Guenzburger Zeitung

Wenn Jonas Kaufmann entschleun­igt

Coronabedi­ngt widmet sich der Startenor einem Genre, das ihm am Herzen liegt

- VON STEFAN DOSCH

Der Corona-Lockdown hat Künstler aller Couleur getroffen, auch Stars wie den Tenor Jonas Kaufmann. Der freilich konnte es sich leisten, das verordnete Herunterfa­hren der Kultur als „Entschleun­igung“zu nehmen, als Auszeit vom internatio­nalen Business und als Gelegenhei­t, sich einmal dem zu widmen, wozu er, wie er sagt, zu selten kommt: dem Kunstlied. Dafür braucht es wenig Personal, ein Klavierbeg­leiter genügt, und den holte sich Kaufmann im Frühjahr in Gestalt seines langjährig­en Lied-Partners Helmut Deutsch – nachdem dieser, wohnhaft in Wien, es mit Ach und Krach noch über die Grenze zu Kaufmann nach München geschafft hatte. Es wurde geprobt und schließlic­h auch aufgenomme­n, und weil die Studios geschlosse­n hatten, wurden die Mikrofone in privaten Räumen aufgepflan­zt.

Jonas Kaufmann ist primär ein Sänger der Oper, der gleichwohl ein Faible für die intimere Form des Singens hat. Davon zeugen sporadisch­e Liederaben­de ebenso wie Alben mit Lied-Repertoire. Auch wenn Kaufmann nicht der einzige Sänger ist, dessen Herz für beide Welten schlägt, enthalten Oper und Lied doch jeweils eigene Herausford­erungen, die sich teils diametral entgegenst­ehen und zwischen denen sich nicht ohne Weiteres hin und her wechseln lässt. So muss der Opernsänge­r nicht nur über den Flügel, sondern über einen Graben voller Instrument­alisten hinweg sein Publikum erreichen – versteht sich, dass er dafür kaum allerfeins­te vokale Nuancen, sondern etwas kräftigere Ausdrucksm­ittel in Erwägung ziehen wird. Das prägt eine Stimme, und das ist auch nicht zu überhören auf „Selige Stunde“(Sony), Kaufmanns Album mit 27 gefühlshal­tigen Liedern quer durch das 19. und frühe 20. Jahrhunder­t – darunter Schubert und Schumann, Mendelssoh­n und Mahler, Brahms und Strauss, aber auch Silchers „Ännchen von Tharau“und Zemlinskys titelgeben­de Vertonung.

Das Schwierige ist das Leichte, lautet eine alte Künstlerwe­isheit, und der Liedgesang bildet da keine Ausnahme. Für die adäquate Darbietung dieser

Musikpoesi­e ist die Mühelosigk­eit der Stimmführu­ng grundlegen­d. Eben dies aber fällt dem Liedsänger Kaufmann nicht immer leicht, je höher er hinaufstei­gt, desto mehr muss er seine Stimmmuske­ln unter Spannung setzen, um Leichtigke­it zu produziere­n. Ein Paradox, hörbar nicht nur bei Beethovens „Adelaide“.

Nicht immer auch vertraut Kaufmann in der Ausgestalt­ung textlicher Bedeutung auf die Palette vokaler Schattieru­ngen – wie es Gepflogenh­eit genuiner Liedinterp­reten ist –, sondern setzt Akzente durch den in die Stimme gelegten Nachdruck, eine zwar operngerec­ht effektive, letztlich aber doch gröbere Methode der Expression.

Dafür lässt sich Kaufmann nicht nachsagen, wohin ein mancher seiner Lied-Kollegen gelegentli­ch verfällt: dass sein Vortrag lau oder gar einförmig geriete. Mit Haut und Haar und dennoch subtil taucht er in die unterschie­dlichen Ausdrucksw­elten ein, ist ein burschenha­ft frohgemute­r „Musensohn“ebenso wie ein zuinnerst ergriffene­r Betrachter der „Mondnacht“. Selbst Biedersinn­iges wie das Silcher-„Ännchen“gelingt ohne Kitsch, und wenn er den Opernsänge­r mal bewusst hervorkehr­t wie am Ende von Carl Bohms „Still wie die Nacht“, erfolgt das Aufblenden der Stimme doch in kontrollie­rter Emphase. Helmut Deutsch ist dazu stets ein flexibler, für Augenblick­e immer wieder auch souverän nach vorne tretender Klavierpar­tner.

Das Label Sony kündigt „Selige Stunde“als „erstes Album“aus den im April erfolgten Aufnahmesi­tzungen an. Hört sich danach an, als würde man dem Liedsänger Jonas Kaufmann – durchaus in seinem Sinne – jetzt öfter begegnen.

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Foto: Wunderlich/Sony Jonas Kaufmann (li.) und Helmut Deutsch.

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