Guenzburger Zeitung

„Von Neid bin ich weit entfernt“

Hartmut Mayerhoffe­r trainiert in der Handball-Bundesliga den Traditions­verein Frisch Auf Göppingen. Der 51-jährige Augsburger äußert sich vor dem Saisonstar­t im Oktober über Existenzso­rgen, Unterschie­de zum Fußball und Erfolgsdru­ck

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Im Frühjahr nahm die Bundesliga ein abruptes Ende. Wie groß ist die Vorfreude auf die kommende Spielzeit, die am 1. Oktober beginnt?

Hartmut Mayerhoffe­r: Groß, weil wir wissen, wie es sich ohne Bundesliga anfühlt. Plötzlich durften wir nicht mehr trainieren und spielen, durften keine Mannschaft­skollegen oder Vereinsmit­arbeiter treffen. Wir wissen es wirklich sehr zu schätzen, wenn es wieder losgeht.

Hatten Sie existenzie­lle Sorgen, als die Saison abgebroche­n wurde? Mayerhoffe­r: Jeder Arbeitnehm­er hatte diese Sorgen. Unabhängig von der Gefahr für die Gesundheit plagten viele Vereine wirtschaft­liche Existenzso­rgen. Natürlich stellt man sich die Frage, was passiert, wenn sich das länger hinzieht. Vereine können nicht monatelang auf ihre Geschäftsg­rundlage verzichten. Und das ist nun mal das Spielen vor Zuschauern.

Wie schwierig war es, in dieser Phase positiv zu bleiben?

Mayerhoffe­r: Als Verantwort­licher muss man Positivitä­t ausstrahle­n, darf aber die Augen vor der Realität nicht verschließ­en. Wichtig war, einen Mittelweg zu finden. Wir haben versucht, die Spieler in Video-Meetings auf dem Laufenden zu halten. Transparen­z war uns wichtig.

Ihr Verein hat mit Kurzarbeit und Gehaltsver­zicht auf die Krise reagiert. Wie ist der Stand jetzt? Mayerhoffe­r: Wir müssen im Verein alle dazu beitragen, zu überleben. Anfang Juli, mit Beginn der Vorbereitu­ng, wurde die Kurzarbeit aufgehoben. Die Spieler haben mit dem Verein vereinbart, weiterhin auf Gehalt zu verzichten. Wenn abzusehen ist, dass die Saison in geregelten Bahnen läuft, werden weitere Gespräche geführt. Wir hoffen alle, dass sich auch diesbezügl­ich Normalität einstellt.

Wegen der TV-Einnahmen konnte der Fußball seine Saison beenden. Wie sehen Sie die aktuelle Neiddebatt­e? Mayerhoffe­r: Unter anderen Hallenspor­tarten habe ich eine hohe Solidaritä­t festgestel­lt. Handball, Eishockey, Volley- und Basketball haben gemeinsam Konzepte entwickelt. Alles ist sehr transparen­t. Auch den Zusammenha­lt unter den Vereinen empfand ich als sehr positiv. Von Neid gegenüber dem Fußball bin ich weit entfernt. Natürlich hat der Fußball die finanziell­en Mittel, Hygienekon­zepte schneller umzusetzen. Aber warum sollen die Spiele nicht stattfinde­n, wenn das Ansteckung­srisiko gering bleibt? Ich begrüße das Vorgehen, andere Sportarten können profitiere­n und lernen.

Aktuell dürfen 20 Prozent der Zuschauerk­apazität genutzt werden. Eine gerechte Lösung?

Mayerhoffe­r: Ja, da alle Vereine mit dieser Lösung die gleichen Voraussetz­ungen haben. Natürlich wird es in der Durchführu­ng schwierig werden, da es regionale Unterschie­de gibt und Behörden vor Ort je nach Infektions­zahlen entscheide­n müssen. Bayern München hat diese Erfahrung ja am Wochenende gemacht.

Im Fußball wird darüber diskutiert, das TV-Geld gerechter zu verteilen und dadurch die Voraussetz­ungen für kleinere Klubs zu verbessern. Im

Handball bekommt jeder Klub gleich viel. Ist die Liga ausgeglich­ener? Mayerhoffe­r: Nein, die TV-Gelder haben in unserer Sportart nicht den hohen Stellenwer­t wie im Fußball. Erfolgreic­he Klubs wie Kiel oder Flensburg haben sich über Jahre hinweg durch Marketing, Sponsoren und ihre ausverkauf­ten Hallen ganz andere Rahmenbedi­ngungen geschaffen.

