Die Wut auf die Deutschen wächst
Italien steckt durch das Coronavirus in einer tiefen Krise und fühlt sich von Berlin im Stich gelassen – mal wieder. Die Stimmung im Land ist zunehmend geprägt vom Klischee des „hartherzigen Deutschen“
Rom „Siamo con voi!“, also „Wir sind bei Euch!“– so schallte es am Donnerstag von der letzten Seite der Bild-Zeitung in Richtung Italien. Ganzseitig abgebildet war eine erschöpfte Krankenschwester aus Bergamo, dazu Fotos aus der italienischen Corona-Apokalypse. Im auf Deutsch und Italienisch veröffentlichten Text war von Italien-Sehnsucht, von heimlichem Neid auf die Lockerheit des Südens und von „Antipasti, Farfalle, Tiramisu“die Rede. „Wir fühlen mit euch, weil wir Brüder sind!“, lautete ein Satz, der die Gefühlslage vieler Menschen in Deutschland beschreiben dürfte. Allein, die Botschaft kam nicht an. Am Freitag reagierte der renommierte italienische Corriere della Sera, Stimme des seriösen Italiens. „Heuchlerisch“sei dieser Zuruf.
Die journalistische Dialektik trifft das deutsch-italienische Verhältnis dieser Tage gut. Die Corona-Epidemie und die Frage, welches das richtige Maß an Solidarität in der Krise ist, belasten die Beziehungen wie lange nicht mehr. „Auf solche Zuneigungsbekundungen können wir verzichten“, schrieb der Corriere della Sera, fügte aber versöhnlich hinzu, dass es sich bei Bild ja nicht um Deutschland handele. Denn selbst wenn die Bundesrepublik derzeit Covid-19-Patienten aus Italien aufnimmt – dort erwartet man eher Antworten auf die „Mutter aller Fragen“, die finanzielle Garantien zum Schutz des Marktes und der europäischen Wirtschaft betrifft. Es ist kein unbekanntes Muster für Partnerschaften: Sobald vom Geld die Rede ist, kracht es.
Der Disput begann Anfang März, als die Bundesrepublik in den ersten Tagen der Virusepidemie ein Ausfuhrverbot von Schutzmasken verhängte, das rasch wieder aufgehoben wurde. Auch als Rom mehr Beatmungsgeräte und Ärzte suchte, schickten zuerst China und andere Länder Flugzeuge mit Geräten und Personal – dann auch Russland. Zur Zeit der Landung der ersten deutschen Rettungsflüge für Corona-Patienten in Italien hatte sich das Klischee vom „hartherzigen Deutschen“schon über Wochen festsetzen können. Auch eine auf Italienisch gehaltene Ansprache von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen („Wir sind alle Italiener“) nahm bei vielen Italienern einen schalen Beigeschmack an, seit sich die Staats- und Regierungschefs ausgerechnet wegen des Widerstands von Deutschland, den Niederlanden und Österreichs nicht auf sogenannte Corona-Bonds, also gemeinsame EU-Anleihen zur Finanzierung der Folgen der Epidemie, einigen konnten. „Das hässliche Europa“, titelte die liberale Zeitung La Repubblica am nächsten Tag. An der Bitterkeit war abzulesen, wie stark das Verhältnis beeinträchtigt ist.
Der Bruch entstand nicht dieser Tage. Die Finanzkrise 2008 und die Migrationskrise 2015 beschädigten das Verhältnis, Italien fühlte sich schon damals im Stich gelassen. Die Tatsache, dass auf beiden Seiten längst um einen Kompromiss gerungen wird, kommt in der öffentlichen Meinung zu kurz.
Ökonomisch gesehen dreht sich der Streit um die Frage, ob die Mittel im Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), in der Europäischen Investitionsbank und im EUHaushalt ausreichen, um von der Coronakrise auch wirtschaftlich besonders geschädigte und gefährdete Länder wie Italien oder Spanien zu unterstützen. Oder ob gemeinsame EU-Anleihen mit günstigeren Zinssätzen für die Krisenkandidaten, aber auch mit einer Vergemeinschaftung der Schulden im Ernstfall notwendig seien, wie sie Italien, Spanien, Frankreich und weitere fünf Länder fordern. „2020 wird ein Schicksalsjahr der EU“, sagt Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte.
Seine Links-Regierung ist getrieben von der starken, rechten Opposition um Ex-Innenminister Matteo Salvini. Der schürt den Hass auf die EU: „Das einzige Interesse Europas ist das Geschäft“, behauptete er in einem Interview. „Für die Deutschen lohnt es sich nicht zu helfen, denn niemand kann mich davon überzeugen, dass hier nicht jemand das Virus benutzt, um einen Handelskrieg zu entfachen.“
Deutschland hat zwar die Niederlande, Finnland und Österreich auf seiner Seite. Der Druck auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) aus dem Süden Europas wächst aber. Italien wird von dem ebenfalls besonders stark von der Krise getroffenen Spanien, aber auch von Frankreich und anderen unterstützt. „Ganz Europa zählt auf Deutschland“, sagte der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire. Er sagte es auf Deutsch, damit es in Berlin auch ja gehört wird.