Guenzburger Zeitung

Bio boomt in Bayern

Das Interesse der Verbrauche­r ist groß und die Zahl der Öko-Betriebe wächst. In welchen Regionen es besonders viele gibt, womit man biologisch­e Lebensmitt­el nicht verwechsel­n sollte und welche Rolle Corona spielt

- VON STEPHANIE SARTOR

Die Zahl der ökologisch wirtschaft­enden Betriebe wächst in Bayern. Auch wegen Corona ist „bio“heute gefragter denn je.

Kaufbeuren Die Schweine von Andrea Kögel haben – wenn man so will – Schwein gehabt. Die Tiere leben auf einer großen Wiese, dösen an sommerheiß­en Tagen unter einem Baum im Schatten und trotten am Abend in einen Wagen, in dem sie in einen tiefen Schweinesc­hlaf fallen können. Die Tiere auf dem Hof der Landwirtin aus Oy-Mittelberg im Oberallgäu – neben den Schweinen sind das unter anderem Mutterkühe mit ihren Kälbern, Ziegen und Hühner – werden alle biologisch gehalten. Das bedeutet: viel Platz und ökologisch erzeugtes Futter. Vor sieben Jahren wurde der Hof, auf dem es auch drei Ferienwohn­ungen gibt, mit einem Bio-Siegel zertifizie­rt. Alle Produkte, also etwa das Fleisch der Tiere oder die Eier der Hühner, werden somit als Bio-Produkte vermarktet, und zwar direkt auf dem Hof. Die Milch wird nicht verkauft, sie ist für die Kälbchen reserviert. „Uns geht es vor allem um eine wesensgere­chte, artgerecht­e Tierhaltun­g“, sagt Kögel. „Aber auch um den Klima- und Artenschut­z und darum, sich gesund zu ernähren. Und wenn ich selbst kein Getreide mit Pestiziden essen will, warum sollte ich es dann an Tiere verfüttern?“Im konvention­ellen Ackerbau werde einfach zu viel Gift verwendet, die Böden würden ausgeraubt, meint Andrea Kögel.

Die Zahl derer, die so denken wie Andrea Kögel, steigt. Im Jahr 2007 gab es in Schwaben 823 Bio-Betriebe, mittlerwei­le sind es 2005, wie aktuelle Zahlen zeigen. Zwischen den einzelnen Regionen gibt es aber große Unterschie­de: Im Oberallgäu arbeiten mehr als 22 Prozent aller Betriebe ökologisch. Im Landkreis Dillingen indes liegt der Anteil nur bei knapp über vier Prozent – deutlich unter dem schwäbisch­en Durchschni­tt von 12,2 Prozent. Betrachtet man allein die Fläche, dann schneidet das Ostallgäu in Schwaben und sogar bayernweit am besten ab. 18175 Hektar werden dort ökologisch bewirtscha­ftet.

Die Bio-Landwirtsc­haft hat übrigens auch durch die Corona-Krise einen kräftigen Schub bekommen. Das Marktforsc­hungsinsti­tut AMM fand heraus, dass in der Krise das Interesse der Verbrauche­r an BioProdukt­en deutlich gestiegen ist. 30 Prozent der Konsumente­n gaben an, ihre Bio-Einkäufe ausgeweite­t zu haben. Weniger als vier Prozent der Befragten verringert­en ihre Ausgaben für ökologisch erzeugte Produkte. Auch Zahlen der Gesellscha­ft für Konsumfors­chung (GfK) zufolge stieg die Nachfrage nach Lebensmitt­eln aus ökologisch­er Erzeugung in den ersten drei Monaten der Corona-Krise deutlich stärker als die Umsätze im Lebensmitt­elhandel insgesamt.

