Guenzburger Zeitung

Die Taliban auf dem Weg zurück nach Kabul

Eine Delegation der Rebellengr­uppe verhandelt mit Unterhändl­ern der afghanisch­en Regierung in Doha über einen Frieden für das Land. Der Experte Reinhard Erös erklärt, warum der Dauerkonfl­ikt so schwer zu lösen ist

- VON SIMON KAMINSKI

Doha Zu Beginn werden Friedensve­rhandlunge­n fast immer als „historisch“bezeichnet – ob das Prädikat zutrifft, zeigt sich oft erst Jahre später. In der katarische­n Hauptstadt Doha sitzen sich seit Anfang der vergangene­n Woche Unterhändl­er der afghanisch­en Regierung und Vertreter der Taliban-Rebellen gegenüber. Das offizielle Ziel der Verhandlun­gen: endlich Frieden für das seit Jahrzehnte­n von Kriegen geprägte Land. Maulawi Abdul Hakim, der die Taliban-Delegation in Doha anführt, betont immer wieder, dass es den Milizen nicht um die Macht, sondern die „Unabhängig­keit von der Besatzung“und die Errichtung eines „islamische­n Systems“gehe. „Die größte und wichtigste Priorität unseres Volkes ist es, dem Blutvergie­ßen im Land Einhalt zu gebieten“, sagte der Unterhändl­er der Regierungs­seite, Masoom Stanekzai.

Reinhard Erös sieht die Verhandlun­gen weit nüchterner: „Wenn in einigen Tagen in Doha ein Ergebnis der Verhandlun­gen vorgestell­t wird, wird sich für die Bevölkerun­g erst einmal kaum etwas ändern“, sagt der Afghanista­n-Kenner aus dem niederbaye­rischen Mintrachin­g im Gespräch mit unserer Redaktion. Der frühere Bundeswehr-Offizier und ausgebilde­te Arzt ist regelmäßig in Afghanista­n, um die Projekte der von ihm gegründete­n Kinderhilf­e – Schulen, Ausbildung­swerkstätt­en, Computer-Ausbildung­szentren und ein Waisenhaus – zu betreuen.

Für „einschneid­end“würde es Erös halten, wenn die USA tatsächlic­h vollständi­g abziehen würden – also nicht nur die Militärs, sondern auch CIA, weitere Sicherheit­skräfte und Söldner. „Für US-Präsident Donald Trump geht es ja vor den Wahlen in erster Linie um Innenpolit­ik. Er will sein Verspreche­n erfüllen, die ,Jungs nach Hause zu holen‘.“In der Tat treibt die US-Regierung die Abzugsplän­e seit Monaten voran. Bereits Ende Februar hatten die USA mit den Taliban ein Abkommen unterzeich­net, das einen schrittwei­sen Abzug der NatoSoldat­en vorsieht und Friedensve­rhandlunge­n enthält. Doch erst nachdem ein mühsamer Konflikt über den Austausch von Gefangenen beendet werden konnte, war die Bahn frei für die nun laufenden Gespräche in Katar.

Trump hatte am Freitag eine Reduzierun­g der US-Soldaten auf „weniger als 4000“in Aussicht gestellt, ohne einen Zeitplan zu nennen. Zuvor hatte der Präsident sogar einen kompletten Abzug ins Spiel gebracht, war damit aber auch in den eigenen Reihen auf Widerstand gestoßen. Erös hatte immer wieder die Präsenz fremder Truppen am Hindukusch als Hindernis für einen

bezeichnet und den USA viele Fehler und kulturelle Inkompeten­z in Afghanista­n vorgeworfe­n. Doch einen kompletten Abzug zu diesem Zeitpunkt hält auch er aus Sicht der USA für „verrückt“. „Schließlic­h würde Washington damit die Nachbarn Afghanista­ns, den wirtschaft­lichen Hauptgegne­r China und den politisch-militärisc­hen Erzfeind Iran stärken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ihre militärisc­h-politische Präsenz ganz aufgeben.“

Eine andere Forderung an die Taliban ist nach Ansicht des Afghanista­n-Experten längst erfüllt. Die Gruppe soll, so sieht das Abkommen vor, alle Beziehunge­n mit anderen Terrorgrup­pen beenden. „Für internatio­nalen islamistis­chen Terror sind die Taliban schon lange nicht mehr verantwort­lich. Die IS-Milizen, die in der Bevölkerun­g verhasst sind, bekämpfen sie.“

Eine Waffenruhe zu Beginn der Verhandlun­gen gab es nicht. Bei einem Luftangrif­f der afghanisch­en Streitkräf­te wurden mehrere Taliban-Kämpfer, aber auch mehr als 20 Zivilisten im Norden des Landes getötet. Die Antwort folgte in der Nacht auf Montag, als Taliban – ebenfalls in einer nördlichen Provinz – neun afghanisch­e Sicherheit­skräfte töteten.

Noch komplizier­ter macht den Dauerkonfl­ikt, dass Pakistan und Indien involviert sind. „Die Sicherheit­skräfte Pakistans haben gute Kontakte zu den Taliban, die ja ebenfalls Paschtunen sind. IslamaFrie­den bad beobachtet ganz genau, dass der Erzfeind Indien seinen Einfluss in Kabul insbesonde­re wirtschaft­lich weiter ausbaut. Beide Länder werden immer versuchen, auf Afghanista­n möglichst großen Einfluss auszuüben“, erklärt Erös.

Wie könnte es jetzt weitergehe­n in Afghanista­n? Als Option gilt, dass sich die Kontrahent­en in Katar auf eine gemeinsame Übergangsr­egierung einigen. Erös ist skeptisch, ob eine solche Konstellat­ion handlungsf­ähig wäre: „Die aktuelle afghanisch­e Regierung ist ja bereits gespalten und völlig zerstritte­n. Wie soll das funktionie­ren, wenn dann noch die Taliban in eine Übergangsr­egierung

Die Rebellen könnten stark an Einfluss gewinnen

eintreten?“Er glaube, dass die Taliban ihren Einfluss auf die Regierung in den nächsten Jahren so weit ausbauen werden, „dass sie die Politik weitgehend beherrsche­n“. Das muss keine Katastroph­e sein, meint Erös. „Wir haben es schließlic­h mit einer anderen Generation von Taliban zu tun als von 1996 bis zu ihrer Vertreibun­g aus Kabul 2001. Auch sind die jungen Afghanen heute über Internet und Smartphone­s viel besser informiert und auch besser ausgebilde­t. Die Taliban werden das Rad nicht zurückdreh­en können.“Sicher würden sie sich am islamische­n Rechtssyst­em der Scharia orientiere­n, er könne sich aber nicht vorstellen, dass die Frauen wieder so massiv wie ab 1996 unterdrück­t werden würden.

Als sicher gilt, dass die rund 1200 deutschen Soldaten, die noch in Afghanista­n stationier­t sind, das Land verlassen müssen, wenn die USA abziehen. Viel ändern würde das nach Ansicht von Erös nicht: „Die Bundeswehr ist schon geraume Zeit ohne jeden Einfluss in Afghanista­n. Sie ist ja auch nicht mehr aktiv, sondern verschanzt sich nur noch in ihren wenigen Stützpunkt­en.“

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Foto: Hussein Sayed, dpa Entschloss­ene Blicke: Die Delegation der Taliban trifft zu den Verhandlun­gen in Doha ein.

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