Ist Joachim Löw noch der richtige Bundestrainer?
Der Deutsche Fußball-Bund geht nach der Schmach von Sevilla offenbar auf Distanz zu Joachim Löw. Die Basis übt schon länger Kritik. Aus der Sicht heimischer Fußball-Experten bieten sich spannende Alternativen an
Landkreis Spätestens seit dem erbärmlichen Auftritt in Sevilla wird über die Zukunft von Fußball-Bundestrainer Joachim Löw öffentlich diskutiert, teilweise sehr emotional gestritten. Unmittelbar nach dem 0:6 gegen Spanien schien allein die Beletage im Deutschen FußballBund (DFB) noch hinter dem Weltmeister-Coach von 2014 zu stehen. Ein paar Tage danach war es aus mit der Nibelungentreue. In einer DFBMitteilung hieß es plötzlich, bis zum 4. Dezember wolle man Erkenntnisse sammeln, über die Zukunft beraten und die Öffentlichkeit „zum gegebenen Zeitpunkt über Ergebnisse und nächste Schritte informieren.“Der Name Löw tauchte in der Botschaft aus Frankfurt ebenso wenig auf wie Spurenelemente einer Rückendeckung – ein „Versäumnis“, das reichlich Raum für Spekulationen bietet.
Für die Fußball-Familie im Landkreis Günzburg scheint bereits festzustehen, dass Löws Tage im Amt des Bundestrainers gezählt sind. Die Experten vor Ort machen bereits die nächste Diskussion auf. Für sie geht es um den richtigen Nachfolger.
Stolze 14 Jahre ist Joachim Löw bereits Bundestrainer. 2006, unmittelbar nach dem deutschen Sommermärchen, übernahm er das Team von Jürgen Klinsmann und führte es in den Jahren danach auf einer riesigen Euphoriewelle zum Weltmeister-Titel 2014. Diese lange Zeit der Erfolge ruft Oliver Unsöld jetzt, da scheinbar gar nichts mehr läuft, in Erinnerung. Wobei der Trainer des Fußball-Landesligisten SC Ichenhausen umgehend die Frage „War das wirklich alles Jogi Löw?“in den Raum stellt. Immerhin sei der Bundestrainer stets von anerkannten Fachleuten umgeben gewesen und habe über Jahre auf gut eine Handvoll absoluter Führungsspieler bauen können. „Die fehlen jetzt“, bemerkt Unsöld, sieht Löw in dieser Beziehung aber durchaus nicht frei von Verantwortung. „Einige Stars haben nach 2014 aufgehört, aber in jüngster Zeit hat Löw andere Führungsspieler nicht mehr eingeladen, weil er die Hierarchie in der Mannschaft flach halten wollte.“
Was der frühere Spatzen-Profi daran vor allem kritisiert, fasst er in die Worte: „Ich bin der Meinung, ein Nationaltrainer ist verpflichtet, die Besten spielen zu lassen. Das tut er nicht. Er hat seinen eigenen Kopf. Und irgendwann ist dann das Ende der Fahnenstange erreicht.“
Mit seiner Behauptung, Löw habe sich ein gutes Stück vom Leistungsprinzip verabschiedet, steht Unsöld nicht allein da. Markus Deibler hatte in diesem Zusammenhang schon nach der verkorksten Weltmeisterschaft 2018 klare Worte gefunden. Heute sagt der Trainer des Kreisliga-Spitzenreiters TSV Ziemetshausen: „Ich brauche für jeden Umbruch auch tragende Säulen. Wenn man sich jetzt, da keine Zuschauer in den Stadien sind, Spiele des FC Bayern anschaut, sieht und hört man auch, wie wichtig Führungsspieler sind.“
Die schlechten Leistungen der deutschen Auswahl erreichten laut Deibler beim 0:6 nur einen Tiefpunkt. „Man hat sich ja auch schon vor Sevilla angestellt wie der erste Mensch. Und wenn man sich ein paar Tage vorher auf die Schulter klopft, weil man gegen die Ukraine gewonnen hat, okay. Aber das sollte nicht unser Maßstab sein.“
