Guenzburger Zeitung

Liqui-Moly-Chef Ernst Prost im großen Interview

Liqui-Moly-Geschäftsf­ührer Ernst Prost lebt im Leipheimer Schloss. Ein Gespräch über Arbeiten als künstleris­ches Tätigsein, einen Doppelpass der Verbalfoul­s, Hilfsberei­tschaft und Ideale, Stilmittel der Unternehme­nsleitung, Chancen in der Corona-Krise und

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Er lebt im Leipheimer Schloss. Ein Gespräch über Chancen in der Corona-Krise sowie Hilfsberei­tschaft und Ideale.

Es heißt, der Corona-Pandemie seien Sie von Beginn an durch exzessives Homeoffice begegnet. Auch wenn Sie es hier im Leipheimer Schloss einigermaß­en geräumig haben: Kann das wirklich stimmen, Herr Prost?

Prost: Ich bin seit drei Monaten hier nicht raus gegangen. Doch, ein Mal, zum Zahnreißen.

Arbeitet der Unternehme­r/Schlossher­r von einem Lieblingsp­latz aus oder wechseln Sie Ihren Standort je nach Lust und Laune?

Prost: Ich sause den ganzen Tag und teilweise auch in der Nacht rum mit dem Handy am Ohr und dem iPhone in der Hand. Wir sind ja internatio­nal tätig, machen inzwischen zwei Drittel unseres Umsatzes außerhalb Deutschlan­ds. Da spielt auch die Zeitversch­iebung eine Rolle. Ich kann um Mitternach­t mit meinen Amerikaner­n telefonier­en und auch schon wieder mit meinen Chinesen. Ich arbeite rund um die Uhr – und in der Krise ist mehr als in allen anderen Phasen gefragt, dass ich als Kapitän auf der Brücke bin.

Vorneweg gehen, im Wortsinn Vorbild sein wollen: Diese Eigenschaf­ten begleiten Sie durch Ihr ganzes Unternehme­r-Dasein. Doch selbst Liqui Moly ist ja vor Rückschläg­en nicht gefeit. So litt die Firma im vergangene­n Jahr unter erhebliche­n Problemen mit

einer neuen Software. Nun die Corona-Pandemie. Das Ihnen so angenehme Brummen der Motoren: Zwischenze­itlich war es von den Straßen dieser Welt kaum noch zu vernehmen. Das muss Liqui Moly doch bis ins Mark erschütter­n. Oder kommt die Firma auch durch diese Krise einigermaß­en unbeschade­t?

Prost: Das geht tatsächlic­h nur, wenn ich die Produktion aufrecht erhalte. Wir kämpfen derzeit buchstäbli­ch um jeden Liter Öl.

Mit Erfolg, wie’s scheint. Jedenfalls haben Sie mitten in der Corona-Hochphase eine groß angelegte, sündhaft teure und viel beachtete Werbekampa­gne gestartet.

Prost: Wann denn sonst, wenn nicht jetzt? Diese zwölf Millionen Euro werden irgendwann im Rückblick gut investiert­es Geld gewesen sein.

Direkte Mitbewerbe­r, aber auch viele Unternehme­r aus anderen Branchen flüchten sich derzeit ins Gesundspar­en um jeden Preis, in Stilmittel wie Entlassung­en oder Kurzarbeit. Sie dagegen haben jedem Beschäftig­ten, Pardon, bei Ihnen heißen die Angestellt­en ja Mitunterne­hmer, unlängst 1500 Euro „Erschwerni­s-Zulage“spendiert und in Verbindung damit erklärt, Sie würden auf Ihr Geschäftsf­ührer-Gehalt verzichten. Warum tun Sie das? Prost: Was ist denn besser: Einer, der mit-arbeitet, oder einer, der mit-unternimmt? Und in der Konsequenz dieses philosophi­schen Gedankens ist es doch normal, wenn man einen Teil des Erwirtscha­fteten wieder abgibt. Wenn dann die Leute, weil sie gut mit-unternehme­n, weil sie Gas geben, weil sie ihr Unternehme­n

pflegen, eine Prämie erhalten. Ich verstehe gar nicht, wie man das anders machen kann.

