Die Angst dals und heute
Der Zustand unserer Gegenwart verände ch den Blick auf die Geschehnisse im Frühjahr 1945 in der Region. Wie bei der Eroberung durch alliie ruppen der Abgrund der Nazizeit sichtbar wurde
Nachrichten aus der Region, an einem Apriltag des Jahres 2020. Eine 37-jährige Frau berichtet, wie sie sich gegen die CoronaErkrankung schützt. Sie leidet seit Langem an Mukoviszidose, einer schweren, chronischen Lungenkrankheit. Nun, in diesen CoronaZeiten, ´gehört sie zur sogenannten „Hochrisikogruppe“. Am selben Tag wird eine Anzeige zum Tod von Franz Buchberger veröffentlicht. Der Heimatvertriebene, 1925 im Sudetenland geboren, hat sich im Kreis Günzburg nach dem Ende des Krieges maßgeblich um die Menschen gekümmert, die aus den verlorenen Gebieten im Osten zu Tausenden auch in unsere Region kamen.
Nun steht im Text der Todesanzeige: „Die Beerdigung findet aus aktuellem Anlass im engsten Familienkreis statt.“Der „aktuelle Anlass“: Das ist die sogenannte Corona-Krise, die selbst das Trauern so schwer macht. Sich umarmen, sich berühren: Das ist Trost in der Trauer. Doch nun stehen die Menschen bei Beerdigungen auf den Friedhöfen weit voneinander entfernt. Und so wird die Beerdigung von Menschen wie Franz Buchberger, deren Leben vor allem in jungen Jahren durch die Gewalt des Krieges geprägt war, wieder zu einer Art Ausnahmezustand.
Es sind auch solche Umstände dieser bizarren Gegenwart, die uns anders auf die Ereignisse vor 75 Jahren, das Ende des Zweiten Weltkriegs, die sogenannte Stunde Null, blicken lassen. Buchberger und viele andere haben als „Zeitzeugen“intensiv über die Geschehnisse vor 75 Jahren berichtet.
Viele von ihnen leben nicht mehr, doch gerade jetzt, in diesen bewegten Zeiten, stehen ihre Erzählungen wieder auf eine sehr markante Weise im Raum. „Heute bekommen ihre Erzählungen eine neue Dringlichkeit, am liebsten würden wir sie noch mal fragen, die Alten, wie sie das damals alles ausgehalten und ob sie auch Angst gehabt haben wie viele von uns heute“, schreibt Hilmar Klute in einem Beitrag für die
Süddeutsche Zeitung.
Das „Damals“, das ist gerade jetzt der Blick auf die Ereignisse des Kriegsendes vor 75 Jahren. Blicken wir also noch einmal hinein in diese Zeit. Im April des Jahres 1945 erobern US-Truppen und sie begleitende französische Verbände das Gebiet des heutigen Landkreises Günzburg in nur wenigen Tagen. Mitunter ist bei Historikern zu lesen, dass der Einmarsch geradezu unspektakulär verlief. Doch wer auf die Ereignisse im Detail blickt, dem begegnet Angst, Ungewissheit, Beklemmung, Armut, Verlust in all seinen Dimensionen, mitunter auch Scham über die Verbrechen der Nazis, die auch im Kreis Günzburg allgegenwärtig waren.
Aber da ist auch Erleichterung, die in den Apriltagen des Jahres 1945 vor allem bei den alliierten Soldaten spürbar ist. Sie haben schwere Kämpfe an der Westfront hinter sich, nun scheinen sich die deutschen Streitkräfte mitunter regelrecht aufzulösen.
