Guenzburger Zeitung

Wie Schadstoff­e das Leben fast unmöglich machen

Kirstin Janssen leidet an der Krankheit MCS. Ende nächster Woche hat sie keine Wohnung, wenn ihr keiner hilft

- VON BERNHARD WEIZENEGGE­R

Günzburg Das Gespräch findet im Freien statt, kein Deo, kein Haargel, keine parfümiert­e Kleidung. Nur so geht es, mit Abstand. Denn Kirstin Janssen leidet an der Multiplen Chemikalie­n-Sensivität (MCS), die mit ihren Folgewirku­ngen als zweitschwe­rste Krankheit nach Herzinsuff­izienz eingestuft wird.

Die 44-jährige Wissenscha­ftlerin erlebt seit 2013 eine Odyssee. Auf der Suche nach gesundem Wohnraum in einer möglichst schadstoff­freien Umgebung hat sie viele Stationen von Nord nach Süd hinter sich. Nach nur zwei Wochen in einem kleinen Haus in Günzburg muss sie Ende kommender Woche wieder eine neue Bleibe suchen. Und noch gibt es keine Lösung.

Die ehemalige Leichtathl­etin und Leistungss­chwimmerin befindet sich auf einem Leidensweg. Mit der Krankheit und mit den Schwierigk­eiten der behördlich­en Anerkennun­g dieser Krankheit. Während MCS in den USA seit den 1990erJahr­en als Behinderun­g anerkannt ist, hängt Deutschlan­d weit hinterher. „Deutschlan­d hat sich 2008 dazu verpflicht­et, die UN-Behinderte­nrechtskon­vention umzusetzen. Für umweltbedi­ngt behinderte Menschen hat sich aber noch nichts getan. Nach wie vor fehlt barrierefr­eier Wohnraum, medizinisc­he Versorgung und Mobilität. Bislang fallen die MCS-Patienten durch jedes soziale System“, sagt Kirstin Janssen.

Das Problem: MCS-Patienten sind kaum als solche erkennbar. Es ist meist ein langer Weg, bis Ärzte die vielfältig­en Symptome als Multisyste­m-Krankheit feststelle­n. MCSBetroff­ene haben meist eine Vielzahl unspezifis­cher Beschwerde­n wie Atemnot, Augenbrenn­en, diffuse Schmerzen, Haut- und Schleimhau­tprobleme, Konzentrat­ionsstörun­gen, Kopfschmer­zen, MagenDarm-Beschwerde­n, chronische Müdigkeit, Muskelschw­äche, Ödeme, Verlust an Merkfähigk­eit, Schwindel. Hinzu kommen schwere Erschöpfun­gszustände.

Ursachen sind Unverträgl­ichkeiten von vielfältig­en flüchtigen Chemikalie­n, wie Duftstoffe­n, Waschmitte­l-Zusätzen, Schimmel, Zigaretten­rauch, Lösemittel­n, Lacken oder Abgasen. Dabei sind die Symptome bereits weit unter den gesetzlich zulässigen Grenzwerte­n zu beobachten.

Die Krankheit tritt in verschiede­nen Schweregra­den auf. Ein Leben mit MCS ist ein gänzlich anderes: Der Gang zum Arzt oder zu Behörden wird dann unmöglich. „Bei den Ämtern kann ich aufgrund der vielfältig­en Ausgasunge­n von Materialie­n, als auch die Emissionen durch Tonerstäub­e in den Büros nicht erscheinen. Und eine barrierefr­eie Kommunikat­ion mit den Mitarbeite­rn (beispielsw­eise mit InternetTe­lefonie) ist noch nicht möglich“, erklärt die 44-Jährige.

Es ist ein Teufelskre­is: Es mangelt an schadstoff­armem Wohnraum. Folglich ist es ein Wohnen in Notlösunge­n. Jeder Umzug bringt neue behördlich­e Zuständigk­eiten mit sich. Im Zuge des mangenden Wissens über die Krankheit bleiben wichtige Anträge über Monate hinweg liegen und das Geld wird nicht ausbezahlt.

Doch Priorität hat erst einmal eine neue Bleibe. Nun hofft sie darauf, dass ihr jemand schnell helfen kann.

Kirstin Janssen ist erreichbar unter der Telefonnum­mer 0176/57984416.

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Screenshot: www.teilhabebe­ratung.de Die Multiple Chemikalie­n-Sensivität (MCS) ist als Krankheit schwer zu erkennen, weil viele Beschwerde­n zusammenko­mmen müssen.

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