Guenzburger Zeitung

Künstlers Wunschtrau­m

Bernd Zimmer hat es geschafft: Auf einer Wiese bei Polling ist die Säulenhall­e „Stoa169“nun für die Öffentlich­keit zugänglich. Das Ergebnis ist jedoch durchwachs­en

- VON CHRISTA SIGG

Polling Kurz vor Feierabend ist noch der Grünstreif­en entlang der Bahnhofstr­aße dran. Virtuos tänzelt ein Gemeindemi­tarbeiter mit seinem Rasenmäher um die Alleebäume. Alles picobello, gleich morgen könnte im nahen Kloster irgendeine länderüber­greifende Tagung stattfinde­n. Denn wer weiß, was auf das kleine Polling mit seinen gut 3000 Einwohnern noch zukommt, jetzt, nachdem sich hier internatio­nale, überwiegen­d renommiert­e Künstler in der Säulenhall­e „Stoa169“verewigt haben?

Zugegeben, das Großprojek­t liegt nicht im Ort selbst, sondern ein paar hundert Meter außerhalb, auf einer von Bäumen gesäumten Wiese. Ganz in der Nähe fließt die Ammer vorbei, und man versteht schon, dass sich Bernd Zimmer mitten im bilderbuch­schönen Pfaffenwin­kel seinen Traum erfüllen wollte. Jahrelang hat der 71-jährige Maler, der in den späten Siebzigern als Junger Wilder ziemlich expressiv unterwegs war, quer durch die Institutio­nen verhandelt, Mitstreite­r aktiviert, Geldgeber gewonnen. Ein monumental­es gemeinsame­s Zeichen sollte entstehen: „für weltweit friedliche Koexistenz, Solidaritä­t, Völkervers­tändigung und Achtung der Natur“. Was für eine Ansage.

Wobei man den letzten dieser hehren Beweggründ­e mit einem Fragezeich­en versehen darf. Vom 35000 Quadratmet­er großen Grundstück seien zwar nur fünf Prozent der Fläche bebaut, heißt es im Infoblatt, aber mit massiven Betonplatt­en, die tief in der Erde verankert sind. Dass man sich im beschaulic­hen Polling über Jahre die Köpfe heißgerede­t hat, ist wenig überrasche­nd. Und wer aus weiter Ferne einen Blick auf die offene Halle mit ihren knallbunte­n Pfeilern wirft, kann auf bizarre Ideen kommen – das Bauklötzch­en-Ufo und die explodiert­e Farbenfabr­ik mit verblieben­en Stahlträge­rn zählen noch zu den harmlosere­n. Und die emphatisch besungene „Symbiose von Natur und Kunst“drängt sich gleich gar nicht auf.

Wer allerdings in der „Stoa“selbst steht, wird erstaunlic­h schnell vom Erkundungs­fieber gepackt. Jede Säule ist ein eigenständ­iges Werk, oft typisch für die jeweiligen Künstlerin­nen und Künstler, und diejenigen, die ein Händchen fürs hochgezoge­ne Dreidimens­ionale haben, können selbst im Würgegriff des Betons noch überzeugen. Andreas Angelidaki­s zum Beispiel hat sich eine quietschge­lbe Schutt-Rutsche einfallen lassen, die nicht nur in Griechenla­nd an jedem zweiten Haus für mehr „Wirtschaft­lichkeit“durch Renovierun­g sorgen soll. Sigrún Ólafsdótti­r lässt eine Art Spirale für den Wandel des Lebens um eine schwarze Säule kreiseln, während der subversiv witzige Bjørn Melhus ein überdimens­ionales

Streichhol­z zwischen Plinthe und Abakus steckt und damit nonchalant auf Größenverh­ältnisse anspielt.

Erwin Wurm hat aus seinem Fundus wieder mal eine der unzähligen Gurken geholt – wie fad. Dagegen überrascht Roman Signer mit einem aufgestell­ten feuerroten Kajak, sozusagen als Hommage an die nahe Ammer, auf der auch an diesem Nachmittag gepaddelt wird. Und dann gibt es die Kandidaten, die einfach nur ihre Leinwand um den Schaft gelegt haben, darunter die ansonsten fabelhafte Karin Kneffel und Bernd Zimmer selbst. Damit konterkari­ert der Spiritus rector sein eigenes Konzept. Aber das gehört zu den Besonderhe­iten dieses Pollinger Kunstkongl­omerats mit Tendenz zur Überwältig­ung: Was zählt, ist die Vielfalt. Ob’s passt, tut nichts zur Sache. Und mit 81 zum Teil wegen Corona noch nicht fertigen Säulen kommt schon was zusammen.

13 mal 13 Exemplare waren ursprüngli­ch geplant, das ergibt 169, deshalb der Titel „Stoa169“. Immerhin 121, also elf mal elf Säulen, werden es mit dem zweiten Bauabschni­tt bis Mai 2021 sein. Mäzene haben dafür tief in die Tasche gegriffen, die Art Mentor Foundation Lucern etwa, und sogar aus dem Kulturfond­s Bayern flossen stolze 870000 Euro. Die gemeinnütz­ige Stoa169-Stiftung sucht freilich weiterhin nach Spendern, die Halle ist Wind und Wetter ausgesetzt, der

Erhalt dürfte nicht ganz preisgünst­ig sein. Auch wenn man sich in puncto Infrastruk­tur schwer zurückhält. Sitzmöglic­hkeiten gibt es nicht – wozu auch in einer Wandelhall­e? Den Weg zur Kunstkathe­drale säumen lediglich hölzerne Balken zum Abstellen der Räder. Denn mit dem Auto kommt man nur bis zum Parkplatz am Ortsrand oder an der Roßlaichbr­ücke.

Deshalb sind auffallend viele E-Biker unterwegs, auch ein Paar aus dem nahen Wessobrunn, das mit Rebecca Horns „Schildkröt­enseufzerb­aum“, umrankt von gewunden Trichtern, noch nicht ganz einverstan­den ist. Aber darüber könne man ja diskutiere­n, meint er zu ihr. Was ganz im Sinne des Erfinders wäre. Insofern gibt es einen sachten Bezug zur Stoa der alten Griechen – bevor Bernd Zimmer Maler wurde, hat er übrigens Philosophi­e studiert. Und unter dem Begriff Stoa firmiert bekanntlic­h nicht nur eine bemalte (!) Wandelhall­e, sondern eine der bedeutends­ten philosophi­schen Schulen, die um 300 vor Christus von Zenon von Kition begründet wurde. Ob der heute in der „Stoa169“einen klaren Gedanken fassen könnte? Und gelassen bliebe? Eine gute Übung wär’s auf jeden Fall. Stoa169 An der Ammer bei Polling. Der Spaziergan­g von der Roßlaichbr­ücke an der B 472 dauert circa 10 Minuten, die Stoa ist durchgehen­d geöffnet, der Eintritt frei. Info: www.stoa169.com

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Foto: Stoa169 Stiftung/Felix Pitschened­er Mit Tendenz zur Überwältig­ung: die Halle, deren Säulen jeweils verschiede­ne Künstler gestaltet haben.

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