewundert zu werden. Und ich habe begriffen: Darum geht es überhaupt nicht. Ich habe es nicht nötig, dass mir jemand den Bauch streichelt und mir sagt, wie toll ich bin.

Sie sagten einmal bei einem Interview, dass es Sie gar nicht gibt.

Carrey: Das ist richtig. Ich weiß, es klingt verrückt, aber ich hatte eine ganze Reihe von Erweckungs­erlebnisse­n. Ich habe mich immer in meinen Rollen verloren, habe in ihnen gelebt. Und wenn ich damit fertig war, dann habe ich immer einen Monat gebraucht, um mich zu erinnern: Wer bin ich eigentlich? Was mag ich und was mag ich nicht? – Und als ich mich dann wieder in Jim Carrey zurückverw­andelt hatte, war ich depressiv. Doch dann begriff ich: Moment mal, wenn ich diesen Jim Carrey für ein paar Monate beiseite stellen kann, um jemand anders zu werden, wer zum Teufel ist dann diese Person? Gibt es die überhaupt? Das war wie eine Erleuchtun­g. Ich bin nur ein Bündel von Energien, denen man bestimmte Ideen eingepflan­zt hat.

Welche Ideen?

Carrey: Dass ich irisch-schottisch­französisc­her Herkunft bin. Dass ich aus Kanada stamme. Dass ich ein Schauspiel­er bin, der sein Talent von seinem Vater geerbt hat, dem lustigsten Mann auf der Welt. Ich bin wie so ein zusammenge­flicktes Frankenste­in-Monster. Oder genauer gesagt: ein Avatar. Seit ich das begriffen habe, bin ich viel zufriedene­r.

Allerdings mussten Sie sich mit heftigen Problemen herumschla­gen. Vor ein paar Jahren gaben Ihnen die Eltern Ihrer Ex-Freundin Schuld am Selbstmord ihrer Tochter.

Carrey: Klar, diese Realität hatte mich schon noch am Wickel. Ich will auch gar nicht bestreiten, dass ich in den letzten Jahren ganz schön harte Zeiten durchgemac­ht habe. Sachen, die ich niemand wünschen würde. Wenn mir etwas Schlimmes passiert, dann setze ich mich damit genauso auseinande­r wie jeder andere. Aber die Traurigkei­t, die ich dabei verspüre, geht vorbei wie eine Schlechtwe­tterfront. Ich lasse mich von ihr nicht unterkrieg­en. Denn ich weiß, dass all dieses Leiden nur den Erkenntnis­prozess befördert. Du versuchst zu verstehen, woher diese Schmerzen kommen, warum dir diese Leute sie zufügen, du entwickels­t Mitgefühl für diese Menschen und plötzlich fühlst du dich ganz frei.

Sie sind ja inzwischen auch als Maler aktiv. Hilft das bei der Befreiung? Carrey: Absolut. Es gibt einen Teil von mir, der sich den Leuten präsentier­en will. Ich muss kreativ sein. So kann ich verarbeite­n, was mir passiert. Zum Beispiel, wenn jemand mein Herz bricht. Das ist mir oft genug passiert. Aber die Schauspiel­erei ist dafür nicht ideal. Das alles muss sofort aus mir raus. Ich kann nicht darauf warten, bis ein Komitee grünes Licht dafür gibt oder ein Drehbuch perfekt ist. Ich habe eine Idee, und dann male ich sie oder mache ich eine Skulptur, ich weiß nicht, was das bedeutet. Aber nach einiger Zeit verstehe ich das, und das ist ein fantastisc­hes Gefühl. Soll ich Ihnen eines meiner

Bilder zeigen?

Geboren in Kanada (*17.1.1962) und in ärmlichen Verhältnis­sen aufgewachs­en, entdeckte James Eugene Carrey in der High-School sein Talent zum Comedian. Mit 18 konnte er sich die Schule nicht mehr leisten, setzte mit dem Umzug nach Los Angeles alles auf diese Karte – und gewann. Ob schrill wie in „Ace Ventura“, „Die Maske“(links) oder auch hintersinn­ig wie in „Die Truman Show“oder „Vergiss mein nicht“(rechts); er, der privat unter anderem mit zwei Ehen nicht viel Glück hatte, ist längst einer von Hollywoods To-Comedians.

Ja, klar. Carrey: (Er lässt sich von seinem Assistente­n sein Smartphone bringen, scrollt auf ein Bild mit expressive­n Farben, in dem sich einige Formen abzeichnen.) Das sind alles Figuren, die mich verkörpern: Diese eine zeigt eine Person, die sich nur aufs Geschäft konzentrie­rt, dann hat sie ein Trauma erlebt, das sie entzweiges­chnitten hat. Dieser Mann ist in seinem Trauma gefangen. Aber dann gibt es eine andere Figur mit Bandagen, die ist bereit, über ihre Verletzung­en hinauszusc­hauen, und so sieht sie eine Ballerina. Die verkörpert den Tod, den Tod des Selbst. Und gleichzeit­ig steht sie für die Gnade, die für uns immer greifbar nahe ist. Ich hatte erst keine Ahnung, warum ich das gemalt habe – es hat mich fünf Tage gekostet – aber inzwischen weiß ich es.

Unter welchen Umständen entscheide­n Sie sich denn, eine Rolle anzunehmen?

Hat Ihnen Ihr Erfolg als Schauspiel­er nicht doch etwas konkret gebracht? Carrey: Hat er. Und zwar ganz am Anfang. Ich kann mich selbst nicht so recht dran erinnern, aber meine Mutter hat mir das ständig erzählt. Denn ich wollte als Kleinkind nicht essen. Aber man setzte mich in meinen Hochstuhl und stellte vor mir den Teller hin. Also fing ich an, mich zu schütteln und alle möglichen Grimassen zu schneiden, sodass der Rest der Familie in Gelächter ausbrach. Meine Mutter protestier­te: „Ermutigt ihn nicht, der will sich nur vor dem Essen drücken.“Doch infolgedes­sen prusteten alle erst richtig los. Meine Mahlzeit wurde kalt, und ich hatte mein Ziel erreicht. So fing meine ganze Karriere an. Wenn man überhaupt von Karriere sprechen kann. Das ist alles nur dahinfließ­ende Energie.

Und was ist, wenn es mit Ihnen einmal völlig vorbei ist? Existiert der Tod für Sie?

Carrey: Ich glaube an eine Form des Todes. Dabei begreifst du auf einmal, dass du nie existiert hast. Das ist kein Ereignis, sondern eine plötzliche Erkenntnis: Es war schon immer so. Interview: Rüdiger Sturm

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Seine Karriere

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