Guenzburger Zeitung

Gegen Unterdrück­ung, für Veränderun­g

Die Aktionen gegen Rassismus werden überall goutiert. Nur der DFB hadert noch

-

Pole Krzyszto Piatek in der Nachspielz­eit dem Führungstr­effer von Javairo Dilrosun (23.) noch das 2:0 folgen ließ, spielte keine Rolle mehr.

Diese 90 grundversc­hiedenen Minuten waren ein Symbol dafür, wie instabil das neu aufgesetzt­e Konzept von Trainer Herrlich mit hohem, aggressive­n Pressing, aber auch mit vielen und längeren Ballbesitz­phasen noch ist. Zu sehen war das auch in der englischen Woche. Beim 3:0 gegen Schalke klappte die Umsetzung hervorrage­nd, beim 0:0 gegen Paderborn nur phasenweis­e.

Gegen Berlin in der ersten Hälfte eigentlich gar nicht. Das lag auch daran, weil Herrlich vor dem dritten Spiel in sechs Tagen mehr als die halbe Mannschaft ausgetausc­ht hatte. Zum Einsatz von Iago war er gezwungen, da sich Philipp Max gegen Paderborn eine Prellung zugezogen hatte und die Reise nach Berlin gar nicht angetreten hatte, die anderen fünf Umstellung­en (Lichtstein­er, Suchy, Gruezo, Sarenren Bazee und Cordova ersetzten Framberger, Jedvaj, Baier, Richter und Niederlech­ner) begründete er mit den Belastunge­n der Stammspiel­er.

Doch schon nach einer Viertelstu­nde verlor seine neu zusammenge­stellte Elf immer mehr die Ordnung. Abläufe und Abstände passten nicht mehr und der FCA hatte es Torhüter Andreas Luthe zu verdan

Hamburg Das traurige Schicksal von George Floyd hat auch die Bundesliga bewegt. Weston McKennie von Schalke 04 zeigte Empörung und Anteilnahm­e auf einer Armbinde, Mönchengla­dbachs Marcus Thuram ging symbolisch in die Knie, die Dortmunder Jadon Sancho und Achraf Hakimi forderten auf T-Shirts „Justice for George Floyd“(Gerechtigk­eit für George Floyd). Die Wut über die erschrecke­nden Bilder aus den USA und den gewaltsame­n Tod des Afroamerik­aners hat auch das tausende Kilometer entfernte Deutschlan­d erreicht.

Mit ihren starken Zeichen gegen Rassismus und Polizeigew­alt in den USA brachten sie zugleich den Deutschen Fußball-Bund und die Deutsche Fußball Liga in ein Dilemma. Den Statuten zufolge sind solche Aktionen untersagt. Der DFB kündigte an, dass sich der

Heiko Herrlich ist es noch nicht gelungen, den FCA in ruhigere Fahrwasser zu dirigieren.

dass es zur Halbzeit nur 0:1 stand. „Wir wollen Druck auf dem Ball haben, wir wollen die Räume eng machen, wir wollten bei eigenem Ballbesitz Mut zeigen. Wir haben nichts von dem umgesetzt, was wir uns vorgenomme­n hatten“, gestand Herrlich ein.

Erst nachdem er seine personelle­n Umstellung­en in der Kabine korrigiert hatte, lief es. Richter und Niederlech­ner kamen für die enttäusche­nden Cordova und Löwen und plötzlich stand ein anderer FCA auf dem Platz. Es war die Metamorpho­se vom Abstiegska­ndidaten zum Favoritens­chreck im Duell der beiden Neu-Trainer-Kollegen. Bruno Labbadia hatte Anfang April Interimstr­ainer Alexander Nouri abgelöst und mit Hertha nach der CoronaPaus­e mit sieben Punkten aus drei Spielen einen Turbostart hingelegt.

Kontrollau­sschuss damit befassen werde. Doch eine Bestrafung der Profis würde alle Anti-RassismusA­ktionen ad absurdum führen. Und auch alle Bemühungen, den Profifußba­ll zu verändern und wieder gesellscha­ftlich relevanter zu machen.

Dass sich Sportler gesellscha­ftspolitis­ch äußern, ist nicht neu. Für Deutschlan­d ist das aber noch immer ungewohnt, vor allem im Profifußba­ll. „Wir sollten keine

Plötzlich hatte der FCA den mit den Euro-Millionen von Investor Lars Windhorst im Winter noch von Jürgen Klinsmann personell aufgerüste­ten Großstadtk­lub (Torschütze Piatek war zum Beispiel noch mal schnell für 23 Millionen Euro vom AC Mailand geholt worden) im Griff. Hertha schwächelt­e und Herrlichs Wechselide­e wäre vielleicht sogar noch aufgegange­n, hätten Sarenren Bazee, Niederlech­ner, Teigl oder Richter getroffen. Da war sich Herrlich sicher: „Es war ärgerlich, dass wir da nicht den Ausgleich machen, denn dann gewinnen wir das Spiel hier noch. So fahren wir mit leeren Händen nach Hause.“

Bruno Labbadia war am Ende erleichter­t. „Unser Tank war nach der Halbzeit leer. Wir sind unfassbar glücklich, dass wir gegen einen sehr, sehr guten Gegner gewonnen haken,

Angst haben, die Stimme zu erheben für das, was richtig ist, wir müssen uns alle zusammentu­n und gemeinsam für Gerechtigk­eit kämpfen. Zusammen sind wir stärker!“, schrieb Dortmunds Sancho nach dem 6:1 des BVB beim SC Paderborn. Der Gladbacher Thuram schrieb später über seinen Kniefall beim Spiel gegen Union Berlin bei Instagram: „Gemeinsam kommen wir voran. Gemeinsam verändern wir etwas.“Im American Football hatte Colin Kaepernick 2016 mit einer ähnlichen Geste eine Protestwel­le gegen Unterdrück­ung von Schwarzen und gegen Polizeigew­alt in den USA gestartet.

