Verdi setzt voll auf Bonus für Corona-Helden
Im Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst pocht die Gewerkschaft auf Anerkennung der in der Pandemie gezeigten Leistungen von Pflegern, Schwestern, und Erziehern. Ökonomisch steht die Forderung auf tönernen Füßen
Berlin Ein Gewerkschaftschef will testen, wie viel warme Worte und Beifall von Balkonen für CoronaHelden wirklich wert sind. Frank Werneke setzt deshalb ungewöhnlich früh für Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst die Arbeitgeber mit Warnstreiks unter Druck. In kommunalen Kliniken müssen sich Patienten darauf einstellen, dass sich nicht mehr in vollem Umfang um sie gekümmert wird. Eltern müssen damit rechnen, dass der städtische Kindergarten geschlossen bleibt.
Das Ziel: Schwestern und Pfleger in den Kliniken, Erzieherinnen und Erzieher in den Kindergärten und Busfahrer der kommunalen Linien sollen 4,8 Prozent mehr Geld bekommen. Mindestens 150 Euro sollen es pro Monat sein. Verdi kämpft aber nicht nur für die viel Gelobten, sondern für insgesamt 2,3 Millionen Beschäftigte beim Bund und den Kommunen. Hinzu kommen rund 200000 Beamte, die den Tarifabschluss traditionell übernehmen.
„Von Respekt und Anerkennung gegenüber den Beschäftigten war nichts zu spüren“, fasste Verdi-Chef Werneke die ersten beiden erfolglosen Gesprächsrunden aus seiner Sicht zusammen. Im schwersten
Wirtschaftseinbruch seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Lohnforderung eine stattliche Ansage an die öffentlichen Arbeitgeber, die die höheren Löhne bezahlen müssten, während gleichzeitig die Steuereinnahmen wegbrechen. Setzen sich Verdi und der Beamtenbund dbb voll durch, würden die Lohnkosten um 6,5 Milliarden Euro pro Jahr klettern. Pro Prozentpunkt, so hat es Verdi selbst ausgerechnet, steigt die Belastung um 1,3 Milliarden Euro.
Bei den Kommunen stößt das forsche Vorgehen auf Unverständnis. „Die Streiks sind nicht nötig. Es wird gegen die Kindergärten gehen und wir wissen alle, was Eltern und Kinder in den letzten Monaten durchgemacht haben“, sagte der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, unserer Redaktion. Ein neuer Verhandlungstermin stehe fest. Die Forderung von einem Lohnplus um 4,8 Prozent „ist nicht darstellbar“. Landsberg verlangte trotz der angespannten Kassenlage keine Nullrunde. „Der öffentliche Dienst hat sich in der Krise bewährt. Die haben einen harten Job gehabt“, meinte er.
Im kleinen Einmaleins der Tarifverhandlungen setzt sich die Lohnforderung aus den drei Komponenten Inflation, dem Produktivitäts
und der sozialen Umverteilung zusammen. Wegen der Konjunkturkrise steigen die Preise aber derzeit gar nicht oder nur minimal. Für das Gesamtjahr sagen die Wirtschaftsforscher eine Teuerung von einem halben Prozent voraus. Bei der Produktivität wird sogar ein Minus zwischen 1 bis 2,4 Prozent erwartet. Aus diesen beiden Faktoren ergäbe sich also, dass die Löhne sogar sinken müssten. Der verlangte Aufschlag lässt sich also derzeit mit der Umverteilung als Dank für die Leistungen in der Bekämpfung des Corona-Virus begründen.
Die kommunalpolitische Sprecherin der Grünen stellt sich dennoch auf die Seite der Beschäftigten. „Monatelang wurde in dieser Corona-Krise von den Heldinnen und Helden des Alltags gesprochen. Da braucht es mehr als Sonntagsreden und ein Danke“, sagte Britta Haßelmann unserer Redaktion. Durch das vergangene Woche beschlossene Pafortschritt ket zur Entlastung hält sie die Kämmerer bis Jahresende für handlungsfähig. „Da müssen jetzt auch die Länder ihren Teil der Verantwortung tragen“, forderte Haßelmann, die auch Parlamentarische Geschäftsführerin ihrer Fraktion ist.
Die Steuerschätzer rechnen damit, dass erst 2022 der Staat wieder so viel Geld einnimmt, wie vor dem Abschwung. Andererseits hat die Politik der ausgeglichenen Haushalte („Schwarze Null“) bei Parteien und Ökonomen an Rückhalt verloren angesichts des Ausmaßes der wirtschaftlichen Verwerfungen.
Die nächste Verhandlungsrunde im öffentlichen Dienst ist nun ab 22. Oktober angesetzt. Bisher haben die Arbeitgeber kein konkretes Angebot vorgelegt, haben aber zugesagt, das demnächst zu tun.
In Bayern beginnen die Warnstreiks in Augsburg: Bereits an diesem Dienstag werden die Beschäftigten der Stadtentwässerung in den Warnstreik treten – ein Betrieb, bei dem auf die Bürger erst mal keine direkten Streikfolgen zukommen. Das aber könnte sich noch diese Woche ändern: Ein Verdi-Sprecher kündigte eine weitere Aktion in Augsburg an. Ob etwa Bus und Bahn betroffen sein könnten, ließ er offen. (mit wer)