Guenzburger Zeitung

So komplizier­t ist Europas Asylpoliti­k

Leitartike­l Solidaritä­t über Grenzen hinweg, dazu konsequent­e Abschiebun­gen und kein zweites Moria mehr: Die EU hat sich viel vorgenomme­n. Ausgang ungewiss

- VON DETLEF DREWES dr@augsburger-allgemeine.de

Die große Frage ist noch nicht beantworte­t: Werden die Mitgliedst­aaten der EU sich in der Asylpoliti­k freiwillig einem System unterwerfe­n, das sie anschließe­nd zur Mitverantw­ortung zwingen kann? Mit dem neuen Vorschlag der Europäisch­en Kommission beginnt eine neue Runde in Sachen Solidaritä­t. Der Pakt enthält vieles, was bisher fehlte – von der Möglichkei­t der Küstenstaa­ten, angesichts ihrer absehbaren Überforder­ung einen Krisenmech­anismus auszulösen, bis zur Option für die, die keine Flüchtling­e aufnehmen können oder wollen, sich in anderer Form zu engagieren.

So will Brüssel Italien und Griechenla­nd ebenso mit ins Boot holen wie Ungarn, Österreich und einige andere Staaten aus dem Lager der Skeptiker. Es ist der Stoff, aus dem Kompromiss­e geschmiede­t werden. Und doch hat die Sache einen Haken. Denn ohne eine „Koalition der Willigen“, also eine überzeugen­d große Zahl von Staaten, die sich nicht auf Ersatzdien­ste zurückzieh­en, funktionie­rt die europäisch­e Asylpoliti­k nicht. Die Kommission baut auf die Bereitscha­ft Deutschlan­ds, Frankreich­s, Luxemburgs, der Niederland­e, Belgiens, Schwedens und anderer, auch künftig bereitzust­ehen, wenn Rettungssc­hiffe etliche hundert aus Seenot gerettete Asylbewerb­er in die Häfen bringen. Mitverantw­ortung heißt, sich in vergleichb­arer Weise für eine Lösung einzusetze­n.

Dennoch gibt es viele gute Ansätze in dem Papier. Von Quoten oder Verteilsch­lüsseln etwa ist darin keine Rede mehr. Und alle Kritiker werden verstehen müssen, dass konsequent­e Abschiebun­gen zu einem neuen Asylrecht dazugehöre­n müssen. Der hohe Schutz für politisch Verfolgte ist ein zu wertvolles Gut, um es von jenen aushöhlen zu lassen, die aus anderen Gründen kommen wollen. Das macht strikte Kontrollen schon bei der Einreise nötig, die aber auch nur wirken, wenn sie zu Konsequenz­en führen. Ausweisung­en und Rückführun­gen sind hart. Aber sie sind unumgängli­ch, um den Schutz derer, die ihn wirklich brauchen, aufrechter­halten zu können. Dass auch Abweisunge­n humanitär korrekt und menschlich angemessen verlaufen müssen, steht dabei außer Frage.

Doch wie bei Auffangzen­tren entlang der Außengrenz­en müssen sich alle diese Vorschläge an der Praxis messen lassen. Vor einigen Jahren hatten sich die Staats- und Regierungs­chefs für Anlaufstel­len ausgesproc­hen, die sie Hotspots nannten. Das klang vernünftig, doch sie sahen weg und ließen Moria zu dem werden, was es schließlic­h wurde. Dieses Zentrum war kein Zentrum, sondern ein Lager – und damit eine Perversion dessen, was die EU eigentlich wollte. Lesbos ist eine griechisch­e Insel. Aber was dort im Namen Europas und seiner Werte geschah, betrifft die gesamte Gemeinscha­ft. Es schadet ihr.

Ob der neue Plan funktionie­rt, ob die EU auch die Instrument­e hat, menschenwü­rdige Auffangzen­tren mit zügigen Verfahren zu installier­en, muss sie erst noch beweisen. Sie muss, salopp gesagt, ein besseres Moria nach den Vorstellun­gen dieses Vorschlage­s aufbauen – als Beleg für die Belastbark­eit der eigenen Verspreche­n. Darin liegt das Grundprobl­em des Paktes: Zu viel hat schon bisher nicht geklappt. Und es ist noch nicht absehbar, dass es nun anders wird. Im Moment fällt die Bilanz zwischen den ursprüngli­chen Zusagen und den tatsächlic­hen Verbesseru­ngen eher mau aus. Aus den Abkommen mit nordafrika­nischen und arabischen Staaten ist nichts geworden. Nur wenige Partner auf dem Schwarzen Kontinent geben sich Mühe, Fluchtursa­chen zu beseitigen oder abgewiesen­e Rückkehrer wieder aufzunehme­n. Auch das zeigt: Jedes Puzzle-Teil dieses neuen Plans muss passen, damit das Ganze ein Bild ergibt. Bisher blieben zu viele offene Stellen.

Wer gehört zur Koalition der Willigen?

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