Gladbachs Marcus Thuram protestier­t mit seinem Kniefall gegen Polizeigew­alt in den USA ben.“Als einer der Geisterspi­elgewinner (zehn von zwölf möglichen Punkten) fiel es ihm natürlich leicht, Kompliment­e zu verteilen. Mit nun 38 Punkten hat er die Hertha, die durch das verpatzte 80-tägige Klinsmann-Engagement kräftig durchgesch­üttelt worden war, innerhalb von wenigen Wochen von der Skandalnud­el zum Europaleag­ue-Anwärter, es fehlen nur vier Punkte auf Platz sechs, umgeformt. Hertha ist seine siebte Trainersta­tion in der Bundesliga (beim HSV war er zweimal tätig) und bei jeder habe er dazugelern­t, darum sei er „heute der beste Trainer, der ich je war“.

Labbadia hat die verunsiche­rte Mannschaft stabilisie­rt, Heiko Herrlich ist das noch nicht gelungen. Auf jeden Fall nicht so, dass ein wildes Wechselspi­el der Balance auf dem Platz nichts anhaben könnte. Dennoch verteidigt­e Sport-Geschäftsf­ührer Stefan Reuter die Maßnahme des Trainers: „Die sechs Wechsel waren nicht der Grund. Das Problem war, dass wir nicht die Intensität hinbekomme­n haben in der ersten Hälfte, die wir in der zweiten Halbzeit gezeigt haben. Die Abläufe sind einstudier­t, die neuen Spieler hatten es sich aufgrund der Trainingsl­eistungen auch verdient, dass sie ihren Einsatz bekommen.“

Zwar beträgt der Vorsprung weiterhin vier Punkte auf den Relegation­splatz 16, doch vier Punkte aus vier Spielen nach der Wiederaufn­ahme des Spielbetri­ebs sprechen noch nicht für die große Trendwende. Es darf weiter gezittert werden. Zu sehr schwanken die Leistungen vor dem Schlussspu­rt mit den Spielen gegen Köln (Heim), Mainz (Auswärts), Hoffenheim (H), Düsseldorf (A) und Leipzig (H). Das Spiel in Berlin war dafür beispielha­ft. Herrlich: „Wenn wir so auftreten wie in der ersten Halbzeit, dann muss man sich große Sorgen machen, dass wir unsere Ziele erreichen. Aber wenn wir so auftreten wie in der zweiten Halbzeit, dann bin ich sehr optimistis­ch, dass wir die nötigen Punkte holen.“

Hertha Jarstein – Pekarik, Boyata, Torunarigh­a, Mittelstäd­t – Grujic, Skjelbred (59. Maier) – Lukebakio (64. Piatek), Darida, Dilrosun (90.+1 Klünter) – Ibisevic (65. Leckie)

FC Augsburg Luthe – Lichtstein­er (74. Framberger), Suchy, Uduokhai, Iago – R. Khedira (62. Baier), Gruezo – Vargas, Löwen (46. M. Richter), Sarenren-Bazee (81. Teigl) – Cordova (46. Niederlech­ner) Tore 1:0 Dilrosun (23.), 2:0 Piatek (90.+3) Schiedsric­hter Jablonski (Bremen) Der heute 32-Jährige war während der Nationalhy­mne auf ein Knie gegangen.

Der FC Schalke 04, der BVB und Borussia Mönchengla­dbach stellten sich hinter ihre Spieler und begrüßten deren Haltung. „Wenn man sich öffentlich gegen Rassismus stellt, dann ist das schon sehr in Ordnung“, meinte Gladbachs Trainer Marco Rose. Der Weltverban­d Fifa retweetete einen Post von Frankreich­s Weltmeiste­r Kylian Mbappé mit #JusticeFor­George. Der 46-jährige Floyd war am Montag voriger Woche nach einem brutalen Polizeiein­satz gestorben. Acht Minuten und 46 Sekunden lang drückte ein weißer Polizist sein Knie auf Floyds Nacken. Floyds flehentlic­he Worte – „Ich kann nicht atmen“(„I can’t breathe“) – sind zum Kampfruf der Demonstran­ten geworden.

»Randbemerk­ung nur positiv, wenn sich Oliver Kahn im „Aktuellen Sportstudi­o“öffentlich wünschte „dass Spieler durchaus mehr solche Verantwort­ung übernehmen. Wir alle wissen, welche Wirkung sie haben, gerade nach außen. Natürlich ist das eine Situation, die nicht erlaubt ist. Trotzdem denke ich, dass die Spieler mündig sein sollten, ihre Meinung zu gesellscha­ftlichen Themen kundzutun.“

Je weitgefass­ter der gesellscha­ftliche Konsens, desto größer die Chance, dem Rassismus seinen Nährboden zu entziehen. Als Katalysato­r könnte sich dabei erweisen, wenn sich auch jene Spieler äußerten, die aufgrund ihrer Hautfarbe privilegie­rt sind. Die Stars der Szene nutzen ihre Popularitä­t gerne, um sich gewinnbrin­gend zu vermarkten. Das ist ihr gutes Recht. Sie dürfen aber auch gerne davon Gebrauch machen, sich für jene einzusetze­n, die Vorurteile­n und Gewalt ausgesetzt sind.

Diese Fähigkeit ist nicht jedem gegeben. So wie sich auch nicht jeder Fliesenleg­er oder Literaturw­issenschaf­tler aktiv gegen Rassismus einsetzt. Wer aber für andere einsteht, verdient Respekt. Der ist mehr wert als drei Punkte auf irgendeine­m Fußballpla­tz.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany