Ausgeschlagene Zähne nach Familienprügelei
Zwei Brüder und deren Cousin sollen ihren Schwager vor der Günzburger Kreisklinik verprügelt haben. Was hinter dem Angriff steckt und warum das vermeintliche Opfer gar nicht selbst vor Gericht erscheint
Günzburg Im Gerichtssaal 2.1 des Günzburger Amtsgerichts herrscht nach fast drei Stunden Verhandlung ein großes Durcheinander. Drei Verteidiger reden gleichzeitig auf die Staatsanwältin ein, Richterin Jessica Huk schaut von einem zum anderen und blättert durch ihre Akten. Die drei Angeklagten, zwei Brüder und deren Cousin, allesamt türkischer Abstammung und zwischen 35 und 42 Jahre alt, verfolgen das Geschehen mit ungläubiger Verwirrung. Sie sollen den Schwager der beiden Brüder gemeinsam fast besinnungslos geprügelt haben – doch am Ende der Sitzung kann immer noch niemand sagen, ob die Angeklagten überhaupt alle anwesend waren.
Begonnen hat die schmerzhafte Geschichte am 9. Juni 2019 im Garten der 44-jährigen Schwester der beiden angeklagten Brüder. Die Frau hatte an diesem Tag ihre Eltern besucht und einer ihrer beiden Brüder fuhr sie danach nach Hause. Dort wartete bereits der Ehemann der 44-Jährigen im Garten und ging direkt auf den Bruder los. Grund dafür sei ein bereits länger währender Konflikt zwischen ihrer Familie und ihrem Mann, wie die 44-Jährige am Donnerstag vor Gericht sagt.
Sie und ihre 18-jährige Tochter hätten versucht, die beiden zu trennen, woraufhin ihr Mann beiden Frauen Ohrfeigen verpasst habe. Nicht zum ersten Mal in der 20-jährigen Ehe – das ist auch der Grund für die Differenzen mit der restlichen Familie der 44-Jährigen. Erst das Eingreifen der Polizei beendete die Auseinandersetzung. Doch der Ehemann hatte noch nicht genug.
Irgendwie habe er wohl herausgefunden, dass ihr Bruder zusammen mit mehreren Familienmitgliedern wegen der Verletzungen nach der Prügelei in die Notaufnahme der Kreisklinik Günzburg gefahren sei, sagt die Ehefrau vor Gericht. Welche Familienmitglieder dabei waren, kann während der Verhandlung am Donnerstag nicht endgültig geklärt werden. Mit drei Bekannten fuhr der Mann gegen 22.30 Uhr hinterher – und ab hier gehen die Aussagen auseinander.
Laut der 44-Jährigen sei ihr
Mann vor der Notaufnahme aus dem Auto gestiegen, auf ihren Vater, also seinen Schwiegervater, zugegangen und habe ihm eine Bierflasche über den Kopf gezogen. Danach schlug er ihm noch ins Gesicht, sodass der Senior hinfiel. „Ich habe mich dann um meinen Vater gekümmert und nichts mehr mitbekommen“, erzählt sie Richterin Huk.
Anders hat das einer der drei Bekannten in Erinnerung, die den Ehemann zur Notaufnahme gebracht hatten. Von einer Bierflasche sei im Auto nichts zu sehen gewesen, beteuert er. Den Schlag mit der Flasche habe er ebenfalls nicht gesehen, da er zunächst nicht aus dem Auto ausgestiegen sei. „Dann ist auf einmal eine Gruppe Männer am Auto vorbeigerannt.“Daraufhin sei er ausgestiegen und habe gesehen, dass mehrere Männer auf seinen Bekannten eingeschlagen hätten.
Mehrmals sei dieser aufgestanden und weggelaufen, doch die Angreifer hätten ihn verfolgt und nicht nur verprügelt und getreten, sondern auch mit Steinen beworfen.
Steine hat dagegen Zeugin Nummer drei nicht fliegen sehen, obwohl sie die ganze Prügelattacke aus nächster Nähe beobachtet hat. Auch daran, dass der Verprügelte weggelaufen sei, erinnert sie sich nicht. Sie arbeitet als Krankenschwester in der Notaufnahme und hatte am entsprechenden Abend Dienst. Auch sie hat den Angriff mit der Bierflasche nicht gesehen, wohl aber am nächsten Tag die Flasche selbst im Hof gefunden.
An dem Abend sei sie erst nach draußen vor die Notaufnahme gegangen, als plötzlich Geschrei losgegangen sei. Dort sah sie noch, wie eine ältere Frau, die Tante der beiden angeklagten Brüder, auf den Ehemann der 44-Jährigen zuging und ihn auf Türkisch beschimpfte. Dieser habe der Tante dann mit der Faust ins Gesicht geschlagen, woraufhin sich sofort drei oder vier Männer auf ihn gestürzt und so lange auf ihn eingeschlagen und -getreten hätten, bis ein Kollege der Zeugin dazugekommen sei und man die Männer habe trennen können.
„Man hat gesehen, dass der Verprügelte mindestens eine Gehirnerschütterung haben würde“, sagt die Krankenschwester vor Gericht. Die hatte der Schwager der Angeklagten dann auch, zudem eine gebrochene Nase, mehrere Hämatome und zwei ausgeschlagene Zähne.
Für eine endgültige Entscheidung fehlen Richterin Huk in der Verhandlung am Donnerstag trotzdem Beweise dafür, dass genau die drei Angeklagten für die Prügelattacke verantwortlich waren. Diese Angaben seien bislang ausschließlich vom Geschädigten gekommen.
Und mehr Beweise gibt es am Donnerstag nicht: Der verprügelte Schwager, der aktuell eine Haftstrafe absitzen soll, hat sich im Februar dieses Jahres in die Türkei abgesetzt. Der für den Fall zuständige Polizist war bei dem Einsatz nicht dabei und hat nur die Aussagen der Kollegen übernommen. Zwei Zeugen tauchen gar nicht erst nicht auf – und die Zeugen, die vor Gericht erscheinen, können keinen der Angeklagten sicher identifizieren. Die Angeklagten selbst hüllen sich in gemeinschaftliches Schweigen.
Die drei Verteidiger Wolfgang Fischer, Alfred Nübling und Mihael Milosevic reden auf die Staatsanwältin ein, die Anklage mangels Beweisen fallen zu lassen. Darauf lässt sie sich nicht ein: Am 19. November soll die Verhandlung fortgeführt werden. Aussagen sollen dann die vier Polizisten, die in der besagten Nacht am Tatort waren.