Franz Högg vom Fachzentru­m Ökologisch­er Landbau am Amt für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forsten in Kaufbeuren beobachtet den Bio-Boom ganz genau – natürlich nicht erst seit der Corona-Krise. „In den letzten vier, fünf Jahren gab es eine rasante Entwicklun­g, davor war es eher stagnieren­d“, sagt er.

Die Milchviehb­etriebe waren die Vorreiter

Die ersten, die von konvention­ell auf bio umgestellt haben, seien die Milchviehb­etriebe gewesen, fährt er fort. Denn bei ihnen sei der Aufwand für die Umstellung geringer als etwa bei Ackerbau-Betrieben. „Wer etwa schon einen Laufstall für die Kühe hatte und Weidehaltu­ng betrieben hat, der konnte ohne bauliche Maßnahmen umstellen.“Was das Grünland – also die Flächen, auf denen Gras für die Tiere angebaut wird – angehe, müssten die Bauern mit einem Ertragsrüc­kgang rechnen, da man auf mineralisc­hen Stickstoff verzichten müsse, erklärt Högg. „Das führt etwa zu 20 Prozent weniger Ertrag. Mit Gülle und Mist kann man das Grünland schon gut versorgen, aber eben nicht ganz.“Aber auch wenn der Ertrag geringer sei – die Bio-Milch werde besser bezahlt. Und diese Milch wird in Bayern in großen Mengen produziert. „Ich schätze, dass wir da einen Selbstvers­orgungsgra­d von 100 Prozent erreicht haben“, sagt Högg. In anderen Bereichen ist die Situation indes eine andere: Obwohl die Zahl der Öko-Betriebe wächst, müssen in Bayern noch immer viele Bio-Produkte importiert werden, etwa Getreide, Obst und Gemüse.

Dass es im Freistaat immer mehr Betriebe gibt, die ökologisch arbeiten, darüber freut man sich auch beim bayerische­n Landesbund für Vogelschut­z (LBV). „Die biologisch­e Landwirtsc­haft ist für unsere biologisch­e Vielfalt deutlich besser als die konvention­elle“, sagt der LBV-Vorsitzend­e Norbert Schäffer. Denn schließlic­h gebe es keine Pestizide, es werde weniger gedüngt. „Das ist für die Natur natürlich besser.“Schließlic­h seien Pestizide eine große Gefahr für Insekten – und wenn die weniger werden, schwindet die Nahrungsgr­undlage der Vögel. Auch wenn Schäffer die Vorzüge einer ökologisch­en Landwirtme­ine schaft preist – eines sieht der LBVVorsitz­ende allerdings kritisch: Auch in der biologisch­en Landwirtsc­haft könnten Strukturen wie etwa Hecken oder Blühfläche­n verloren gehen. Seine Forderung: „Solche Strukturen, die Vögeln und anderen Tieren als Rückzugsra­um dienen, müssten gezielt angelegt werden.“

Schäffer zufolge wäre es wichtig, das Bewusstsei­n für Bio-Produkte noch mehr zu schärfen. Dabei sieht er auch den Staat in der Verantwort­ung. „In Kantinen von staatliche­n Einrichtun­gen müssten mehr BioProdukt­e angeboten werden. Es muss ja keine komplette Umstellung auf Bio-Essen sein, aber ein Angebot von mehr als 30 Prozent wäre schon wünschensw­ert.“

Zudem müsse man die Menschen weiter aufklären – auch darüber, dass „regional“und „bio“– zwei Labels, die ja gerne miteinande­r verknüpft werden – doch sehr unterschie­dlich sein können. „Ein Beispiel: Das Schwein kann ja in Bayern aufgewachs­en sein, wird aber mit Soja aus Südamerika gefüttert.“Das Fleisch sei dann zwar regional, mit bio oder Nachhaltig­keit habe das aber nichts zu tun.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar auf der ersten Bayern-Seite.

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Foto: David-Wolfgang Ebener, dpa Immer mehr Konsumente­n greifen zu Produkten, die ein Bio-Siegel tragen.

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