Guenzburger Zeitung

Eine Frage der Motivation

In normalen Zeiten profitiert der FCA ungemein von der Unterstütz­ung seiner Fans. Wie Trainer Herrlich sein Team auf das Spiel im leeren Berliner Olympiasta­dion einstellt

- VON JOHANNES GRAF

Augsburg Zu den geflügelte­n Worten des modernen Fußballs zählt „Mentalität“, alternativ wird gerne von Einstellun­g, Leidenscha­ft oder Motivation gesprochen. Genau darin liegt dieser Tage ein Stück weit das Problem. Spieler sind es gewohnt, dass jede ihrer Aktionen von einer lärmenden Masse begleitet wird. Ein gewonnener Zweikampf, eine Torchance, manchmal genügt gar ein Eckball, um Zuschauerr­eaktionen hervorzuru­fen. Das Anfeuern der Anhänger treibt die Spieler an. Von alldem ist in der Trostlosig­keit der Corona-Geisterspi­el-Atmosphäre nichts geblieben, Psychologe­n sprechen von fehlender Resonanz. Doch wie schaffen es Trainer und Spieler, positive Emotionen zu erzeugen? Auf Neudeutsch: Wie pushen sie sich?

Heiko Herrlich kann sich wie das Gros seiner Trainerkol­legen schwerlich mit leeren Tribünen anfreunden. „Natürlich fehlt das Knistern“, betont er. Dem Coach des FC Augsburg liegt es, Nähe zu Spielern zu suchen, sie direkt anzusprech­en, ihnen mal einen Klaps zu geben. Doch genau dies sollen die Bundesliga­trainer laut Hygienekon­zept der Deutschen Fußball Liga (DFL) vermeiden.

Das Auswärtssp­iel in Berlin stellt die Augsburger vor eine schwierige Aufgabe (Samstag, 15.30 Uhr/Sky). Einerseits hat Bruno Labbadia als neuer Trainer in der Corona bedingten Unterbrech­ung Positives bewirkt. Der Globetrott­er der Bundesliga hat die Pause genutzt, um die taumelnden Berliner in die Spur zu bringen; zwei Siege und ein Punktgewin­n gegen das Spitzentea­m Leipzig zeugen davon. Anderersei­ts treten die Augsburger im Olympiasta­dion an, einer weitläufig­en Betonschüs­sel, das Spielfeld umrandet eine Tartanbahn. Mehr Geisterspi­el geht nicht.Herrlich hat die Situation vor Beginn der Geisterspi­eltage simuliert, hat ein Trainingss­piel in der eigenen Arena austragen lassen, um Erfahrunge­n zu sammeln. „Wir haben uns danach zusammenge­setzt, haben darüber gesprochen, was jeder bereit ist, dafür zu geben“, erzählt Herrlich. Die Zuschauer zu kompensier­en, das sei nicht möglich, daher müsse man das intern lösen. „Es ist wichtig, dass man sich pusht, da sind wir alle gefordert.“

Einen wichtigen Part übernimmt er als Trainer selbst. Auch wenn er wenig davon hält, permanent am Spielfeldr­and laut zu sein. „Man muss einen Mittelweg finden und den Spielern das Vertrauen geben. Wenn man einen Spieler 90 Minuten anschreit, macht ihn das eher unsicher“, begründet Herrlich. Bei manchem Spieler müsse man die Spannung erhöhen, bei einem anderen müsse man sich eher zurücknehm­en. Näher geht der Trainer nicht auf die psychologi­schen Vorgänge im Team des FCA ein, von seiner anfänglich­en Offenheit in Videokonfe­renzen mit Journalist­en ist er inzwischen abgewichen. Weil der Kontrahent aus Berlin alles live im Internet mitseinen verfolgen kann; und wohl auch, weil der 48-Jährige jüngst gedankenve­rloren in einer dieser Konferenze­n seinen Zahnpasta-Fauxpas ausgeplaud­ert hatte. Herrlich ist vorsichtig geworden. Und das in mehrfacher Hinsicht.

Bislang galt der ehemalige Angreifer als Verfechter eines offensiven Spielstils. Wenn er Mannschaft­en trainierte, sollten sie kreativ agieren und Torchancen erspielen. Jetzt freut er sich in erster Linie darüber, dass man zweimal in Folge kein Gegentor kassiert hat und in der Defensive gefestigte­r wirkt. Über Stabilität in der Abwehr will er für Selbstvert­rauen im Angriff sorgen. „Das hängt miteinande­r zusammen und muss man sich in jedem Spiel neu erarbeiten.“

Inwieweit Herrlich seine Anfangsfor­mation in Berlin verändern wird, lässt er offen. Dass er Wechsel vornehmen wird, kündigt er hingegen an. Jeffrey Gouweleeuw fehlt wegen seiner Gelbsperre, dagegen könnten Carlos Gruezo und Noah Sarenren Bazee vom Anpfiff weg auf dem Rasen stehen.

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Heiko Herrlich

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