Auch Unsöld ist weit davon entfernt, die gesamte Verantwortung auf Löws Schultern zu packen. „Ich muss mich auf dem Platz doch mal wehren. Da nehme ich Leute wie Toni Kroos in die Pflicht. Und wenn ich sehe, wie der Niklas Süle bei Bayern spielt und dann in der Nationalmannschaft, muss ich mich auch fragen.“Allerdings, und daran lässt der 47-Jährige keinen Zweifel: „Für Sachen wie die Grundaufstellung ist der Trainer zuständig. Das kann er nicht auf die Mannschaft abwälzen.“
Stellt sich also die Frage: Wer soll es machen? Unsöld fallen prompt drei Kandidaten ein – wobei er einen, Jürgen Klopp, postwendend wieder vom Spielfeld nimmt. „Ich glaube, er will täglich mit einer Mannschaft arbeiten. Aktuell zumindest noch.“
Eher anbieten würde sich laut Unsöld sein früherer Trainer Ralf Rangnick, den er aus gemeinsamen Tagen beim SSV Ulm 1846 kennt und der nach Auffassung des SCITrainers auch das notwendige Gespür für die Jugend mitbringen würde. Als Wunschvorstellung bezeichnet Unsöld aber, den derzeitigen Coach der deutschen U21 zu befördern. „Stefan Kuntz würde bei den Jungs gut ankommen. Den würde ich bis zur EM im kommenden Sommer nehmen.“Und danach? „Sollte Hansi Flick Nationaltrainer werden. Mit ihm als Chef könnte Kuntz auch als Co-Trainer gut zusammenarbeiten, denke ich.“
In anderen Sphären der Trainergilde bewegt sich unterdessen Simon Zeiser. Der Torwart des Bezirksligisten SC Bubesheim fordert in Sachen Nationalmannschaft: „Da gehört mal frischer Wind rein.“Am liebsten wäre ihm „vom Typ her einer wie Mario Basler“.
Ein solcher Trainer könnte auch die düstere Stimmung wieder aufhellen, ist Zeiser überzeugt. Ihm fehlen im gesamten Gefüge der DFB-Auswahl die Identifikationsfiguren. Deshalb, das gibt er gerne zu, habe er in der jüngeren Vergangenheit „auch ein bisschen die Lust verloren, die Nationalmannschaft anzuschauen.“Und Löw? „Ihm hatte man nach der WM in Russland die Chance gegeben, einen sauberen Abgang zu machen. Das wollte er halt nicht.“
Wobei der eigentliche Sündenfall seitens des Verbands womöglich schon vor das schmachvoll gescheiterte Unternehmen Titelverteidigung 2018 zu legen ist. „Ob es so clever war, Joachim Löw vor der WM in Russland einen Vertrag für weitere vier Jahre zu geben?“, fragt Walter Zachwey.
Ja, Löw sei über viele Jahre ein äußerst erfolgreicher Bundestrainer gewesen. „Aber Erfolge von früher sind Schnee von gestern“, bemüht Zachwey eine Floskel und bemerkt im gleichen Atemzug, dass sich Löw in der Analyse der inzwischen ebenfalls vielen schwachen Partien zunehmend „ein bisschen dünnhäutig“zeigt. „Dadurch hat er ein paar Baustellen selbst geschaffen“, argumentiert der Ellzeer Coach.
Doch was, wenn Löw nur ein kleiner Teil des Gesamtproblems ist? Immerhin sah die Nicht-Leistung der Profis im Spiel gegen Spanien ganz danach aus, als wäre das Nationaltrikot eine Lästigkeit, als wollten sie sich gar nicht wehren. Zachwey jedenfalls sieht das so. Er verknüpft die Trainerfrage auch mit der Sorge, dass momentan womöglich das spielende Personal für einen echten Umbruch fehlt. Aber vielleicht, so Zachwey zusammenfassend, „war es genau das Spiel zur richtigen Zeit, um gewisse Dinge zu erkennen und die Augen für Veränderungen zu öffnen“.