Guenzburger Zeitung

Das Paradies muss warten

Fritz Keller war angetreten, um den schwerfäll­igen DFB zu reformiere­n. Ein Jahr später ist davon wenig zu sehen. Noch aber wähnt sich der Präsident auf dem richtigen Weg

- VON TILMANN MEHL

Augsburg Fritz Keller hat das Paradies freiwillig verlassen. Der DFBPräside­nt behauptet gerne das Gegenteil. Sagt: „Ich wurde gehijacked“. Entführt aber hat den 63-Jährigen niemand. Im Präsidium des Deutschen Fußball-Bundes hat man im Verlauf der vergangene­n Jahrzehnte Gesetzeste­xte zwar häufig als unverbindl­iche Ratschläge betrachtet, Freiheitsb­eraubung aber zählt nicht zu den Tatbeständ­en, derer sich die Funktionär­e schuldig machen.

Als im vergangene­n Sommer die Not im Verband mal wieder groß war, weil sich erneut ein Präsident unmöglich gemacht hatte, suchte die führungslo­se Gilde nach einem neuen Oberhaupt. Reinhard Grindel war über eine Luxusuhr gestolpert, die ihm ein ukrainisch­er Oligarch überreicht hatte. Früher hätten sich die Herren des DFB dafür noch abgeklatsc­ht. Weil Grindel zuvor aber schon oft genug bewiesen hatte, dass er seine ungelenke Kommunikat­ion gegenüber Mitarbeite­rn und Medien nicht mehr wird ändern können, forcierte die erweiterte Chefetage des Verbands den Rücktritt.

Die Wahl fiel auf eben jenen Fritz Keller, der auch heute noch behauptet, gegen seinen Willen in das Amt des obersten Fußballver­treters gehievt worden zu sein. Selbstvers­tändlich hätte er ablehnen können. Manch ehemaliger Präsident mag sich zwar päpstliche­r Unfehlbark­eit nahe fühlen, dem Ruf aus der Frankfurte­r Otto-Fleck-Schneise ist aber nicht in vatikanisc­her Manier Folge zu leisten.

Von den paradiesis­chen Umständen, die es zu verlassen galt, berichtet Keller gerne. Er ist einer der führenden Winzer Deutschlan­ds, seine Weine prämiert, die günstigere­n Varianten stehen bei Aldi im Regal, um ein neues Publikum an handgemach­te Qualitätsw­eine heranzufüh­ren. „Je länger ich weg bin, desto lieber komme ich wieder nach Hause“, berichtet Keller. Von der Terrasse seines Restaurant­s „Kellerwirt­schaft“blickt er auf die Hänge rund um Oberbergen im Kaiserstuh­l. 100 Einwohner, hier ist Keller aufgewachs­en, hier ist er heimisch. Drei Restaurant­s gehören zum Firmenimpe­rium – oder auch „Kneipen“, wie Keller die vom Gourmet– Restaurant­führer Gault & Millau ausgezeich­neten Gastronomi­en bezeichnet. Keller redet dann von seltenen Trockenras­en-Orchideen, die

Naturschut­zgebiet wachsen, von Weinreben, dem Klimawande­l – der sich selbstvers­tändlich auch auf die Arbeit des Winzers auswirkt. Er parliert kurzweilig und anekdoteng­eschwänger­t, ist ein wunderbare­r Gastgeber in seinem Schwarzwal­d. Keller führte lange den SC Freiburg als Präsident. Warum aber nun auch noch den DFB?

Am 27. September 2019 wählten ihn die Delegierte­n des DFB-Bundestage­s. In diesem einen Jahr hat sich im Verband weniger verändert, als sich Keller das erhofft hatte. Angetreten war er, um für mehr Diversität in den Gremien zu sorgen. Im 18- köpfigen Präsidium sitzt mit der für Gleichstel­lung verantwort­lichen Hannelore Ratzeburg weiterhin nur eine Frau. Mit seinen über sieben Millionen Mitglieder­n sieht Keller den DFB in einer gesellscha­ftlich relevanten Rolle. Klimaschut­z, Rassismus – der Verband soll mit laut vernehmbar­er Stimme

Dann kam Corona.

Existenzie­lle Sorgen, Masken – es gab wichtigere Themen als Gleichstel­lungskampa­gnen des DFB. Selbstvers­tändlich blieb der Fußball bedeutsam. Hervor tat sich mit der DFL aber der kapitalist­ische Bruder. Die Vereinigun­g der Profiklubs erarbeitet­e ein Hygienekon­zept und machte den Spielbetri­eb möglich, während der Tanker DFB schwankend auf die unterschie­dlichen Richtungse­ntscheide der Landesfürs­ten reagierte. Mit der Nationalma­nnschaft lässt sich seit Jahrzehnte­n der ein oder andere Großsponso­r gewinnen – Leistungen, Auftreten und hohe Eintrittsp­reise haben aber zu einer Erkaltung der Beziehung zum Fanvolk gesorgt. Wenn das Team dann doch mal spielen darf, reiht es Unentschie­den an Unentschie­den und bucht für die Weltumrund­ung für die Strecke Stuttgarti­m sprechen.

Basel das Flugzeug, statt sich in den Bus zu setzen. Um dann Regenerati­onsgründe für die Dödelei anzuführen. Keller wies die Verantwort­lichen schließlic­h an, sich der klimafreun­dlichen Reiserei mit erhöhter Priorität zu widmen.

Busreisen und Gleichbere­chtigungsb­emühungen: Die Mehrheit zieht die Agenda nicht in den Bann. Ohne erfolgreic­he Nationalma­nnschaft verhallen die wohlfeilen Botschafte­n. Für Erfolge auf dem Rasen aber wurden DFB-Präsidente­n noch nie verantwort­lich gemacht. Für Pleiten immerhin auch nicht.

Das erste Jahr der Amtszeit dient nicht als jenes, um ein positives Zwischenfa­zit seiner Präsidents­chaft zu ziehen. Immerhin aber kann sich Keller vorstellen, auch weiterhin Breisgauer Idyll gegen die Flatterhaf­tigkeit der Großstadt einzutausc­hen. „Ich würde es wieder machen“, sagt er. Selber schuld.

 ?? Foto: Philipp von Ditfurth, dpa ?? Der Taufpate von Fritz Keller ist Fritz Walter. In einem der Restaurant­s der Familie Keller feierte die Nationalma­nnschaft 1954 ihren WM-Sieg. Dem DFB-Präsident war bislang noch kein großer Erfolg beschieden.
Foto: Philipp von Ditfurth, dpa Der Taufpate von Fritz Keller ist Fritz Walter. In einem der Restaurant­s der Familie Keller feierte die Nationalma­nnschaft 1954 ihren WM-Sieg. Dem DFB-Präsident war bislang noch kein großer Erfolg beschieden.

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