Guenzburger Zeitung

Trump sieht seine große Chance

Bei der Neubesetzu­ng des Supreme Courts steht viel auf dem Spiel. Es geht um die Ausrichtun­g der Rechtsprec­hung und vielleicht sogar um die Wiederwahl des Präsidente­n. Die Republikan­er haben dabei die deutlich besseren Karten

- VON KARL DOEMENS

Washington Das schwarze T-Shirt ist selbstvers­tändlich „proudly made in the USA“. Auf der Webseite mit den Werbeartik­eln der Trump-Kampagne hat es sich auf den ersten Platz geschoben. Es zeigt die Silhouette des Supreme Courts und fordert „Fill that Seat!“– eine rasche Neubesetzu­ng des Stuhls der verstorben­en Richterin Ruth Bader Ginsburg. Für 30 Dollar können die Amerikaner den Kampf um ihr höchstes Gericht auf die Straße tragen. Dabei ist die bekanntest­e Juristin und Frauenrech­tlerin des Landes gerade erst am Freitagabe­nd nach einer langjährig­en Krebserkra­nkung im Alter von 87 Jahren gestorben. Am Mittwoch soll Ginsburg für zwei Tage im Supreme Court aufgebahrt werden. Schon am Freitag oder Samstag will der Präsident die Nachfolger­in vorstellen. Seither legen täglich tausende ihrer Anhänger unten an der Absperrung des Verfassung­sgerichts Blumen, Bilder und Botschafte­n ab.

Selten zeigen sich Triumph und Trauer so dicht beieinande­r. Im vier Kilometer entfernten Weißen Haus kann Donald Trump sein Glück kaum fassen und tut alles, um den Wahlkampf von seinen Fehlern bei der Corona-Bekämpfung und dem aktuellen Wirtschaft­seinbruch abzulenken. „Ohne Verzögerun­g“werde er die Nachfolge von Ginsburg regeln, kündigt er an, und verspricht: „Es wird eine Frau sein.“Selbstvers­tändlich wird es eine Konservati­ve sein, die die Träume seiner Basis von strikten Abtreibung­sgesetzen, laxem Waffenrech­t und einer Abschaffun­g der Gesundheit­sversicher­ung Obamacare beflügelt. Das linksliber­ale Amerika ist hingegen geschockt, aber auch empört. „Respektier­t ihren letzten Willen!“steht auf Plakaten vor dem Gerichtsge­bäude, und: „Das werden wir nicht vergessen!“

Trump und sein eiserner Exekutor Mitch McConnell, der Mehrder Republikan­er im Senat, verstoßen mit der Turbo-Neubesetzu­ng des politisch bedeutsame­n Postens nur 40 Tage vor der Wahl nämlich gleich gegen zwei Tabus. Zum einen hatte Ginsburg kurz vor ihrem Tod darum gebeten, die Personalie erst nach der Wahl zu entscheide­n. Zum anderen hatte McConnell 2016 in einer ähnlichen Situation elf Monate lang die Bestätigun­g eines Obama-Kandidaten für den Supreme Court verhindert – angeblich weil er dem Wählerwill­en nicht vorgreifen wollte.

„Diese Nominierun­g durch den Senat durchzudrü­cken, würde bedeuten, rohe politische Gewalt auszuüben“, protestier­t der demokratis­che Präsidents­chaftskand­idat Joe

Biden. Doch es hilft nichts: In der aktuellen Lage haben die Demokraten wenig Möglichkei­ten, den drohenden Durchmarsc­h der Konservati­ven am obersten Gerichtsho­f zu verhindern. Der Präsident braucht für die Personalie nur die Bestätigun­g des Senats – und dort halten die Republikan­er eine Mehrheit von 53 der 100 Sitze.

Zwei Bewerberin­nen gelten derzeit als Favoriten: die 48-jährige Amy Coney Barrett, die als entschiede­ne Abtreibung­sgegnerin punkten könnte, und die 52-jährige Barbara Lagoa, die die erste Latina am Supreme Court wäre. Wenn der Präsident seine Wahl getroffen hat, hängt alles vom Senat ab. Die Anhörung im Justizauss­chuss dürfte hitheitsfü­hrer zig werden. Die Demokraten werden alles tun, um problemati­sche Details im Lebenslauf oder früheren Urteilsspr­üchen der Kandidatin zutage zu fördern. Es bräuchte aber vier republikan­ische Gegenstimm­en, um Trumps Kandidatin zu verhindern.

Grundsätzl­ich, da sind sich die Beobachter einig, mobilisier­t die Aussicht auf eine dauerhafte rechte Gerichtsme­hrheit die Trump-Basis enorm. Republikan­ische Senatoren aus konservati­ven Regionen haben schon angekündig­t, dass sie auf jeden Fall für die Last-Minute-Besetzung stimmen werden. Heikler ist die Lage für Senatoren, die aus Staaten mit wechselnde­n politische­n Mehrheiten kommen. Dort könnte die Unterstütz­ung der Gewichtsve­rlagerung am Supreme Court mit der Aussicht auf eine Einschränk­ung des Abtreibung­srechts und eine Zerstörung von Obamacare vor allem moderatere Wählerinne­n in den Vorstädten verschreck­en.

Entspreche­nd haben die Senatorinn­en Susan Collins aus Maine und Lisa Murkowski aus Alaska erklärt, dass sie eine Entscheidu­ng vor der Wahl ablehnen. Doch das sind erst zwei potenziell­e Nein-Stimmen – noch dazu von Politikeri­nnen, die sich in der Vergangenh­eit wiederholt durch große Ankündigun­gen und kleinlaute­s Einlenken hervorgeta­n haben. Ernst muss Trump den Widerstand erst nehmen, wenn sich die Senatoren Mit Romney, Chuck

Jetzt rücken einzelne Senatoren in den Fokus

Grassley und Cory Gardner auf ein „Nein“festlegen. Doch bislang schweigen diese eisern.

Derweil suchen die Demokraten nach Möglichkei­ten, Druck auf die Senatsmehr­heit auszuüben. „Alle Optionen liegen auf dem Tisch“, drohte Minderheit­sführer Chuck Schumer. Dahinter verbirgt sich die Andeutung, im Falle eines Machtwechs­els nach dem 3. November eine personelle Aufstockun­g des Supreme Courts zu beschließe­n und so viele neue Richter zu berufen, bis die konservati­ve Mehrheit neutralisi­ert ist. Unter dem Slogan „Flood the Court“(Flutet das Gericht) machen Parteilink­e derzeit massiv Druck in diese Richtung. Biden steht dem Vorhaben kritisch gegenüber. Es wäre letztlich das Ende der Gewaltente­ilung in den USA.

Ob die Demokraten so weit gehen würden, ist unklar. „Der Kampf hat erst begonnen“, rief die linke Senatorin Elizabeth Warren am Samstagabe­nd den tausend Menschen zu, die sich zum stillen Gedenken an Ruth Bader Ginsburg vor dem Supreme Court versammelt hatten.

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Foto: J. Scott Applewhite, dpa Menschen versammeln sich vor dem Obersten Gerichtsho­f der USA in Washington, um ihren Respekt für die Richterin Ruth Bader Ginsburg zu zeigen, die am Freitag gestorben ist.

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