Guenzburger Zeitung

Im Ausnahmezu­stand

Corona trifft München wieder mit voller Wucht. Die Stadt greift durch und verschärft die Regeln. Doch zeitgleich feiern Tausende ausgelasse­n auf der „Wirtshaus-Wiesn“. Ministerpr­äsident Markus Söder ist „sehr besorgt“

- VON MAX KRAMER UND ANJA DONDL

München Die Wiesn-Zeit ist eine Zeitrechnu­ng, an die sich viele Münchner halten – egal, ob das Oktoberfes­t stattfinde­t oder wegen Corona abgesagt ist. Auf dem Fahrrad, in der U-Bahn, an der Isar sind dieser Tage viele Dirndl- und Lederhosen-Träger unterwegs. Es ist ein symbolisch­es Aufbegehre­n gegen die Pandemie, ein Stück herbstlich­er Normalität. Über die tatsächlic­he Situation in der bayerische­n Landeshaup­tstadt kann all das aber nicht hinwegtäus­chen. Denn Corona hat die Stadt wieder ereilt. Und zwar mit voller Wucht.

Schon am Freitag hatte München die kritische Grenze von 50 Neuinfekti­onen pro Woche und 100000 Einwohner überschrit­ten. Bis Montag stieg der Wert der sogenannte­n Sieben-Tage-Inzidenz auf 56,1. Die Stadt war zum Handeln gezwungen, der Krisenstab tagte. Resultat sind zahlreiche Maßnahmen – die einschneid­endste: Statt zehn dürfen sich nur noch fünf Menschen oder Angehörige zweier Haushalte sowohl im privaten als auch im öffentlich­en Raum sowie in der Gastronomi­e treffen. Die Regelung soll von Donnerstag an gelten, sofern der Fall-Wert bis dahin weiter über 50 liegt. Davon gehe er aber aus, sagte Oberbürger­meister Dieter Reiter (SPD) am Montag. „Die vergangene­n Tage haben leider gezeigt, dass die Vorsicht nachlässt.“

Darüber hinaus wird es an bestimmten, viel besuchten Orten in der Stadt eine Maskenpfli­cht geben. Dazu zählen Stachus, Marienplat­z, Viktualien­markt und die Sendlinger Straße. Die Maskenpfli­cht gelte dort im Gehen, Stehen und Sitzen, sagte Reiter. Es sei auch eine generelle Maskenpfli­cht im gesamten Stadtgebie­t diskutiert worden, diese werde es aber zunächst nicht geben. Außerdem dürfen der geplanten Allgemeinv­erfügung zufolge nur noch 25 Menschen an privaten Feiern – etwa Geburtstag­e, Hochzeiten, Beerdigung­en oder Abschlussf­eiern – in geschlosse­nen Räumen teilnehmen. Im Freien liegt die Grenze bei 50. Kulturoder Sportveran­staltungen sind von dieser Regelung ausgenomme­n. Von weiteren Verschärfu­ngen – wie einem Alkoholver­bot oder einer Sperrzeitv­erkürzung – habe man abgesehen, weil man Entscheidu­ngen des bayerische­n Kabinetts am Dienstag abwarten wolle, so Reiter. Wie die Stadt auf Anfrage unserer Redaktion erklärte, ist der Anstieg in den vergangene­n Tagen nicht auf wenige größere Infektions-Ereignisse zurückzufü­hren, sondern auf eine Vielzahl kleinerer Ausbrüche.

Am Montagvorm­ittag hatte Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder schon erklärt, er sei „sehr besorgt“über die hohen Corona-Zahlen in München. „Es kann die Gefahr bestehen, dass das Infektions­geschehen nicht mehr nachverfol­gbar ist“, warnte der CSU-Chef. „Wir können das nicht einfach so laufen lassen.“Als Beispiel nannte er die Bilder von der Münchner Ersatz-Wiesn. Gemeint ist die sogenannte WirtshausW­iesn, die man gemeinsam mit der Stadt München und den großen Wiesnwirte­n entwickelt habe, berichtet Gregor Lemke vom Augustiner Klosterwir­t, Vorsitzend­er der Münchner Innenstadt­wirte. Das ganze Wochenende über kamen in mehr als 50 Wirtshäuse­rn in der Stadt Oktoberfes­tliebhaber zusammen, um zu feiern. Bis zum 4. Oktober soll die Aktion dauern. Weniger eine exzessive Party als ein gemütliche­s Zusammensi­tzen solle es sein. Nichts Großes, sagt Lemke. Nur so viel, um diese Wiesnzeit zu würdigen. Schließlic­h sei das Oktoberfes­t schon sehr „in der Münchner DNA verwurzelt“.

Ersetzen – da sind sich Lemke und Wiesnwirte-Sprecher Peter Inselkamme­r einig – könne die WirtshausW­iesn das Oktoberfes­t nicht. Weder in emotionale­r noch in betriebswi­rtschaftli­cher Weise. Die wirtschaft­liwird chen Ausfälle des regulären Oktoberfes­tes seien nicht zu kompensier­en, sagt Gregor Lemke. Ähnlich gehe es auch der Trachten- und Hotelbranc­he, die von der Ersatz-Wiesn nicht profitiere­n, wie Daniela Ziegler, Kreisgesch­äftsführer­in des Bayerische­n Hotel- und Gaststätte­nverbandes in München, erklärt. Die Umsatzeinb­rüche in der Hotellerie seien sehr hoch, man spreche von minus 75 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Daran könne auch die WirtshausW­iesn nichts ändern, erklärt Ziegler.

Sind es diese Zahlen wert, das Infektions­geschehen mit ausufernde­n Partys anzuheizen? Angesichts steigender Corona-Fallzahlen werden die kritischen Stimmen zur Wirtshaus-Wiesn immer lauter. „Das ist ein Schmarrn“, sagt beispielsw­eise Nicolai Schmidt, der in diesem Jahr normalerwe­ise in einem der Festzelte gearbeitet hätte. Viel diskutiert auch in den sozialen Netzwerken. Ein Nutzer schreibt: „Wer hat sich das ausgedacht? Und wer genehmigt das bei einem Inzidenzwe­rt von über 50. Muss ich nicht verstehen.“Ein anderer kommentier­t: „München hat ein neues Supersprea­derevent.“Auch manche Virologen äußerten sich bereits skeptisch zum Ersatz-Oktoberfes­t und blickten mit Sorge auf die steigende Zahl der Infektione­n. (mit dpa)

»Kommentar

Wirtshaus-Wiesn? Das sei ein Schmarrn, sagt ein Münchner

 ?? Symbolbild: Felix Hörhager, dpa ?? Wegen der Corona-Pandemie fällt das Oktoberfes­t in diesem Jahr aus – zumindest auf der Theresienw­iese. Als Ersatz findet derzeit in ganz München die sogenannte „Wirtshaus-Wiesn“statt. Doch nun hat die Stadt ihre Maßnahmen verschärft. Die Infektions­zahlen waren zuletzt deutlich angestiege­n.
Symbolbild: Felix Hörhager, dpa Wegen der Corona-Pandemie fällt das Oktoberfes­t in diesem Jahr aus – zumindest auf der Theresienw­iese. Als Ersatz findet derzeit in ganz München die sogenannte „Wirtshaus-Wiesn“statt. Doch nun hat die Stadt ihre Maßnahmen verschärft. Die Infektions­zahlen waren zuletzt deutlich angestiege­n.

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