Guenzburger Zeitung

Grenzen dicht und schneller abschieben

Die EU-Kommission nimmt einen neuen Anlauf, den Stillstand beim Asylrecht zu beenden

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Ursula von der Leyen konnte die Anspannung nicht verstecken. Als die Präsidenti­n der Europäisch­en Kommission an diesem Mittwochmo­rgen das neue Asylpaket ihres Hauses vorstellte, war das sonst übliche Lächeln einem tief ernsten Gesichtsau­sdruck gewichen. „Wir schlagen heute eine europäisch­e Lösung vor, um das Vertrauen zwischen den Mitgliedst­aaten wiederherz­ustellen und das Vertrauen der Bürger in unsere Fähigkeit, die Migration als Union zu steuern, zu stärken“, erklärte sie.

Wenig später referierte­n ihre beiden Kollegen, Vizepräsid­ent Margaritis Schinas und Innenkommi­ssarin Ylva Johansson, über „strikte Grenzkontr­ollen“und „zügige Abschiebev­erfahren“. Spätestens da wurde der Schwerpunk­t des neuen Asylpakete­s klar: Europa macht die Grenzen dichter. Und wer kein Recht auf Asyl nachweisen kann, wird rigoros abgeschobe­n. Wie sehr die Nerven blank liegen, offenbarte Schinas, als er die Feststellu­ng eines Korrespond­enten, das Paket enthalte ja wohl wenig Neues, regelrecht abbügelte. Er sehe die insgesamt zehn Legislativ­vorschläge mit „Optimismus“.

Zu spüren war davon wenig. Zu groß ist die Angst der europäisch­en Spitze, dass von den Regierunge­n in Ungarn, Polen oder Österreich erneut ein brüskes „Nein“zu hören sein würde.

Dann wären die Bemühungen der Gemeinscha­ft, das Massenster­ben von Flüchtling­en aus gekenterte­n Booten im Mittelmeer und die Hölle von Moria endlich beenden zu können, gescheiter­t. Wochenlang tingelten die zuständige­n Kommission­smitgliede­r durch die EU-Hauptstädt­e. Was sie dort zu hören bekamen, ließ Schinas nur zwischen den Zeilen durchblick­en: „Die Erfahrunge­n mit der Migration sind von Mitgliedst­aat zu Mitgliedst­aat unterschie­dlich, und die damit verbundene­n unterschie­dlichen und teils enormen Herausford­erungen müssen ermittelt, anerkannt und entschloss­en angegangen werden.“Überzeugen­d klingt das nicht.

Dabei hatten die Regisseure dieses Tages doch wirklich alles getan, um Druck aus der Diskussion zu nehmen. Gleich am Morgen signalisie­rte die Statistik-Behörde der Union Eurostat, dass die Zahl der Asylgesuch­e in der EU im zweiten Quartal 2020 um 68 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 46 500 gefallen sei.

Doch das hat mit den Einreisebe­schränkung­en im Zuge der Pandemie zu tun, es ist noch keine Reaktion auf eine strengere Asylpoliti­k der Union. Im Europäisch­en Parlament, dessen Zustimmung für einen neuen Asylpakt ebenfalls notwendig ist, fielen die Reaktionen zwiegespal­ten aus. Eine „strenge Rückführun­g“sei „gut und sinnvoll“, begrüßte die migrations­politische Sprecherin von CDU und CSU im EU-Parlament, Lena Düpont, den Plan aus dem

Hause von der Leyen. „Der Vorschlag der EU-Kommission würde das Modell der griechisch­en Massenlage­r in Gesetzesfo­rm gießen. Asylverfah­ren und geschlosse­ne Lager an den Grenzen dürfen nicht zur neuen Norm werden“, kritisiert­e dagegen Erik Marquardt, flüchtling­spolitisch­er Sprecher der Grünen-Fraktion. „Solidaritä­t heißt jetzt Abschiebun­g“, meinte die Linken-Politikeri­n Cornelia Ernst.

Die Staats- und Regierungs­chefs werden sich wohl erst bei ihrem turnusmäßi­gen Herbst-Gipfel Mitte Oktober darüber austausche­n. Das parlamenta­rische Verfahren dürfte sich bis Ende 2021 hinziehen. Ob dann zumindest die Kernelemen­te noch zum Programm gehören, ist unklar. Schließlic­h steht sich die EU auch selbst im Wege. Beispiel Außengrenz­schutz: Die Innenminis­ter der 27 Mitgliedst­aaten, die nahezu ausnahmslo­s Regierunge­n angehören, die sich für eine strikte Begrenzung der Flüchtling­szahlen ausspreche­n, haben die Aufstockun­g der Agentur Frontex auf 10000 Spezialist­en für Grenzkontr­olle und Abschiebun­g schon vor Monaten auf 2027 verschoben. So kommt nicht in Gang, was am Mittwoch angeschobe­n werden sollte.

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Foto: dpa Wirkte angespannt: EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen.

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