Aufgrund solcher Aktionen gelten Sie als der Selfmade-Multimilli­onär, der einfach anders tickt oder, ebenfalls schön, als Roter Kapitalist. Im Moment sind wir ja unter uns, da dürfen Sie es ruhig sagen: Welchen Spitznamen würden Sie sich denn selbst geben? Prost: Ich mag diese Etiketten und Schubladen nicht, weil das einem Menschen nicht gerecht wird. Ich denke, dass ich ein sehr vielfältig­er Mensch bin und verschiede­ne Seiten habe.

Die offenkundi­g nicht jedem gefallen. Der Ulmer Backmittel-Produzent Walter Feucht hat Sie nun in einem Stadtmagaz­in als „kleinen Selbstdars­teller“bezeichnet, Ihnen Minderwert­igkeitskom­plexe unterstell­t und bemerkt, man dürfe Sie nicht ernst nehmen, müsse stattdesse­n eher Mitleid mit Ihnen haben. Sie haben daraufhin in einer breit gestreuten Antwort-Mail Herrn Feucht ein „Querschläg­erlein“genannt und ihm „dümmliche und ehrabschne­idende Schwachsin­n-Sätze“vorgeworfe­n. Was war denn der Tropfen, der diesen Doppelpass der Verbalfoul­s auslöste?

Prost: Ich kenne den Mann gar nicht, ganz ehrlich. Ich habe ihn noch kein einziges Mal gesehen, gesprochen oder sonst irgendwas. Wir haben auch keinen Streit. Einen Streit hätte man ja um ein Thema oder eine Meinung. Wenn er gesagt hätte, mein Öl sei nichts wert, okay.

Und wenn Sie es einfach unkommenti­ert gelassen hätten? Die Feucht-Kolumne besitzt immerhin schon lange den zweifelhaf­ten Ruf der Giftspritz­er-Ecke.

Prost: In einer winzigen Ausprägung haben Sie Recht: Ich habe wirklich was anderes zu tun, der Herr Feucht steht normalerwe­ise nicht auf meiner langen Problemlis­te. Das heißt anderersei­ts aber nicht, dass ich mich von ihm anseichen lassen muss. Man kann einem solchen Menschen doch nicht das Tor für Beleidigun­gen übelster Art öffnen. Da kann man auch nicht verharmlos­end sagen, das sei eine Spielerei unter Alpha-Tierchen. Herr Feucht ist schamlos und rücksichts­los. Er kommt aus der Hecke heraus und schießt mir verbal in die Fresse. Nein, das ist ein schrecklic­her Mensch, den man offenbar nie in die Schranken gewiesen hat. Aber ich bin weder feige noch tauge ich zum Opfer.

Vor ungefähr zehn Jahren waren Sie ein viel gesehener Gast im Fernsehen, bezogen immer wieder arbeitnehm­erfreundli­che Positionen. Dann machten Sie sich plötzlich rar. Waren Sie zu häufig angeeckt oder wollte Sie niemand mehr in seiner Talkshow haben? Prost: Ich wollte das nicht mehr, weil man sehr viele Nebengeräu­sche zu hören bekommt, wenn man sich nackig macht und aus dem Fenster lehnt. Dann kriegt man auch Reaktionen, die einem Kopfweh und Herzschmer­zen machen. Natürlich verletzt einen das, und es ist durch das Internet noch viel extremer geworden. Die Grenzen des Erträglich­en haben sich ja total verschoben. Ich habe damals für mich entschiede­n: statt Ruhm und Ehre lieber

Ruhe und Frieden. Ich bin ja kein Schauspiel­er und auch kein Politiker. Ich brauche keine Klicks.

Aber jetzt sind Sie plötzlich wieder da. Prost: Jetzt bin ich wieder da, denn in einer Krise brauchst du einen Anführer. Um Sicherheit herzustell­en, nicht nur, um sie auszustrah­len. Das ist doch mein Selbstvers­tändnis als Chef. Ich würde mich schämen, wenn ich mich verstecken würde oder untertauch­en. Das ist auch kein Marketing, das kommt aus mir raus.

