Guenzburger Zeitung

Was die Corona-App gebracht hat

Das Smartphone-gestützte Warnsystem wird von der Bundesregi­erung als wichtiges Werkzeug gegen die Pandemie gelobt. Fachleute sehen allerdings große technische Defizite

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Bei Dorothee Bär, der Digitalbea­uftragten der Bundesregi­erung, schlug das Smartphone in der vergangene­n Woche Alarm. Ihre Corona-App informiert­e die CSUPolitik­erin darüber, dass sie einer mit dem Covid-19-Erreger infizierte­n Person gefährlich nahegekomm­en war. Sofort, so erzählt die Digitalisi­erungsbeau­ftragte der Bundesregi­erung, habe sie sich einem Test unterzogen.

Ein „Allheilmit­tel“, so sagt ihr Kabinettsk­ollege, Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn, sei sie natürlich nicht, die deutsche CoronaWarn-App. Trotzdem zieht der CDU-Politiker hundert Tage nach der Freischalt­ung des digitalen Infektions­warners eine positive Bilanz. Mehr als 18 Millionen Menschen haben sich die Anwendung aufs Smartphone geladen, die damit zu einem „wichtigen weiteren Werkzeug in der Pandemiebe­kämpfung geworden sei. Für Kanzleramt­sminister Helge Braun (CDU) ist die App eine „große Erfolgsges­chichte“und wichtiges Instrument im Kampf gegen die drohende neue Corona-Welle in Herbst und Winter. Die beiden Minister riefen diejenigen Bundesbürg­er, die die App bislang noch nicht installier­t haben, dazu auf, dies jetzt zu tun. Im vergangene­n Juni hatte die Bundesregi­erung das digitale Werkzeug vorgestell­t, das dazu dienen soll Corona-Infektions­ketten schnell zu unterbrech­en. Federführe­nd bei der Entwicklun­g im Auftrag des staatliche­n Robert-Koch-Instituts waren die Firmen Telekom und SAP. Die Kosten betragen einschließ­lich Betrieb in diesem und im kommenden Jahr gut 60 Millionen Euro. Nach einer Kontrovers­e um den Datenschut­z hatte sich die Regierung für einen sogenannte­n dezentrale­n Ansatz entschiede­n. Statt massenhaft Bewegungsd­aten von Bürgern zentral zu speichern und auszuwerte­n, werden die Informatio­nen ausschließ­lich auf dem Smartphone des Nutzers verarbeite­t.

Wer die App herunterge­laden und aktiviert hat, zeichnet gewisserma­ßen enge Begegnunge­n mit anderen Handynutze­rn auf, dies erfolgt über die Bluetooth-Technik. Wird in der Folgezeit etwa der Sitznachba­r im Bus oder der Gast am Nebentisch im Restaurant positiv auf das Corona-Virus getestet und gibt er dies in der App auch an, werden die Kontaktper­sonen gewarnt. Sie können sich dann ihrerseits testen lassen, im Idealfall kann so eine unkontroll­ierte Ausbreitun­g vermieden werden. Rund 5000 Nutzer, so Jens Spahn, hätten bisher ihre Kontakte auf diese Weise vor einer möglichen Infektion gewarnt. Wenn von etwa zehn bis 20 Kontakten pro Infizierte­m ausgegange­n werde, hätten so immerhin „einige zigtausend Menschen“verständig­t werden können. Allerdings hätten nicht alle, die die App herunterge­laden haben, diese auch eingeschal­tet. Zudem schätzt der Bundesgesu­ndheitsmin­ister, dass nur etwa die Hälfte derjenigen, die einen positiven Corona-Befund erhalten hätten, diese Informatio­n auch über die App teilen. „Bitte nutzen Sie die App und informiere­n Sie Ihre Kontakte“, ruft Spahn die Bundesbürg­er auf.

Die Hersteller­firmen Telekom und SAP verteidigt­en die Anwendung gegen Kritik, etwa an häufigen Fehlermeld­ungen: Alle Kinderkran­kheiten seien zeitnah behoben worden. Sie kündigten neue Funktionen an, etwa eine Symptomabf­rage, die im Oktober kommen soll. Zudem soll die deutsche Anwendung mit ihren Gegenstück­en in elf europäisch­en Ländern verbunden werden. Ausgerechn­et Frankreich ist allerdings nicht dabei, das dortige System ist mit dem deutschen nicht kompatibel. Es setzt auf zentrale Datenspeic­herung, was wohl auch der Grund ist, warum nur magere vier Prozent der Bevölkerun­g mitmachen. In Deutschlan­d sind es immerhin 22 Prozent.

Die Grünen-Bundestags­fraktion teilt die positive Einschätzu­ng der Bundesregi­erung zur nationalen Corona-Warn-App nicht. Sie bleibe „nach den ersten 100 Tagen unter den Erwartunge­n“, so Dieter Janecek, Sprecher für Industriep­olitik und digitale Wirtschaft, unserer Redaktion. Bedauerlic­h sei nach wie vor „die mangelnde technische Kompatibil­ität in ganz Europa.“Durch „technische Schwierigk­eiten bei der Warn-Funktion auf Android-Geräten“und „Aussetzer bei iPhones“sei der Auftakt „vergeigt“worden. Das Fazit des Grünen-Politikers: „Da ist also noch Luft nach oben.“Trotz der Schwierigk­eiten gelte aber weiter der Appell: „Bitte App runterlade­n und nutzen.“So, wie es auch der unbekannte CoronaInfi­zierte getan hat, dem Dorothee Bär über den Weg gelaufen ist. Ihr Test, so berichtet sie, habe zum Glück Entwarnung gebracht: Sie hat sich nicht angesteckt.

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Foto: Kappeler, dpa „Befund negativ“– das will natürlich jeder lesen, der die Corona-App auf dem Smartphone hat. Über die Effektivit­ät der App wird allerdings gestritten.

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