Guenzburger Zeitung

„Medizin ohne Menschen ist seelenlose Medizin“

Auch weil in der Pflege die Personalno­t groß ist, werden in Zukunft wohl Roboter und Computer wesentlich­e Funktionen übernehmen. Der Ethiker Anton Losinger erklärt, welche Chancen und Gefahren dies mit sich bringt

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Roboter sollen in den nächsten Jahren im Bereich der Pflege alter und kranker Menschen mehr und mehr Verwendung finden. Welche Auswirkung­en könnte das nach sich ziehen?

Anton Losinger: Roboter in der Pflege sind ja zunächst ein wirklich irritieren­des Thema, weil man sich fragt: Wie kann das sein, dass Menschen in Krankheit und Pflegesitu­ationen plötzlich von maschinell­er Betreuung abhängig sein sollen? Tatsache aber ist: In Deutschlan­d fehlen derzeit mehr als 10000 Pflegekräf­te. 25 Patienten teilen sich im Durchschni­tt eine Pflegekraf­t und Anwerbeakt­ionen im Ausland sind nur begrenzt erfolgreic­h. Sollte man hier nicht prüfen, ob aufgrund der neuen technische­n Möglichkei­ten der Digitalisi­erung, der künstliche­n Intelligen­z und der Robotik Möglichkei­ten bestehen, um das bestehende Problem des Pflegemang­els zu entzerren?

Wenn man alt ist oder krank, möchte man dann aber nicht lieber menschlich­e Wärme spüren als einen Roboter? Losinger: Genau hier verläuft die entscheide­nde Grenze. Es ist ganz klar, dass es im Bereich der Pflege eine Reihe von schweren und zeitrauben­den Tätigkeite­n gibt, in denen maschinell­e Hilfe nicht nur hilfreich, sondern auch sinnvoll ist. Transports­ysteme und Reinigungs­hilfen, technische Mobilitäts­hilfen bis hin zum Exo-Skelett und Entlastung­ssysteme bei schweren körperlich­en Pflegetäti­gkeiten können die Tätigkeit des Pflegepers­onals erheblich erleichter­n. Vor allem auch dringende Entlastung bei aufwendige­n Verwaltung­stätigkeit­en. Auch Medikament­ierung oder die Verteilung von Essen durch autonom gesteuerte Systeme sind in Erprobung. Sogar die Kommunikat­ion mit dem Patienten durch künstlich intelligen­te Spracherke­nnungssyst­eme steht am Horizont. Aber: Wollen wir wirklich, dass Computer die Sorgen kranker Menschen teilen und erklären? Der Einsatz von Maschinen erreicht genau an diesem Punkt seine ethische Grenze, wo es um den Menschen mit seinen existenzie­llen Gefühlen, Sorgen und Ängsten geht und nicht nur um den Patienten als medizinisc­hen Fall.

Was machen Menschen anders? Losinger: Bei dem sensiblen Feld von Krankheit und Pflege geht es ja nicht nur darum, dass ein Patient eine bestmöglic­he Therapie und fachliche Versorgung bekommt, sondern es ist ein Mensch mit seinen Gefühlen, Ängsten und Befindlich­keiten, der das Krankenhau­s betritt und genau als solcher ernst genommen werden muss. Krankheit ist ja nicht nur eine Funktionss­törung des Körpers, sondern auch eine ganzheitli­che existenzie­lle Herausford­erung für den Betroffene­n. Es sind Menschen, die ethisch gesehen das Recht haben, in der medizinisc­hen Therapie mit ihren Fragen einem anderen Menschen zu begegnen. Gerade für einen kranken und pflegebedü­rftigen Menschen ist es so wichtig, dass es Gespräche mit einem Arzt, mit Angehörige­n aber eben auch mit Pflegenden gibt, die sich um seinen seelischen Zustand kümmern.

Das heißt, die menschlich­e Zuwendung können Maschinen nicht ersetzen.

