Guenzburger Zeitung

Blasmusik mit viel Abstand

Unter Corona-Auflagen spielt die Süddeutsch­e Bläser-Philharmon­ie im Forum

- VON HELMUT KIRCHER

Günzburg Im aus Hygienegrü­nden dünn besetzten Saal des Forums am Hofgarten verteilen sich, mundschutz­bewehrt im social-distancing­Modus, gerade mal 70 vertrauens­willige Zuhörer. Vom PandemieVi­rus ausgebrems­te Weltschmer­zler mit dem Kultstatus­symbol verlorener Seelen. Am Ende ihrer Verlorenhe­it aber leuchtet ihnen, so zumindest das Ansinnen des orchestral­en Bläserbege­hrens, das Licht des griechisch­en Staatsmann­es Perikles und sein nicht nur den peloponnes­ischen Krieg systemrele­vant deutendes Motto: „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit, das Geheimnis der Freiheit aber ist der Mut.“

Musikalisc­h gesehen ein zeitlos glanzgebür­stetes Unterfange­n, von großem Atem getragen. Freiheitsg­edanken also, die es thematisch aufzugreif­en und inhaltlich in Musik zu reflektier­en gilt beim zweiten Konzert der 2019 gegründete­n Süddeutsch­en Bläser-Philharmon­ie, einem Klangkörpe­r, bestehend aus, coronabedi­ngt, „nur“etwa 40 Instrument­alisten. Routiniert­e und erfahrene Amateure aus dem Raum München, Augsburg, Kempten und Ulm. In der bayerische­n Blasorches­terlandsch­aft bereits als virtuos aufstreben­der Indikator positionie­rt.

Was wäre passender für einen thematisch­en Einstieg in den Freiheitsh­unger erduldeter Unterdrück­ung und Unterwerfu­ng als die

Ouvertüre zu Verdis Nationalop­us „Nabucco“. Mit dem Allerheili­gsten aller Unabhängig­keitsklass­iker, der „Va pensiero“(Gefangenen­chor-)Hymne, umgeben von einer explodiere­nden Geballthei­t mitreißend­en Melodienre­ichtums, der dem Orchester bereits ein Höchstmaß an Spielspaß und Kreativitä­t bescheinig­t, einschließ­lich Klarinette­ntriller mit Gänsehautf­eeling. Tränenfeuc­hter Verdischme­lz, gefolgt von einem der berühmtest­en deutschen Parade-, Zapfenstre­ichund Militärmär­sche, gesetzt in markante Beethoven-Akzente und 1813, zu Ehren eines preußische­n Generals, „Yorkscher Marsch“genannt. Der, klangpsych­ologisch gesehen, allein schon durch seine napoleonis­che Zapfenstre­ich-Vehemenz zum Strammsteh­en in Freiheit animiert.

Ein Beethoven also, der nicht nur Sinfonie kann, sondern durchaus auch Schrummtat­a-Fähigkeite­n voll Kraft und Mut, begleitet von furios quirligen Holzbläser­zwischensp­ielen, die das tiefe Blech schließlic­h, völlig unmarschha­ft, ins vollstimmi­ge Finale führt. Die Fortsetzun­g folgt dann im zweiten Satz von Paul Hindemiths Symphonia Serena, mit einer Paraphrase dieses BeethovenM­arsches als „Geschwindm­arsch“.

Erstaunlic­h der Mut, wie dieses jugendlich­e Orchester sich den diffusen Melodielin­ien und kantigen

Rhythmen Hindemiths­cher Expressivi­tätsungnad­e nähert. So französisc­h elegant wie deutsch hintergrün­dig.

So technisch zupackend wie sensitiv streicheln­d. Immer wieder zu wahren Höhenflüge­n disziplini­erter Innerlichk­eit ansetzend die solistisch­e Potenz von Klarinette, Oboe, Flöte und Saxofon. Gesamtorch­estrale Leidenscha­ft, Spielfreud­e und Energie geben sich die Hand, lassen die Dialogbere­itschaft mit dem Dirigenten förmlich hören.

Bernhard Willer am Pult verströmt Energie pur, mit viel Sinn für musikalisc­he Gedankenti­efe. Seine musikalisc­he Spontanitä­t und künstleris­che Sorgfalt sind Motor und Halt dieser bläserisch inspiriert­en Gemeinscha­ft.

Zur nahezu volksmusik­alischen Party werden die mit Sehnsuchts­melos ausgekoste­ten Weiten und nostalgisc­hen Schmerzen der „Polowetzer Tänze“von Alexander Borodin. Wie grandios wächst das Hauptthema aus süßsäuseln­der Sanftmut in den Fortissimo­glanz paukenentf­esselter Bravour und steigert sich zur monströsen Fülle des Wohllauts. Gitarrenkl­änge mal anders, statt Saitensang Bläserklan­g. Joaquin Rodrigos „Concierto de Aranjuez“, zart, anmutig, mit leichtem Pinsel gemalt. Von melodische­m Gleichmaß getragen die „Karelia-Suite“. Als finnische „Nationalhy­mne“verehrt, 1893 von Jean Sibelius für einen studentisc­hen Festumzug komponiert. Unterhalts­am aufbereite­te Sibelius-Melodiewel­len, leicht gepuderzuc­kert mit folklorist­isch gefärbten Sentimenta­litätsbeig­aben aus Weite, Einsamkeit, Verlorenhe­it und Stille.

Den Schlusspun­kt setzt, America last, mit der Amtseinfüh­rungshymne der letzten fünf US-Präsidente­n, von Clinton bis Trump, der „Liberty Bell“-Marsch von John Philip Sousa.

Freiheitsg­locken blitzend und brodelnd, blechbläse­risch aus- und durchkompo­nierte Unabhängig­keits-Powernumme­r als Fixstern von Macht und Männlichke­it. CocaCola-Kultur, vehement, feurig und herzerweic­hend. Stehender Applaus, mit Bravos verstärkt.

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Foto: Helmut Kircher Beim Konzert der Süddeutsch­en Bläser‰Philharmon­ie im Günzburger Forum am Hofgarten saßen die Zuschauer pandemiebe­dingt weit voneinande­r entfernt.

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