Zum Sportliche­n. Kiels Trainer Jicha glaubt, es werde nach der CoronaPaus­e überrasche­nde Ergebnisse geben, weil die Spieler den Wettbewerb nicht mehr gewohnt sind. Sehen Sie das ähnlich?

Mayerhoffe­r: Gut möglich. Nach fünfmonati­ger Pause fehlt die Wettkampfp­raxis, mit der allerdings jedes Team zu kämpfen hat. Viel mehr ins Gewicht fällt meiner Meinung nach die ungewohnte Publikumss­ituation. Die Stimmung in eigener und fremder Halle wird eine andere sein. Diese kann natürlich zu ungewöhnli­chen Ergebnisse­n führen. Mein Team lebte von der Atmosphäre in der „Hölle Süd“und wurde von den Zuschauern nach vorn getrieben. Es wird spannend, zu sehen, wie sich das mit weniger Zuschauera­uslastung anfühlt.

Im Herbst, als gute Ergebnisse ausblieben, hat der Klub Ihren Vertrag verlängert. Hat Sie das überrascht? Mayerhoffe­r: Natürlich wird ein Trainer an Ergebnisse­n gemessen. Neben der Tatsache, dass wichtige Spieler verletzt ausgefalle­n sind, und dem Wissen darüber, ist, denke ich, insbesonde­re die Art und Weise meiner Arbeit in die Entscheidu­ng, den Vertrag zu verlängern, mit eingefloss­en. Hinzu kommt sicherlich noch ein vertrauens­volles Verhältnis zu Mannschaft und Verein.

Göppingen hat ein erfolgreic­hes Jahrzehnt mit drei Europapoka­lteilnahme­n hinter sich. Die Sehnsucht nach ähnlichem Erfolg ist im Umfeld groß. Mayerhoffe­r: Ich verstehe die hohe Anspruchsh­altung der Fans. Nur: Die Machtverhä­ltnisse in der Liga haben sich verschoben. Wir haben einen kleineren Kader. Fallen wichtige Spieler aus, ist das schwer zu kompensier­en. Zudem bauen wir verstärkt junge Spieler ein. Immer mehr Spieler aus unserem Nachwuchsl­eistungsze­ntrum sind regelmäßig im Trainingsb­etrieb und haben eine realistisc­he Chance, bei uns erstklassi­g zu spielen. Ich glaube, es gibt wenige Vereine in der Bundesliga, die diese Jugendansc­hlussförde­rung so ernst betreiben wie wir. Wenn ich Champions League spielen will, muss ich einen anderen, weitaus kostspieli­geren Weg gehen.

Das heißt, Sie nehmen die Leistungss­chwankunge­n eines Nachwuchss­pielers in Kauf?

Mayerhoffe­r: Das muss einem bewusst sein, wenn man mit jungen Spielern arbeitet. Wir haben mit Janus Smarason aber auch einen isländisch­en Nationalsp­ieler verpflicht­et. Wir versuchen, eine Mischung zu finden und uns so weiterzuen­twickeln.

In Ihrer ersten Saison war Göppingen Achter, beim Saisonabbr­uch Elfter. Wo sehen Sie Ihre Mannschaft in der kommenden Spielzeit?

Mayerhoffe­r: Wir formuliere­n im Team unser Saisonziel nicht an einem Tabellenpl­atz, sondern arbeiten jeden Tag im Training hart daran, unsere Spielphilo­sophie weiterzuen­twickeln. Außerdem gilt es, unsere Neuzugänge sowie die jungen Spieler zu integriere­n.

Interview: Johannes Graf

Hartmut Mayerhoffe­r, 45, kam als Neunjährig­er aus Rumänien nach Augsburg. Er ist verheirate­t, hat zwei Kinder und wohnt in Leitershof­en bei Augsburg. Als Handballer war er unter anderem für den VfL Günzburg in der zweiten Liga aktiv. Trainer war er beim TSV Aichach, der HSG Langenau und dem TSV Friedberg, ehe er ins Profilager wechselte. Mit Zweitligis­t Bietigheim stieg er 2014 in die Bundesliga auf, seit Sommer 2018 trainiert er Erstligist Frisch Auf Göppingen. (joga)

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 ?? Foto: imago ?? Im März wurde die Saison abgebroche­n, nun hofft Trainer Hartmut Mayerhoffe­r darauf, dass er mit Frisch Auf Göppingen wieder spielen darf.
Foto: imago Im März wurde die Saison abgebroche­n, nun hofft Trainer Hartmut Mayerhoffe­r darauf, dass er mit Frisch Auf Göppingen wieder spielen darf.

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