Auf einem am 22. April 1945 aufgenommenen Foto lächelt US-Sergeant Ed Bernstein in die Kamera. Lässige Haltung, daneben ein Schild mit der Aufschrift „Sie überschreiten jetzt die schöne blaue Donau ...“. Bernstein ist Soldat der 12. USPanzerdivision. In Dillingen überwältigen Soldaten dieser Division die völlig überraschte deutsche Brückenwache im Handstreich. Die Donau wird überschritten, rasch stoßen die US-Soldaten weiter vor. Weiter südwestlich sind es die Soldaten der 10. US-Panzerdivision, die die Iller am 24. April auf breiter Front überschreiten.
Von der NS-Elite kommen Durchhalteparolen. Der Günzburger Kreisleiter Georg Deisenhofer hält eine dieser Reden, die im Frühjahr 1945 so oft zu hören sind. spricht bei der offiziellen Trauerf er für die Opfer eines Bombena griffs auf Günzburg einige Tage z vor. „Wir geloben ihnen (den T ten) in dieser Stunde, unsere ga Kraft einzusetzen und nicht zu wa ken, bis der Sieg unser ist.“
Es kommt anders. Bereits am April stehen die US-Truppen Augsburg. Der Krumbacher Ge Hofmeister, damals zwölf Jahre erlebt den Einmarsch der Ameri ner. Er erinnert sich an das v Westen hörbare Artilleriefeuer, Gespräche in Krumbachs Straß „Die Amis sind schon in Weiße horn, morgen sind sie wohl in Immer wieder zieht sich die Fam in ihren Keller in der Krumbac Karl-Mantel-Straße zurück. Vi Menschen haben Angst, denn sind auch die Standgerichte, die Männer.
Und der Befehl Himmlers, fordert, dass aus einem Haus, dem eine weiße Fahne erschei ohne zu zögern alle männlichen P sonen im Alter über 14 Jahren zu schießen seien.
In Günzburg rücken am 25. Ap US-Soldaten über die zerstörte, a noch passierbare Brücke an der H denheimer Straße Richtung Gü burg vor. „Gegen 19 Uhr besetz sie die Stadt, um 21.30 Uhr ,erob ten’ sie das Rathaus“, schreibt H toriker Zdenek Zofka. Eine wese liche Rolle bei der Übergabe Stadt spielt Stadtbaumeister Seet ler. Er kann vor dem Einmarsch US-Truppen die Zerstörung v
Hinter ihnen lagen schwere Kämpfe an der Westfront
sserwerk und Elektrizitätswerk wenden. Bei den Gesprächen mit US-Truppen sind die Englischntnisse von Kaufmann Ottmar ck, der vor dem Ersten Welteg einige Jahre in London war, ensichtlich sehr hilfreich. NS-Kreisleiter Georg Deisenhohatte sich zu diesem Zeitpunkt esetzt, auf Schloss Harthausen ren einige Zimmer beschlagmt, es wird von ausschweifenFeierlichkeiten berichtet, Deihofer wird schließlich, so reibt Zdenek Zofka, in Zivil in nem Heimatort Waldkirch von Amerikanern verhaftet. Einige Kilometer weiter südlich ern sich die US-Truppen am 26. ril 1945 der Krumbacher Stadtnze. Kann die Stadt vor Zerstögen bewahrt werden? Bürgerister Konrad Kling und der erstabsarzt im damaligen Reserazarett Krumbad, Dr. Adalbert hllaib, erreichen, dass das umbad – und damit auch Krumh – international als Lazarettort rkannt wird. Damit scheint es glich, dass Krumbach von mpfhandlungen verschont bleikönnte. Voraussetzung ist allerdings, dass h keine deutschen Truppen in der dt aufhalten. Doch das lässt sich m vermeiden in dieser außer nd und Band geratenen Zeit. So lagen am 26. April amerikanische anaten in der Stadt ein. Auf dem thaus und auch dem Kirchturm rden weiße Fahnen gehisst und in Morgenstunden des 27. April fassen sich Kling und Standortkommandant Wohllaib ein Herz. Sie nähern sich den Amerikanern im Bereich der Kreuzung der Ulmer- mit der Bahnhofstraße und übergeben offiziell die Stadt.
Umgehend ergeht von den Besatzern der Befehl, dass die Bevölkerung alle Waffen (auch Hieb- und Stichwaffen) im Bereich der Druckerei Ziegler abgeben muss. Ähnlich verläuft die Besetzung in vielen Orten der Region.
Immer wieder riskieren Menschen in diesen Tagen ihr Leben (die NS-Standgerichte sind eine permanente Gefahr), um Schlimmeres zu verhindern. In Burgau macht Unteroffizier Georg Burger eine Brückensprengladung unschädlich. Seit dem Jahr 2007 wird dies durch eine Gedenkplatte an einer der Mindelbrücken gewürdigt. In Scheppach tagt ein Standgericht unter Vorsitz eines hohen Offiziers. Mehreren Bürgern (darunter offenbar auch den Bürgermeistern von Jettingen und Scheppach) droht die Todesstrafe.
Die Berliner Journalistin Ursula von Kardoff, die vor der Roten Armee nach Süddeutschland geflohen war, erlebt und schildert die Ereignisse vor Ort, die, wie Andreas M. Rau in seiner Darstellung schreibt, in Details widersprüchlich bleiben. Als die Mitglieder des Standgerichts erfahren, dass US-Truppen schon in der Nähe sind, setzen sie sich offenbar überstürzt ab. Mit Blick auf die erbitterten Endkämpfe im Osten oder auch die schweren Bombenangriffe in der Endphase des Krieges wird das Kriegsende in der heimischen Region oft als glimpflich bezeichnet.
Zu heftigeren Kämpfen mit insgesamt wohl rund 300 Toten kommt es im Bereich von Leipheim (hier war der Fliegerhorst ein zentrales Ziel der US-Truppen) und Offingen. Doch flächendeckende schwere Kampfhandlungen bleiben der Region 1945 erspart.
Aber da sind diese vielen anderen
Narben. Die jüdischen Gemeinden in Ichenhausen und Hürben? Ausgelöscht. Der aus Günzburg stammende berüchtigte KZ-Arzt Josef Mengele? Auf der Flucht. Im Strafgefangenenlager Neuoffingen, im Zwangsarbeiterlager Schnuttenbach, im KZ-Außenlager Burgau (wo in der Endphase des Krieges rund 1000 Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht werden) und im sogenannten Waldwerk Kuno, wo Zwangsarbeiter für Hitlers „Wunderwaffe“, den Düsenjäger Me 262 schuften, kommt das hässliche Gesicht der Nazizeit ans Tageslicht.
Menschen mit Behinderung? Rund 800 wurden umgebracht, etwa zu gleichen Teilen aus der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Günzburg und aus den Anstalten der St.-Josefs-Kongregation Ursberg. Tausende von den Nazis verschleppte Zwangsarbeiter befinden sich nach Kriegsende noch in der Region.
Tausende von Heimatvertriebenen sollten erst kommen. Auf dem Gelände des Fliegerhorsts Leipheim wird im Dezember 1945 ein jüdisches DP (Displaced Persons)Camp mit bis zu 3000 Bewohnern eingerichtet. Sie haben den Holocaust überlebt. Viele wandern in den neu gegründeten Staat Israel aus, das Camp wird im Jahr 1949 aufgelöst.
Tausende blutjunge Soldaten sind vor allem in der letzten Kriegsphase gefallen, wie etwa der 18-jährige Bruder des späteren Bundesfinanzministers Theo Waigel.
Viele der Menschen, die all das damals überstanden haben, sind mittlerweile nicht mehr am Leben. Geblieben ist aber so manche Tagebuchaufzeichnung und auch so manches Foto mit diesen so charakteristischen, gezackten, weißen Rändern. Mit Blick auf die derzeit so bewegten Zeiten schauen nicht wenige solche Fotos wieder sehr genau an.
Unteroffizier verhindert Brückensprengung