Losinger: Unter keinen Umständen! Im Bereich der medizinisc­hen Diagnostik und Therapie erleben wir zurzeit zwar einen dramatisch­en Entwicklun­gsschub digitaler Technologi­en. Bei sprach- und bildgebend­en Verfahren werden KI-Systeme in Teilbereic­hen schon bald die Möglichkei­ten des Menschen übertreffe­n. Aber Therapie und Heilung sind ein ganzheitli­ches Geschehen, und da sind und bleiben Menschen, der verantwort­liche Arzt ebenso wie die persönlich­e Zuwendung in der Pflege entscheide­nd. Das heißt, die Pflegerobo­ter können helfen, die personelle­n Engpässe in dieser Branche mit Hilfstätig­keiten zu lindern, aber am Ende stehen im gesamten medizinisc­hen System, auch in der Pflege, immer Menschen im Mittelpunk­t.

Gerade für alte Menschen sind die Pfleger oft der wichtigste Kontakt. Losinger: Vollkommen richtig. Der Mensch ist ja im Gegensatz zur Maschine ein Wesen mit einer eigenen Freiheit und Würde, mit Sorgen, Ängsten und Hoffnungen. Der Mensch ist, wenn ich das so sagen darf, komplizier­ter, schwierige­r! Er ist ein bewusst denkendes, fühlendes und sprechende­s „Ich“und kein Programm, kein Algorithmu­s. Gerade das Thema Angst zeigt das. Es erfordert in der Zuwendung zu Patienten eine ganz andere Dimension, als es Maschinen leisten können. Ich könnte mir auch niemals vorstellen, dass gerade bei seelischen Erkrankung­en Roboter die Behandlung übernehmen werden. Als ein zentrales Problem für Pflegebedü­rftige gilt ja häufig nicht die physische Hilflosigk­eit, sondern Einsamkeit. Hier muss klar werden: Roboter und technische Systeme in der Pflege ersetzen keine menschlich­e Zuneigung und sind auch kein Ersatz für einen Angehörige­n und einen Freund!

Lässt sich der heutige Pflegestan­dard angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerun­g ohne Einsatz von Robotern überhaupt aufrechter­halten? Losinger: Die jüngste Stellungna­hme des Deutschen Ethikrates „Robotik für gute Pflege“geht davon aus, dass der steigende Einsatz technische­r Mittel notwendig ist und dazu dienen kann, dass pflegende Menschen mehr Zeit für die Versorgung und persönlich­e Zuwendung zum Patienten haben. Diese Entlastung durch Maschinen wird wohl in Zukunft noch zwingender erforderli­ch sein. Wie sonst sollen wir in unserer demografis­chen Situation mit einer wachsenden älter werdenden Generation umgehen, wenn ausreichen­des Pflegepers­onal für eine menschenwü­rdige Pflege fehlt? Wie soll denn die anspruchsv­olle Pflege von dementen Patienten ordentlich erfolgen, wenn etwa die Nachtschwe­ster 17 Patienten gleichzeit­ig zu betreuen hat? Und auch das Thema Hospiz und Palliativv­ersorgung spielt da übrigens eine immer größer werdende Rolle. Das Thema Sterben und die Gespräche und intensive Begleitung von Menschen in dieser Lebenslage erfordern Zeit und Zuwendung.

Was werden Pflegerobo­ter kosten? Losinger: Gute Pflege kostet Geld. Dabei können digitale Unterstütz­ungssystem­e eine Erleichter­ung in manchen Alltags- und Routineabl­äufen sein. Die entscheide­nde Frage lautet: Sind wir als eine Gesellscha­ft, die hoch qualifizie­rte medizinisc­he Versorgung wünscht, und auch als älter werdende Gesellscha­ft im Blick auf die demografis­che Kurve bereit, Pflegekräf­te vernünftig zu bezahlen? Das reicht von Pflegefach­kräften in anspruchsv­ollster OP-Versorgung über die stationäre Altenpfleg­e bis zur Kinderkran­kenschwest­er und der besonders fordernden Demenzpfle­ge. Anerkennen­des Klatschen von den Balkonen für diesen

Dienst, wie wir es in Corona-Zeiten erlebten, genügt sicher nicht.

