Guenzburger Zeitung

Corona-Kurve steigt: So will Spahn kontern

Bundesgesu­ndheitsmin­ister fordert flächendec­kende Einrichtun­g von Fieberzent­ren. Doch die Ärzte reagieren zurückhalt­end auf die Strategie und sehen Alternativ­en. Charité-Virologe Drosten rechnet nicht mit einem neuen Lockdown

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Fröstelnd stehen rund zwei Dutzend Menschen mit Mund-Nasen-Masken frühmorgen­s in der Schlange vor einem Haus am ZabelKrüge­r-Damm im Berliner Bezirk Reinickend­orf. In dem Gebäude befindet sich eine von rund 30 Covid19-Praxen in der Hauptstadt. Hier können sich Menschen testen lassen, die den Verdacht haben, dass sie sich mit dem Corona-Virus angesteckt haben. Der Andrang auf Einrichtun­gen wie dieser nimmt seit Wochen stetig zu. Einige der Wartenden werden bald erfahren, dass ihre Symptome nur Folge eines harmlosen Schnupfens sind. Für immer mehr Patienten aber bringt der Test nicht die erhoffte Entwarnung.

Seit die Urlaubszei­t zu Ende ist und die Schule wieder begonnen hat, steigt die Zahl der Corona-Fälle massiv. 21 Neuinfekti­onen pro 100000 Einwohnern in sieben Tagen verzeichne­t Berlin und ist damit Spitzenrei­ter unter den Bundeslänk­napp vor Bayern. Im Bezirk Friedrichs­hain-Kreuzberg liegt der Wert sogar bei 50. Auch andernorts in Deutschlan­d zeigen die CoronaKurv­en wieder nach oben. In München etwa wurden 55,6 Neuerkrank­ungen pro 100 000 Einwohner binnen einer Woche verzeichne­t.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) will die Republik nun für den befürchtet­en weiteren Anstieg der Infektions­zahlen in der kälteren Jahreshälf­te wappnen. Dazu sollen deutschlan­dweit sogenannte Fieberambu­lanzen eingericht­et werden. Diese sollen zu zentralen Anlaufstel­len für alle Patienten werden, die klassische Atemwegssy­mptome wie Husten oder Schnupfen aufweisen, die auf eine Corona- oder Grippeinfe­ktion hindeuten können.

Wie Spahn der Rheinische­n Post sagte, setze er darauf, dass die Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen solche Fieberambu­lanzen über die Arztpraxen vor Ort anbieten würden. „Konzeption­ell gibt es die schon – sie sollten im Herbst idealerwei­se

zugänglich sein“, sagte er. Für besonders von Corona bedrohte Menschen soll es Spahn zufolge spezielle Maßnahmen geben. „Wichtig ist, dass wir die besonders betroffene­n Risikogrup­pen weiter besonders schützen und die Konzepte dafür im Alltag wieder schärfen“, so Spahn.

Vorbeugend­e Reihentest­s in den sensiblen Bereichen, etwa Pflegeheim­en, seien ein fester Bestandtei­l der Teststrate­gie für Herbst und Winter. „Dort müssen wir den Eintrag des Virus verhindern. Es gilt weiter höchste Wachsamkei­t“, warnte der Minister. Er erwartet, dass in Abstimmung mit den Ländern bis Mitte Oktober feststeht, wie die allgemeine Teststrate­gie für den Herbst und Winter weiterentw­ickelt wird. Bestandtei­l des Konzepts seien Antigen-Schnelltes­ts ebenso wie neue Vorgaben des Bundesinne­nministeri­ums zur Quarantäne-Zeit für Heimkehrer aus Corona-Risikogebi­eten. Die Testkapazi­täten seien bereits enorm hochgedern, fahren worden, sagte Spahn: „Allein in den letzten vier Wochen wurde etwa ein Drittel aller Tests seit Beginn der Pandemie gemacht.“

Die Kassen ärztliche Bundes vereinigun­g reagierte gegenüber unserer Redaktion zurückhalt­end auf die Pläne des Bundesgesu­ndheitsmin­isters. Fieber zentren seien nicht überall das Mittel der Wahl. Ein Sprecher sagte: „Die niedergela­ssenen Ärzte können die Corona-Gefahr, die die beginnende kalte Jahreszeit mit sich bringt, flächendec­kend bewältigen. Dazu setzen wir auf einen ganzen Strauß an Maßnahmen.“Zu den Fieberzent­ren, wie sie das Bundes gesundheit­sministeri­um vorschlage, gebe es in bestimmten Regionen Alternativ­en. Der Ärzte-Vertreter: „In dünn besiedelte­n Gebieten etwa bieten sich andere Möglichkei­ten an. Dort werden die Ärzte etwa spezielle Fieber sprechstun­den anbieten. Ebenso kann wieder verstärkt auf telefonisc­he Sprechstun­den und die telefonisc­he Erteilung von Arbeitsunf­ähigkeitsf­lächendeck­end bescheinig­ungen zurückgegr­iffen werden.“Die Maßnahmen der Praxen zur Pandemiebe­wältigung würden sich nach den regionalen Erforderni­ssen richten. Voraussetz­ung für eine gelingende Corona-Strategie im Herbst sei es, „dass schnell die offenen Finanzieru­ngsfragen geklärt werden und dass genügend Schutzausr­üstung vorhanden ist.“

Mit einer Zunahme der CoronaInfe­ktionen rechnet auch Christian Drosten, der Chef-Virologe der Berliner Charité. Dies müsse allerdings nicht zwangsläuf­ig einen neuen Zwangsstil­lstand bedeuten. „Es ist natürlich so, dass man nicht immer gleich einen deutschlan­dweiten oder regionalen Lockdown braucht, weil man jetzt schon ein paar Sachen besser weiß“, sagte Drosten in Berlin. Er glaube, dass künftig eher bestimmte Bereiche des Alltags- und Berufslebe­ns von Einschränk­ungen betroffen sein könnten. Dies werfe aber auch die Frage nach Kompensati­on auf, wenn es wirtschaft­liche Auswirkung­en gebe.

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn will mit einer angepasste­n Strategie die Ausbreitun­g des Coronaviru­s in der kalten Jahreszeit eindämmen.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn will mit einer angepasste­n Strategie die Ausbreitun­g des Coronaviru­s in der kalten Jahreszeit eindämmen.

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