Kein Tropfen Trinkwasser mehr
Im niedersächsischen Lauenau haben die Bürger ihren Speicher am heißesten Wochenende des Jahres restlos geleert. Heuer kommen mehrere Faktoren zusammen, die Wasser knapp werden lassen
Lauenau Es ist Sommer, es ist heiß – man sehnt sich nach Abkühlung in der Dusche, vielleicht reicht auch ein eiskaltes Getränk. Man dreht den Wasserhahn auf – und heraus kommt kein einziger Tropfen. Für Bürger in Deutschland ist das nahezu unvorstellbar. Doch genau dieser Albtraum ist für die Menschen im niedersächsischen Lauenau (Kreis Schaumburg) am bisher heißesten Sommerwochenende – den Rekord meldete im übrigen Trier mit 38,6 Grad – wahr geworden. Am Samstagmittag war der Wasserspeicher, der normalerweise die 4000 Lauenauer versorgt, auf null gelaufen. „So was kennt man eigentlich nur aus dem Fernsehen“, sagt ein Bewohner am Wochenende in einem Beitrag des NDR. „Wasserknappheit – man denkt, das gibt’s nur in armen Ländern.“Oh nein.
Immer und immer wieder ertönen am Samstag die Sirenen in Lauenau. Die Feuerwehr fährt durch die Straßen der Wohngebiete, warnt die Menschen, dass die Situation beim Trinkwasser „weiterhin kritisch“sei. Die Bürger sind aufgerufen, wo immer es geht Wasser zu sparen. Die Leute beunruhigt das:
„Da ist natürlich Panik bei den Leuten“, sagt ein Autofahrer dem Fernsehsender. Die Supermärkte reagieren sofort: Sie füllen, so gut es am Wochenende geht, ihre Wasservorräte auf. Natürliches Wasser in der Flasche ist plötzlich ähnlich begehrt, wie es Toilettenpapier zu Beginn der Corona-Krise war.
Ein Grund für das Wasserproblem ist nicht nur die Hitze, sondern dass viele Bürger dieses Jahr wegen der Corona-Pandemie Urlaub zu Hause machen. Dadurch steigt der Wasserverbrauch in Deutschland. Der Energiedienstleister Techem hat ausgerechnet, dass der Wasserverbrauch während des Lockdown im März und April durchschnittlich um zehn Prozent gestiegen ist.
„Es kommt wirklich gar nichts mehr“, sagt Georg Hudalla, der parteilose Bürgermeister, am Samstag. Noch dazu ist die Wasserversorgung in der Region ohnehin anfällig für Hitze: Sie speise sich aus drei oberflächlichen Quellen im Deister, einem Mittelgebirgszug. Der Vorteil: Das Wasser sei sehr sauber und nitratfrei. Der Nachteil: Die Quellen reagieren schnell auf das Wetter, in diesem Fall die Trockenheit. Doch die Bürger helfen zusammen, der Wassermangel in ihrer Gemeinde bringt ein Übermaß an Nachbarschaftshilfe hervor. Am Feuerwehrhaus stellen die Mitglieder Behälter mit sogenanntem Brauchwasser etwa für die Toilettenspülungen auf, das sich die Bürger abholen können. Mit ihren Eimern werden die Lauenauer nach und nach zum Feuerwehrfahrzeug gerufen, wo das Wasser wie aus einer Zapfanlage abgefüllt wird. Dazu verteilen Tanklöschfahrzeuge ihr Brandwasser in den Ortsteilen. Lange Schlangen bilden sich auch vor dem örtlichen Freibad: Irgendwo muss man ja Abkühlung finden.
Und es funktioniert: Schon am Samstagnachmittag sei der Verbrauch um zwei Drittel gesunken, freut sich der Bürgermeister einen Tag später. Die Lage sei „beherrschbar“. Über Nacht habe sich der Speicher ein Stück aufgefüllt – wenn auch „nicht in dem Maße wie erhofft“. Der zuständige Energieversorger Enercity nutzt den Fall in Lauenau, um ganz grundsätzlich zum sorgsamen Umgang mit Wasser aufzurufen. Was in Deutschland die Ausnahme darstellt, ist weltweit ein
Problem, das sich verschärft: Die Vereinten Nationen haben erst im März vor einer drastischen Ausdehnung von Trockengebieten in der Welt gewarnt. 2,2 Milliarden Menschen fehle schon jetzt der Zugang zu sauberem Wasser. Und wenn der Klimawandel weiter im derzeitigen Tempo fortschreite, sei die Wasserversorgung von Milliarden Menschen gefährdet.
Der Unesco zufolge ist der Wasserverbrauch heute sechsmal so hoch wie noch vor 100 Jahren und steigt jedes Jahr um ein Prozent. Das liegt natürlich nicht in erster Linie an Privathaushalten, sondern an der wachsenden Bevölkerung und an der Wirtschaft.
In Bayern sind nach Angaben des Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz 99,2 Prozent der Einwohner an die öffentliche Trinkwasserversorgung angeschlossen. Andere versorgen sich oft über eigene Brunnen. Rund 2200 Unternehmen kümmern sich darum, dass genügend Wasser flächendeckend und mit „hoher Zuverlässigkeit“verfügbar sei. Das aber haben auch die Menschen in Lauenau lange gedacht.