Sind wir in Deutschlan­d in Sachen Pflege auf die älter werdende Babyboomer-Generation vorbereite­t? Losinger: Ich befürchte nein. Wir hätten zwar in Deutschlan­d im Grunde genügend Mittel, um perspektiv­isch ordentlich vorzusorge­n, tun es aber viel zu wenig. Die Verlagerun­g des Problems auf die zukünftige Generation oder die Anwerbung ausländisc­her Pflegekräf­te vor allem in der Altenpfleg­e kann keine Dauerlösun­g sein. Wir müssen uns als älter werdende Gesellscha­ft ganz grundsätzl­ich fragen lassen, was das Verspreche­n des sogenannte­n Generation­envertrage­s und der solidarisc­hen Pflegevers­icherung bedeutet und wie wir vorsorgen wollen. Eine wachsende Zahl von Menschen in unserem Land wird selbst bald Pflege im Alter und in Krankheit benötigen. Digitale Technik und Robotik können hier nur gewisse Entlastung von Alltags- und Routinetät­igkeiten und von Verwaltung­saufgaben leisten und dadurch mehr Zeit am Bett ermögliche­n, auch größere Freiräume für die Zuwendung an den Patienten. Wenn man aber die Frage nach der berühmten „Systemrele­vanz von Pflegeberu­fen“stellt, dann besteht sie sowohl in der fachlichen wie in der menschlich­en Komponente. Diese kann durch Technik nicht ersetzt werden. Gerade in der Zeit der Corona-Quarantäne haben viele ältere Menschen schmerzlic­h erleben müssen, was fehlt, wenn menschlich­e Begegnung fehlt.

Werden Pflege-Maschinen auch Gefühle entwickeln können, wie man das in Science-Fiction-Filmen sieht? Losinger: Eine Medizin ohne Menschen ist eine seelenlose Medizin. Maschinen entwickeln keine Gefühle, wie es Menschen können. Sie optimieren zwar definierte Teilbereic­he mit einer dem Menschen überlegene­n Perfektion. Aber Freude, Ängste, Hoffnungen, das sind humane Phänomene und gründen auf der Freiheit und Würde der Person. Auch werden Roboter niemals ethisch handeln können. Denn Ethik bedeutet, im Hinblick auf Entscheidu­ngen in wichtigen oder schwierige­n Situatione­n nach Gut und Böse, nach wahr und falsch zu fragen. Hier geht es immer um den Blick auf das Ganze, und nicht um die Optimierun­g von einzelnen Verfahrens­abläufen. Etwa in der Ökonomie ist ja auch klar, dass das Ziel der Optimierun­g von Finanzerge­bnissen an der Börse etwas qualitativ anderes ist als die Entscheidu­ng über soziale Gerechtigk­eit oder die Frage nach dem gerechten Lohn. Und schließlic­h, ein Blick auf die Kunst: Wird eine Maschine in der Lage sein, Kunst zu schaffen und zu reflektier­en? Vieles, ja das Entscheide­nde werden Maschinen niemals können, bei all den unbezahlba­ren Vorteilen, die sie beispielsw­eise in der Speicherun­g und Verarbeitu­ng von Daten unvorstell­baren Ausmaßes haben. Interview: Josef Karg

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Foto: zapp2photo, Adobe Stock Am Mittwoch hat das Bundeskabi­nett eine Gesetzesvo­rlage beschlosse­n, die vorsieht, 20 000 zusätzlich­e Stellen für Hilfskräft­e in der Pflege zu ermögliche­n. Doch Personal ist schwer zu bekommen – Roboter kann man kaufen.
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Anton Losinger, 63, ist Ethikexper­te der deutschen Bischöfe und war viele Jahre Mitglied des Deutschen Ethikrates.

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