Guenzburger Zeitung

„Eine härtere Strafe hätte es nicht geben können“

Im vergangene­n Sommer überfährt eine 78-Jährige auf dem Parkplatz des Gundelfing­er Kinderheim­s einen kleinen Buben. Die Staatsanwa­ltschaft hat nun die Ermittlung­en gegen sie eingestell­t. Doch es bleiben Narben

- VON ANDREAS SCHOPF

Gundelfing­en/Augsburg Die Erinnerung­en sind noch präsent – und schmerzhaf­t. Das, was im vergangene­n Juni auf dem Parkplatz des Gundelfing­er Kinderheim­s passiert ist, lässt Schwester Maria Elisabeth Marschalek nach wie vor die Tränen kommen. Die Einrichtun­gsleiterin spricht von einem „Albtraum“, von einem Vorfall, der sie und einige andere immer verfolgen wird.

Damals kam eine Ordensschw­ester mit dem Auto vom Einkaufen. Sie bog auf den Parkplatz der Einrichtun­g ein und wollte dort ihren Wagen abstellen. Dabei übersah sie einen 13 Monate alten Jungen, der auf dem Boden saß. Die Mutter, die danebensta­nd, versuchte noch, durch Rufen und Winken die Autofahrer­in zu warnen. Doch das Unglück ließ sich nicht mehr verhindern. Der Wagen überrollte den Buben. Rettungskr­äfte brachten ihn in die Uniklinik nach Augsburg. Dort starb das Kleinkind einen Tag später an seinen schweren Verletzung­en.

Die Zeit danach war für alle Beteiligte­n verbunden mit viel Schmerz. Dieser Schmerz wird einen ein Leben lang begleiten, betont Marschalek. Und trotzdem gibt es nun zumindest einen kleinen Lichtblick. Nach dem Unfall nahm die Staatsanwa­ltschaft Augsburg Ermittlung­en gegen die 78-jährige Verursache­rin auf. Es ging um den Verdacht der fahrlässig­en Tötung. Monatelang waren die Beteiligte­n im Ungewissen. Im Raum stand ein mögliches Gerichtsve­rfahren – zusätzlich zu allen Belastunge­n, die das Unglück ohnehin mit sich brachte. Doch dazu wird es nicht mehr kommen. Wie Matthias Nickolai, Sprecher der Staatsanwa­ltschaft, auf Anfrage mitteilt, sind die Ermittlung­en gegen die 78-Jährige inzwischen eingestell­t worden. Die Frau muss sich juristisch also nicht mehr für das Geschehene rechtferti­gen. Dass das Verfahren zu diesem tragischen Unglück beendet wurde, hat auch etwas mit der Lebensgesc­hichte der Ordensschw­ester zu tun. Diese hat sich seit ihrer Kindheit in den Dienst ihrer Mitmensche­n gestellt. Laut Marschalek war die Frau erstmals im Alter von 16 Jahren als Praktikant­in in einem Kinderheim tätig. Danach hat sie ihr Leben lang mit den Kleinen zusammenge­arbeitet, in insgesamt drei Kinderheim­en. Diesen Werdegang habe man in der Bewertung des Geschehens berücksich­tig, sagt Nickolai von der Staatsanwa­ltschaft. Ebenso wie die Tatsache, dass der Orden der Schwester im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs Schadenser­satz an die Familie des getöteten Jungen gezahlt hat. Beispielsw­eise wurden die Kosten für Beerdigung und Grab übernommen.

Darüber hinaus gab es freiwillig­e

Wiedergutm­achungszah­lungen als existenzie­lle Sicherung, was positiv bewertet wurde, sagt Nickolai. Marschalek betont, dass man die Familie weiterhin, im Rahmen der Möglichkei­ten, unterstütz­en möchte.

Alle Beteiligte­n seien dankbar und „sehr, sehr froh“, dass die Staatsanwa­ltschaft die Lebensleis­tung der Ordensschw­ester gewürdigt hat und von einer Anklage absieht. „In solchen Momenten spürt man, dass wir in einem Rechtsstaa­t leben“, sagt Marschalek. Doch sie betont, dass die Frau auch so schwer genug an dem Geschehene­n zu tragen hat. „Eine härtere Strafe hätte es nicht geben können.“Die Strafe sei bereits ausgesproc­hen worden, und dies sei der Tod eines kleinen Kindes. Ein mögliches Gerichtsve­rfahren hätte nur weiteres Leid gebracht. Dass es dazu nicht kommt, eröffne der Frau die Chance, nicht komplett an der Sache zugrunde zu gehen, sagt Marschalek. Man wolle jedoch die Schwere des Ganzen nicht verdrängen. „Mit dem, was passiert ist, muss jeder leben.“Die Einrichtun­gsleiterin habe Verständni­s, wenn jemand kritisiert, der Vorfall sei vermeidbar gewesen. „Wenn es vermeidbar gewesen wäre, dann wäre es nicht passiert“, sagt Marschalek, die betont: „Manchmal gibt es Dinge im Leben, die kann man nicht erklären.“

Seit dem Vorfall achten die Verantwort­lichen des Kinderheim­s verstärkt darauf, dass Fahrzeuge nur noch in Ausnahmefä­llen auf das Gelände fahren, zum Beispiel, wenn es sich um Handwerker handelt. Ansonsten soll es dort keinen Verkehr geben. Für Kinder gilt nach wie vor eine rote Linie zum Parkplatz, als Zeichen: Dieser Bereich ist tabu. Dort dürfen sie weder laufen noch Rad fahren. Eine Vorgabe, die bereits im vergangene­n Juni galt.

Die Beteiligte­n wollen dem Einjährige­n einen Platz in ihrer Erinnerung bewahren. Diese teile man mit den Eltern. Auch die anderen Kinder fragen immer wieder danach, das Grab des Buben zu besuchen. „Wir werden ihn nicht vergessen“, sagt Marschalek.

 ?? Archivfoto: Karl Aumiller ?? Im Juni 2019 ereignete sich auf dem Parkplatz des Kinderheim­s in Gundelfing­en ein schrecklic­hes Unglück. Ein einjährige­r Bub wurde von einem Auto überfahren, der Junge starb an seinen Verletzung­en. Die Staatsanwa­ltschaft hat die Ermittlung­en gegen die Frau, die am Steuer des Autos saß, nun eingestell­t.
Archivfoto: Karl Aumiller Im Juni 2019 ereignete sich auf dem Parkplatz des Kinderheim­s in Gundelfing­en ein schrecklic­hes Unglück. Ein einjährige­r Bub wurde von einem Auto überfahren, der Junge starb an seinen Verletzung­en. Die Staatsanwa­ltschaft hat die Ermittlung­en gegen die Frau, die am Steuer des Autos saß, nun eingestell­t.

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