Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (60)
In die italienische Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefert. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaffen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu religiösen Fanatikern und einem muslimischen Wunderheiler führt.
Sie war blind, taub und verrückt dazu. Drei Sitzungen hat der Scheich gebraucht, und jetzt kann sie wieder sehen und hören und ist ganz vernünftig.“
Die beiden Kommissare waren sprachlos.
„Hast du sie etwa geheiratet?“, fragte Barudi giftig.
„Nein, aber ein Freund von mir hat sie geheiratet“, antwortete der Schwätzer hinter dem Lenkrad.
„Dann warte mal ab. Dein Freund wird bald blind, taub und reif sein für die Irrenanstalt. Aber ich habe Beziehungen dort und kann ein Wort für ihn einlegen.“
Eingeschüchtert sah der Taxifahrer Barudi im Rückspiegel an. Schnell und ohne noch ein Wort zu sagen, fuhr er Richtung MidanStraße, überzeugt, die Herren seien Geheimdienstler.
Es hatte zu regnen begonnen und Barudi genoss die Lichter der Stadt. Als sie an der bunten Neonschrift des Restaurants „Ali Baba“vorbeikamen, wurde Barudi melancholisch. Dort hatte er Basma zum ersten Mal leidenschaftlich geküsst. Sie hatten zusammen gegessen und viel gelacht. Als er ihr schließlich an der Garderobe in den Mantel half, konnte er ihrem Duft nicht widerstehen. Obwohl er Sorge hatte, Basma zu erschrecken, küsste er sie. Und Basma küsste ihn ebenso leidenschaftlich, bis sich eine Frau hinter ihnen räusperte. „Dürfte ich zu meinem Mantel, bitte. Das Taxi wartet.“Damals hatte er verlegen gelächelt.
Kurz vor der Midan-Straße fragte Mancini Barudi leise, ob er noch auf ein Glas Wein zu ihm kommen wolle.
„Gern“, sagte Barudi.
Bald erreichten sie das Gebäude. Barudi zahlte und stieg nach Mancini aus.
„Der italienische Botschafter hat mich mit seiner Offenheit überrascht“, begann Barudi, als sie an dem kleinen Tisch in Mancinis Küche Platz genommen hatten. Sein italienischer Kollege hatte ihm einen trockenen Cabernet Sauvignon serviert.
Lange sprachen sie über den Kardinal und über das Bekennerschreiben. Die Spätnachrichten zeigten das Papier. Wie jedes Schreiben islamistischer Terroristen begann der Text mit den Worten: bism Allah alruhman alrahim. Die Nachrichtensprecherin verlas einige Details, die inzwischen bekannt geworden waren. Das Schreiben sei auf dem Computer geschrieben, ausgedruckt und der Nachrichtenagentur SANA per Post übermittelt worden. Aber, so die Nachrichtensprecherin, im Internet tauche das Schreiben nirgendwo auf.
„Das sagt etwas über den Absender. Er ist bestimmt in fortgeschrittenem Alter“, murmelte Mancini, als spreche er zu sich selbst. „Wie kommst du darauf?“„Weil er Angst davor hat, im Internet zu schnell ausfindig gemacht zu werden“, erwiderte Mancini.
„Aber dann kämen doch fünfzehn Millionen Syrer infrage. Auch ich vertraue dem Internet nicht“, wandte Barudi ein.
Als Barudi eine ganze Weile später Mancinis Wohnung verließ, stellte er den Mantelkragen auf, band sich den warmen Schal um den Hals, um die Kälte nicht in sich eindringen zu lassen, und beeilte sich, nach Hause zu kommen.
Es war kurz nach zwei, als er schließlich im Bett lag, aber er konnte nicht einschlafen. Vielleicht war es der Wein, der ihn im Treppenhaus, kurz bevor er seine Wohnungstür aufschloss, plötzlich auf den Gedanken an Papst Benedikt gebracht hatte. An diesem Papst wurde von allen möglichen Seiten, von ganz unterschiedlichen Kardinälen gezerrt. „Ein Papst mit solchen Freunden überlebt nicht lange“, sagte sich Barudi und schüttelte dann den Kopf, wie um den Gedanken loszuwerden.
