Wirtschaft erwartet mehr Insolvenzen
Der Handel in Schwaben fordert Sonntagsöffnungen, um Verluste wettzumachen
Augsburg Zum Höhepunkt der Corona-Krise hatte die Politik ein Auge zugedrückt: Selbst wenn in Deutschland Unternehmen in eine starke Schieflage gerieten, mussten sie nicht gleich Insolvenz anmelden. Dementsprechend waren kaum Pleiten zu beobachten. Doch das könnte sich bald ändern – auch in unserer Region. „Ja, wir werden Insolvenzen sehen“, sagt Marc Lucassen, der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Schwaben im Gespräch mit unserer Zeitung. „Wir werden auch mehr davon sehen als zuvor“, fügt er an.
Der Grund: Zum 1. Oktober tritt eine Änderung bei den Corona-Regelungen in Kraft. Dann müssen Firmen wieder Insolvenz anmelden, wenn sie zahlungsunfähig sind – selbst wenn die Corona-Krise daran Schuld trägt. Nur für Unternehmen, die krisenbedingt überschuldet sind, gilt die Ausnahmeregelung noch bis zum Jahresende. Hart getroffen hat die Krise zum Beispiel den Freizeitsektor. „Für Nachtclubs oder Reiseveranstalter ist die Situation schwierig“, sagt Lucassen.
Doch bis auf besonders hart getroffene Branchen fasst die Wirtschaft in der Region langsam wieder Tritt. Auf den steilen Absturz durch Corona folgt eine schnelle Erholung. „Wir sehen im konjunkturellen Verlauf ein V“, sagt Lucassen. Die Zahl der Kurzarbeiter sinke bereits spürbar. Dass eine regelrechte Pleitewelle die Wirtschaft überrollt, davon geht auch die Handwerkskammer für Schwaben nicht aus.
Jetzt kommt es aus Sicht der Wirtschaft darauf an, die Erholung zu stabilisieren. „Einen Lockdown darf es nie wieder geben – das wäre der Super-GAU, dann bekommen wir eine Pleitewelle ohne Ende“, sagt der Präsident der Handwerkskammer, Hans-Peter Rauch. Er fordert auch mehr Verlässlichkeit von der Politik bei den Corona-Lockerungen: „Derzeit haben die Unternehmen
keine Planungssicherheit, die Regeln können sich täglich ändern.“Viele Mitgliedsunternehmen etwa würden sich fragen, ob Weihnachtsfeiern stattfinden können.
Im schwäbischen Handel plädiert man zudem für zusätzliche Sonntagsöffnungen – auch, damit die Einzelhändler ausgefallene Marktsonntage nachholen können. „Auf den lokalen Einzelhandel wirkte Corona wie ein Brandbeschleuniger“, schildert Gerhard Pfeifer, der stellvertretende Präsident der IHK, die dramatische Lage. Der Handel litt schon vor dem Virus stark unter der Online-Konkurrenz.
Überhaupt verschärft die Corona-Krise Probleme, die es zuvor bereits gab. Das gilt auch für die Autoindustrie. Der Absatzrückgang und der Wandel hin zur E-Mobilität beuteln die Branche, große Zulieferer wie Continental bauen Stellen ab. Auch unsere Region kann betroffen sein, schwäbische Autozulieferer beschäftigen mehr als 60000 Mitarbeiter. Wo geht es für sie hin? Ist das E-Auto die Zukunft oder wird Wasserstoff eine Rolle spielen? „Es fehlt im Automobilbereich die industriepolitische Konzeption“, kritisiert Lucassen. Der Erfolg von Tesla beruhe darauf, dass E-Autos und Ladenetz aus einer Hand angeboten würden. In Deutschland sei dies bisher nicht gelungen.
Dass der Freistaat 100 Millionen Euro in den Großraum Augsburg pumpt, um den Strukturwandel besser zu stemmen, begrüßen die Wirtschaftsvertreter. Gefördert wird Forschung zu Künstlicher Intelligenz und die Entwicklung der Wasserstoff-Technologie. „Jetzt kommt es darauf an, daraus etwas zu machen“, mahnt Lucassen. Ziel müsse es sein, eine „Modellregion Wasserstoff-Technologie Schwaben“zu schaffen. Das Handwerk wünscht sich, beim Thema Künstliche Intelligenz stärker eingebunden zu werden. Wie Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger die konjunkturelle Lage beurteilt, steht auf Bayern.