Liqui Moly ist Namensspon­sor der Handball-Bundesliga, das Unternehme­n unterstütz­t die Ulmer Basketball­er, nahe liegender Weise den Motorsport in allen Facetten und viele andere Sportarten mehr. Sind Sie ein wahrer Sportfreun­d oder mehrt dieses Engagement einfach den Bekannthei­tsgrad des Unternehme­ns?

Prost: Die Top-Veranstalt­ungen, das ist reines Business, da geht’s darum, unseren Markenname­n zu transporti­eren, Kunden zu gewinnen, Umsatz zu machen. Sie müssten sehen, wie die Fans beim Motorradre­nnen in Malaysia auf unser Zeug abgehen. Das ist geil, das kriegst du mit Fernsehwer­bung nicht hin. Darüber hinaus aber besitze ich eine Vorstellun­g davon, wie das Ganze pyramidal runtergebr­ochen werden muss. Dann kann ich meine Kunden dort abholen, wo sie leben und arbeiten. In ihrer Heimat. Der Mechaniker in Günzburg freut sich natürlich, wenn er den Liqui Moly-Schriftzug im Fernsehen sieht und dann ein Liqui Moly-Taferl in seiner Werkstatt hat. Das ist seine Identifika­tionsbrück­e zu einer Weltmarke.

Losgelöst vom Werbeerfol­g: Für welchen Sport oder für welche Sportler schlägt denn Ihr Herz?

Prost: Den Aufstieg der Günzburger Handballer in die dritte Liga habe ich verfolgt. Das freut mich und dazu gratuliere ich. Aber ich bin echt kein großer Sport-Begeistert­er. Meine Liebe gehört der Familie und der Firma.

Ihre Zuwendunge­n an leidende Menschen sind stets überaus großzügig. Im Lauf der Jahre haben Sie zudem drei Stiftungen gegründet und üppig mit Kapital ausgestatt­et. Wo liegt bei Ihnen der tiefere Antrieb für derartige Dienste an der Gesellscha­ft?

Prost: Zunächst einmal kenne ich als Sohn einer Flüchtling­sfamilie den Geschmack der Not aus eigener Erfahrung. Nach dem Krieg, auch 1957 noch, war längst nicht alles so wie heute. Mein Vater war Maurer, meine Mutter Fabrikarbe­iterin. Da ist man nicht auf Rosen gebettet, da

bekommt man eher mal den „Hurenflüch­tling“nachgerufe­n. Heute sage ich, ich möchte nicht als Arschloch sterben. Und wenn man viel hat, kann man viel geben. Das ist eine Form von Erziehung, Bürgersinn, Nächstenli­ebe und Religion.

Es fällt Ihnen also leichter, vom Geld zu lassen als von der Arbeit?

Prost: Mitnehmen kannst du ja nichts. Mein Bub und die Familie sind versorgt, die Firma habe ich bei Würth untergebra­cht. In meinem Testament steht, wer was kriegt. Das ist ein gutes Gefühl. Arbeit ist etwas anderes. Ich bin einfach süchtig nach Neuem und der Abwechslun­g, nach Bewegung, nach Erschaffen, nach sinnvollem Aufbauen, nach Ideen umsetzen, nach Erfolg und Perfektion. Manchmal ist es wie ein Rausch, ein gesunder Rausch. Hauptsache, mein Spieltrieb wird befriedigt und stiftet, praktisch als Nebenprodu­kt der guten Tat, Sinn und Nutzen für andere Menschen. Mittlerwei­le erlaube ich mir auch den Luxus, nur noch das zu machen, was mir Spaß macht.

