Eine Frage der Motivation
In normalen Zeiten profitiert der FCA ungemein von der Unterstützung seiner Fans. Wie Trainer Herrlich sein Team auf das Spiel im leeren Berliner Olympiastadion einstellt
Augsburg Zu den geflügelten Worten des modernen Fußballs zählt „Mentalität“, alternativ wird gerne von Einstellung, Leidenschaft oder Motivation gesprochen. Genau darin liegt dieser Tage ein Stück weit das Problem. Spieler sind es gewohnt, dass jede ihrer Aktionen von einer lärmenden Masse begleitet wird. Ein gewonnener Zweikampf, eine Torchance, manchmal genügt gar ein Eckball, um Zuschauerreaktionen hervorzurufen. Das Anfeuern der Anhänger treibt die Spieler an. Von alldem ist in der Trostlosigkeit der Corona-Geisterspiel-Atmosphäre nichts geblieben, Psychologen sprechen von fehlender Resonanz. Doch wie schaffen es Trainer und Spieler, positive Emotionen zu erzeugen? Auf Neudeutsch: Wie pushen sie sich?
Heiko Herrlich kann sich wie das Gros seiner Trainerkollegen schwerlich mit leeren Tribünen anfreunden. „Natürlich fehlt das Knistern“, betont er. Dem Coach des FC Augsburg liegt es, Nähe zu Spielern zu suchen, sie direkt anzusprechen, ihnen mal einen Klaps zu geben. Doch genau dies sollen die Bundesligatrainer laut Hygienekonzept der Deutschen Fußball Liga (DFL) vermeiden.
Das Auswärtsspiel in Berlin stellt die Augsburger vor eine schwierige Aufgabe (Samstag, 15.30 Uhr/Sky). Einerseits hat Bruno Labbadia als neuer Trainer in der Corona bedingten Unterbrechung Positives bewirkt. Der Globetrotter der Bundesliga hat die Pause genutzt, um die taumelnden Berliner in die Spur zu bringen; zwei Siege und ein Punktgewinn gegen das Spitzenteam Leipzig zeugen davon. Andererseits treten die Augsburger im Olympiastadion an, einer weitläufigen Betonschüssel, das Spielfeld umrandet eine Tartanbahn. Mehr Geisterspiel geht nicht.Herrlich hat die Situation vor Beginn der Geisterspieltage simuliert, hat ein Trainingsspiel in der eigenen Arena austragen lassen, um Erfahrungen zu sammeln. „Wir haben uns danach zusammengesetzt, haben darüber gesprochen, was jeder bereit ist, dafür zu geben“, erzählt Herrlich. Die Zuschauer zu kompensieren, das sei nicht möglich, daher müsse man das intern lösen. „Es ist wichtig, dass man sich pusht, da sind wir alle gefordert.“
Einen wichtigen Part übernimmt er als Trainer selbst. Auch wenn er wenig davon hält, permanent am Spielfeldrand laut zu sein. „Man muss einen Mittelweg finden und den Spielern das Vertrauen geben. Wenn man einen Spieler 90 Minuten anschreit, macht ihn das eher unsicher“, begründet Herrlich. Bei manchem Spieler müsse man die Spannung erhöhen, bei einem anderen müsse man sich eher zurücknehmen. Näher geht der Trainer nicht auf die psychologischen Vorgänge im Team des FCA ein, von seiner anfänglichen Offenheit in Videokonferenzen mit Journalisten ist er inzwischen abgewichen. Weil der Kontrahent aus Berlin alles live im Internet mitseinen verfolgen kann; und wohl auch, weil der 48-Jährige jüngst gedankenverloren in einer dieser Konferenzen seinen Zahnpasta-Fauxpas ausgeplaudert hatte. Herrlich ist vorsichtig geworden. Und das in mehrfacher Hinsicht.
Bislang galt der ehemalige Angreifer als Verfechter eines offensiven Spielstils. Wenn er Mannschaften trainierte, sollten sie kreativ agieren und Torchancen erspielen. Jetzt freut er sich in erster Linie darüber, dass man zweimal in Folge kein Gegentor kassiert hat und in der Defensive gefestigter wirkt. Über Stabilität in der Abwehr will er für Selbstvertrauen im Angriff sorgen. „Das hängt miteinander zusammen und muss man sich in jedem Spiel neu erarbeiten.“
Inwieweit Herrlich seine Anfangsformation in Berlin verändern wird, lässt er offen. Dass er Wechsel vornehmen wird, kündigt er hingegen an. Jeffrey Gouweleeuw fehlt wegen seiner Gelbsperre, dagegen könnten Carlos Gruezo und Noah Sarenren Bazee vom Anpfiff weg auf dem Rasen stehen.