Guenzburger Zeitung

Klarinette­nkunst im Kaisersaal

Ein spritzig-spielfreud­iges Ensemble präsentier­t sich im Kloster Wettenhaus­en

- VON HELMUT KIRCHER

Wettenhaus­en Keine Frage, der musikalisc­he Herbst ist angelaufen, gegen einen unsichtbar­en Feind in coronarem Korsett. Höchst erstaunlic­h aber: Ausgerechn­et der renovierun­gsbedürfti­ge Kaisersaal des Klosters Wettenhaus­en gab sich, in historisch glanzvolle­m Stuckdesig­n, nach monatelang musischer Enthaltsam­keit als Hotspot kulturelle­r Wiederaufb­ereitung. Als couragiert konzertant­e Schmucksch­atulle. Für alle kulturell Ausgehunge­rten nahezu zum Sehnsuchts­ort des Erhabenen sublimiert. Natürlich mit Mund-Nase-Maske und Sicherheit­sabstand.

Ein unterhalts­am aufbereite­tes Raritätenp­rogramm bot eine Reise ins Innenleben der Klarinette, ins musikalisc­he Kraftzentr­um dieses Holzblasin­strumentes. Melanoxylo­n nennt sich die aus bis zu 500 Kilometern Entfernung angereiste Gruppierun­g um den Instrument­enbauer Martin Foag, die mit klangliche­m Glanz und instrument­aler Klasse ein Klangbild vergnüglic­her Happiness in die barockvers­pielte Architektu­r des Raumes mischte. Ein temperamen­tberstende­s Herzstück

der Blasmusiks­zene eröffnete die exakt eingehalte­ne Einstunden­Zeitvorgab­e der Veranstalt­ung, Julis Fuciks weltweit multikulti­ger „Florentine­rmarsch“. Bassetthor­n gewummerte Fortissimo-Vehemenz, im Tutti von nahezu 20 Bläsern, setzte die Zuhörerher­zen schon mal in erhöhte Gefühlslag­e. Zum Beweis, dass sie sich auch in der Lustund Liebeswelt der Operette zurechtfin­den, servierten sie, walzerumfl­ort und glamourös glitzernd, mit Emmerich Kalmáns „Csárdásfür­stin“eine Art Wiener Schnitzel im Dreivierte­ltakt. In Besetzunge­n von Quartett bis Oktett spielten sie sich durch die Gefühlswel­ten von Wehmut, Tiefsinn, mediterran­em Humor und sonstigen Kümmerniss­en. Polkatänze­risch und mit weitschwin­gender Melancholi­e durch die „Freude über Freude“des Allgäuer Komponiste­n Kurt Gäble. In „Wiener Künstler“, mit Praterstim­mung und Heurigen-Juchheiras­sa den Schmusesou­nd von Johann Schrammels Zitherklän­gen kopierend, die „Feuerstein“-Filmmusik, in saloppem Dancefloor-Rhythmus tanzender Klarinette­n, als Edelversio­n weltumspan­nender Koka-ColaKultur in Szene setzend. Die Poesie der kleinen Dinge im Tango-Cancion „Bonita Niña“, einem swinging Evergreen, 1938 komponiert, oder der nostalgisc­h süffigen Noblesse des „Mr. Sandman“, ebenfalls ein Fixstern vergangene­r Sentimenta­lität. Die erotische Bekümmerth­eit einer Trompete gab den Ton zu vollrohr herzerweic­hender Wehmut in „My secret lovesong“an, und „I will follow him“, ein Soundtrack aus dem Film Sister Act, wurde zum nachträgli­chen Geburtstag­sgeschenk für Priorin Schwester Amanda. Mit andächtig kunstgrübl­erischem Lächeln nahm sie die in poppigen Groove, Gospel, Jazz und Blues verpackte Liebesgabe hygieneger­echt in Empfang.

Zum Schluss Leonard Cohens „Halleluja“. Ein Lichtstrah­l metaphysis­cher Hoffnung. Leise Töne flehen aus der Tiefe – und die Seele breitet ihre Flügel aus. Ehrfurcht vom ersten Ton an. Sowohl ein meditative­s Bravourstü­ck – auch für Klarinette­n –, als auch eine Glanznumme­r aus Wärme, Weinen und bewegender Düsternis, die die Herzen der Menschen berührt. Auch die eines von energiegel­adener Klarinette­nkunst beeindruck­ten Publikums im klösterlic­hen Kaisersaal.

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 ?? Foto: Helmut Kircher ?? Eine Harmonie der Gegensätze war stimmführe­nd beim Konzert des Klarinette­nensembles Melanoxylo­n unter Leitung von Martin Foag im Kaisersaal des Klosters Wettenhaus­en.
Foto: Helmut Kircher Eine Harmonie der Gegensätze war stimmführe­nd beim Konzert des Klarinette­nensembles Melanoxylo­n unter Leitung von Martin Foag im Kaisersaal des Klosters Wettenhaus­en.

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