Der wirklich komplette Grass
Der Hausverlag des Literaturnobelpreisträgers bringt eine neue Werkausgabe heraus
Lübeck/Göttingen Für den Jahrhundertschriftsteller Günter Grass hat sich sein Verleger Gerhard Steidl noch einmal mächtig ins Zeug gelegt. Fünf Jahre nach dem Tod des Literaturnobelpreisträgers (1927– 2015), der mit der „Blechtrommel“weltberühmt wurde und politisch immer wieder scharf Zunge zeigte, bringt Steidl erstmals eine komplette Werkausgabe heraus. Fast alles daran ist außerordentlich: 24 Bände, knapp 11000 Seiten, eine limitierte Auflage von nur 1000 Exemplaren – und das alles in einer bibliophilen Ausstattung, wie sie viele in der Literaturszene nur Steidl zutrauen.
Der Verleger spricht von einer Werkausgabe „letzter Hand“. Grass habe selbst noch seine Ideen eingebracht zur Gestaltung, aber auch, durch Leser aufmerksam gemacht, bis 2015 in Zusammenarbeit mit seinen Lektoren Korrekturen in seinen Texten vorgenommen. Die „Neue Göttinger Ausgabe“(NGA) enthält sämtliche von Grass autorisierten literarischen Werke, Essays und Gespräche. Sie basiert auf der Göttinger Ausgabe von 2007, in der es jedoch, wie der Leiter des Lübecker Grass-Hauses, Jörg Philipp Thomsa, sagt, „ärgerliche Fehler“gab –
Fehler, die jetzt in der NGA ausgemerzt seien.
„Grass ist Zeit seines Lebens ein idealer Buchgestalter gewesen“, sagt Verleger Steidl. „Denn vom ersten Buch an – ,Die Vorzüge der Windhühner’ – bis zu seinem letzten Buch – ,Vonne Endlichkait’ – und sogar bis hin zur neuen Werkausgabe hat er als Autor, als Leser vieler Bücher und auch als bildnerischkreativer Mensch Ratschläge gegeben, uns Technikern, die wir die Bücher für ihn gemacht haben.“Steidl erinnert sich: „Für die Werkausgabe hat Grass bewusst eine etwas größere Schrift ausgewählt: ,Wir müssen auch an die Leute denken, die eine Brille haben.’“Das extra dünne französische Bibeldruckpapier für die NGA hat Grass noch gemeinsam mit Steidl bemustert.
Jörg Philipp Thomsa vom GrassHaus hält den gelernten SiebdruckMeister Steidl für „den besten Büchermacher Deutschlands“, der diese Handwerkskunst noch lebt und erhalten will. Neben der besonderen bibliophilen Ausstattung in roten Leinenbänden – die Göttinger Ausgabe von 2007 war in Blau gehalten – hat die NGA aber auch literaturwissenschaftlich Bedeutung. „Die neue Ausgabe enthält erstmals alle literarischen Texte und – soweit erhalten und erreichbar – alle Reden, Essays und Gespräche von Günter Grass“, sagt der Göttinger Germanist Prof. Heinrich Detering.
Steidl bringt die bibliophile Werkausgabe in limitierter Auflage von 1000 Exemplaren heraus zum Subskriptionspreis von 380 Euro bis 16. Oktober, danach kosten sie 480 Euro. In einigen Jahren will der Verleger auch eine schlichtere Studienausgabe verlegen. Bewusst hat Steidl die NGA ohne wissenschaftlichen Apparat konzipiert – des unbeschwerten Lesegenusses wegen. Wer tiefer in die Grass’schen Texte vordringen will: Im nächsten Jahr bereits sollen 14 Kommentarbände erscheinen zum gesamten literarischen Werk.