BKHAusbrecher und seine Geisel schrieben sich Briefe
Vor Gericht wird aus einem Briefwechsel vorgelesen, der auf ein inniges Verhältnis der beiden hindeutet. Was seine Strafe angeht, sieht es für den Geiselnehmer nicht gut aus
Memmingen/Günzburg Er überrumpelte sie, bedrohte sie mit einem selbst gebastelten Messer und zwang sie, ihm zur Flucht zu verhelfen. Dennoch scheint die junge Pflegerin, die im September 2019 im Bezirkskrankenhaus (BKH) Günzburg als Geisel genommen wurde, keinen Groll gegenüber ihrem Geiselnehmer zu hegen. Im Gegenteil. Wie jetzt im Prozess gegen den 29-Jährigen am Landgericht Memmingen bekannt wurde, schrieben er und sein Opfer sich Briefe, die auf ein inniges Verhältnis hindeuten.
Bereits bei ihrer Aussage hatte die heute 22-Jährige angegeben, dass sich der Deutsch-Russe nach seiner Verhaftung und Rückführung nach Deutschland per Brief bei ihr entschuldigt hatte. Sie hatte ihm daraufhin geantwortet. Er hatte dieses Schreiben wiederum aus der Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Kaisheim heraus erwidert. Details waren damals nicht bekannt geworden. Anders am Montag. Da verlas die Kammer zwei beschlagnahmte Briefe, die nach der Zeugenaussage der Frau entstanden waren. In ihrem Brief an den Angeklagten geht sie auf die für sie ungewohnte Erfahrung ein, als Zeugin vor Gericht aussagen zu müssen. Sie hoffe, dass sie ihm mit ihrer Aussage keine Probleme gemacht habe, schreibt sie. Auch auf die Erscheinung des Angeklagten geht sie ein. „Es hat mich berührt, dich so traurig zu sehen. Du siehst nicht gut aus.“In ihrem Brief spricht sie den Mann zudem von einer Schuld ihr gegenüber frei. „Du hast mir kein Leid zugefügt“, schreibt die junge Frau. Viel mehr beschäftigten sie andere Vorkommnisse in der forensischen Psychiatrie in Günzburg.
genau gemeint ist, darauf geht sie in dem Brief nicht ein. Mittlerweile arbeitet die junge Frau nicht mehr in Günzburg.
In seiner Antwort zeigt sich der Angeklagte einfühlsam, geht auf die Sorgen der Frau ein, bedankt sich mehrfach für ihre Briefe und betont, dass er sich gefreut hatte, sie zu sehen. Er wolle aber auch nicht, dass sie mit ihrem Umfeld „Stress“habe, weil sie Kontakt zu ihm hält. Weiter erkundigt er sich ausführlich nach ihrem Privatleben, etwa wie es ihr mit ihrer neuen Arbeitsstelle gehe, welche Hobbys sie habe und wo sie wohne. Vor Gericht äußerte sich der Angeklagte nicht zu den Briefen. Ob die Frau noch einmal geantwortet hat, bleibt offen. Die Kammer möchte die junge Frau ein zweites Mal als Zeugin laden, um sie zu den Briefen und ihrem Verhältnis zum Angeklagten zu befragen.
Ob sich dadurch an der Strafe für den Mann, der nach dem Ausbruch vier Monate lang auf der Flucht war, noch etwas ändert, ist allerdings fraglich. Am Montag ging es am Landgericht in Memmingen vor allem um die Frage, wie gefährlich der Angeklagte weiterhin ist. Und Psychiater Dr. Andreas Küthmann gab dem Mann in seinem Gutachten keine gute Prognose.
Er diagnostizierte eine dissoziale Persönlichkeitsstörung, die sich womöglich schon in früher Kindheit ausgebildet haben könnte. Der Angeklagte wuchs bei einem gewalttätigen Vater auf, kam schon früh mit Alkohol und Drogen in Kontakt und entwickelte eine entsprechende Abhängigkeit. Mit 13 Jahren wurde er aus dem Elternhaus herausgenommen und in ein Heim gebracht. Ab da verbrachte er die meiste Zeit in diversen Einrichtungen, TherapieWas zentren und später auch im Gefängnis. Erfolgreich war bisher keine der Maßnahmen.
Laut Küthmann kenne der Angeklagte ein Leben in geordneten Verhältnissen nicht. Seine Persönlichkeitsstörung, gepaart mit einer niedrigen Frustrationstoleranz und aggressivem Verhalten, sorge dafür, dass er immer wieder gegen Normen und Regeln der Gesellschaft verstoße. Dennoch sieht Küthmann bei der konkreten Tat im BKH keine Anzeichen einer Schuldunfähigkeit. „Diese Tat bedurfte einer gewissen Planung und Vorbereitung. Ich sehe keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung zum Tatzeitpunkt.“Der Psychiater schließt nicht aus, dass vom Angeklagten Gefahr in Form weiterer Straftaten ausgeht. Damit könnte zusätzlich zu einer Haftstrafe auch die Sicherungsverwahrung verhängt werden.