Barudi stand noch einmal auf, um sich die wichtigsten Punkte zu notieren, die er am nächsten Tag bei der Lagebesprechung nicht vergessen durfte. Doch auch danach konnte er nicht schlafen. Er setzte sich hin und schrieb auf, was ihm durch den Kopf ging. 20. Bevor der Tag beginnt
Kommissar Barudis Tagebuch Draußen regnet es in Strömen. Die Bauern freuen sich bestimmt. Ich nicht.
Ich muss morgen so viel erledigen. Vor allem diese unangenehme Begegnung mit Scheich Farcha. Ein widerlicher Typ. Gott sei Dank kann ihn der Chef auch nicht leiden.
Aber nicht nur diese Vernehmung liegt mir schwer im Magen, sondern auch das Gefühl, nichts verändern zu können. Ich fühle mich wie gelähmt. Wie in einem Albtraum, aus dem ich nicht erwache.
Um im Gespräch mit dem Scheich gut gewappnet zu sein, habe ich meinen Assistenten Ali zu einem von Farchas Cousins geschickt, Scheich Salim, mit dem Farcha sogar öffentlich im Streit liegt. Ich mahnte Ali, trotz des Bekennerschreibens kein Wort vom ermordeten Kardinal zu erwähnen. Ali kann das! Scheich Salim erzählte ihm viel über die Ausschweifungen Farchas und nannte die Namen von drei Frauen, die mit diesem ein Verhältnis hatten. Ali mahnte den Mann, er komme nicht von einer Boulevardzeitung, sondern von der Kriminalpolizei. Ob er von einer engen Beziehung seines Cousins zu den bewaffneten Islamisten wisse, da man bei einem verhafteten Islamisten Indizien gefunden habe, aber die reichten nicht aus für eine Verhaftung. Scheich Salim wusste angeblich nichts und wandte sich beleidigt wieder einem Stapel Papiere zu. Es waren Kopien von Zauberformeln für Amulette gegen Impotenz, auf jeder musste nur noch der Name des Bittstellers eingetragen werden. Als Ali sich darüber wunderte, erklärte ihm der Mann kaltschnäuzig, bei etwa hundert Patienten am Tag wäre seine Hand gelähmt, wenn er alles handschriftlich anfertigen müsste. Ich muss Nabil beauftragen, mehr über Scheich Farcha herauszufinden. Der jährliche Bericht über meine Mitarbeiter für den Chef steht an! Schon wieder! Ich weiß viel über die beiden, aber ich werde nichts schreiben, was ihnen schadet. Genau das ist eine Quälerei.
Ali: verschlossen, sehr impulsiv, hasst das Regime aus privaten Gründen. Ein betrunkener General hat seinen Bruder angefahren, der zwei Wochen später seinen Verletzungen erlag. Das Gericht sprach den General frei.
Ali neigt zu übereilten Reaktionen, behindert damit manchmal die Ermittlung. Er ist zuverlässig und wagemutig, stößt jedoch öfter einmal an die Grenze des Erlaubten bzw. Legalen. Er ist wie ein Hundertmeterläufer: stark für kurze Zeit. Dauert eine Sache länger, ist er frustriert, kurzatmig und ungeduldig. Alis größtes Problem: Er hat kein methodisches Denken und lernt nicht aus seinen Fehlern. Manchmal trifft er ins Schwarze, aber eher zufällig.
Nabil ist vorsichtig, fast feige. Langsam bis zur Behäbigkeit. Er hat den langen Atem eines Marathonläufers. Er wird das Rennen und eine beachtliche Karriere machen.
Man vermutet, er sei ein Spitzel des Geheimdienstes.
»61. Fortsetzung folgt