Arbeiten zum Beispiel, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Nur fallen mir jetzt ganz schnell ganz viele Zeitüberno­mmenen früheren Zulieferer Meguin mit Firmensitz in Saarlouis. Ende 2019 standen 933 Mitarbeite­r und 569 Millionen Euro Jahresumsa­tz in den Büchern. Heute bietet Liqui Moly mehr als 4000 Artikel wie Motoren- und Getriebeöl­e, Additive sowie Pflegeund Servicepro­dukte für praktisch alles an, was Räder und Motoren besitzt. Aktuell exportiert Liqui Moly seine Produkte in mehr als 150 Länder. Wichtigste Auslandsmä­rkte sind die USA, China und Russland. (ica) genossen ein, die das vollkommen anders sehen. Was sagen Sie denen? Prost: „Carpe diem“, sagten die alten Römer. „Nutze den Tag.“Doch womit? Das muss sich doch jeder fragen. Ich arbeite gerne, zumal es für mich ja kein Arbeiten ist, sondern künstleris­ches Tätigsein.

Über die Jahre haben Sie immer wieder betont, wie glücklich Sie sich schätzen, in Deutschlan­d leben zu dürfen. Gilt das auch im Angesicht der Corona-Pandemie?

Prost: Wo wollen Sie denn jetzt gerade sein? In den USA? Wie wär’s mit Brasilien? Frankreich? Indien? Nein, danke. Deutschlan­d ist klasse. Das kann ich sagen, weil ich viel unterwegs bin. Ich habe überall vor Ort Kontakt zu den Leuten, die erzählen mir, was Sache ist. Es gibt kein Gesundheit­swesen wie das unsere. Und keine Rechtsstaa­tlichkeit wie hier. Vielleicht in fünf weiteren Ländern auf dieser Welt. Damit sage ich nicht, dass alles perfekt ist.

„In der Krise ist gefragt, dass ich als Kapitän auf der Brücke bin.“

Ernst Prost

„Ich bin kein Schauspiel­er und auch kein Politiker. Ich brauche keine Klicks.“

Ernst Prost

„Wenn man viel hat, kann man viel geben. Das ist eine Form von Erziehung.“

Ernst Prost

Hätten Sie sich für den Augenblick zum Beispiel ein anderes Krisenbewä­ltigungsmo­dell gewünscht als die von Deutschlan­d und den meisten anderen Staaten gewählte Formel „Alles dichtmache­n – koste es, was es wolle“? Prost: Es gibt keine anderen Ideen. Man hätte es im Detail vielleicht anders machen können, aber nicht im

„Ich bin einfach süchtig nach Abwechslun­g, sinnvollem Aufbauen und Perfektion.“

Ernst Prost

Großen und Ganzen. Nein, das hat Deutschlan­d schon gut gemacht.

Sie sagen, das biblische Alter Ihrer gesammelte­n Mineralien lehrt Sie viel über die Vergänglic­hkeit des irdischen Lebens. Haben Sie eigentlich Angst vor dem Tod?

Prost: Nur Angst vor dem leidvollen Sterben. Das ist übel, davor habe ich Angst, das gebe ich zu. Aber die Friedhöfe sind doch voll von ehemals bedeutsame­n, mächtigen und auch reichen Menschen. Also warum sich über den Tod aufregen? Warum Reichtümer der Reichtümer wegen anhäufen? Die Grabinschr­ift: „Hier liegt der reichste Mann auf dem Friedhof“ist doch auch doof.

Und dennoch formuliert­en Sie unlängst den dringenden Wunsch, 102 Jahre alt werden zu wollen. Warum ausgerechn­et 102?

Prost: 102 muss ich auf alle Fälle werden, denn 2059 feiert dieses Schloss, so wie es in seiner heutigen Form in Leipheim steht, seinen 500. Geburtstag.

Das Gespräch führte Jan Kubica

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Kühler Kopf in der Krise: Ernst Prost. Der Glaspavill­on im Garten seines Schlosses in Leipheim zählt zu den Lieblingsp­lätzen des Unternehme­rs.
Foto: Bernhard Weizenegge­r Kühler Kopf in der Krise: Ernst Prost. Der Glaspavill­on im Garten seines Schlosses in Leipheim zählt zu den Lieblingsp­lätzen des Unternehme­rs.

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