Regierung grillt die Fleischbranche
Nach Corona-Ausbrüchen in Schlachthöfen soll ein Gesetz für Ordnung sorgen. Für SPD-Chef Walter-Borjans ein Meilenstein, für die Linke voller Schlupflöcher. Das steht drin
Berlin Per Gesetz will die Bundesregierung die teils unhaltbaren Zustände in der Fleischindustrie beenden. Mehrere Corona-Massenausbrüche in Schlachthöfen, etwa beim Branchen-Riesen Tönnies in Nordrhein-Westfalen, hatten nur erneut ans Licht gebracht, was Branchenkenner und Politiker seit Jahrzehnten kritisieren: miserable Arbeitsund Wohnbedingungen von meist ausländischen Beschäftigten, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse in einem undurchsichtigen System von Subunternehmen und Leiharbeitsfirmen.
An effektiven Infektionsschutz, so zeigte sich bei mehreren Zwischenfällen mit teils hunderten von Ansteckungen, war im Arbeitsalltag in den Schlachthäusern ebenso wie in den überfüllten Gemeinschaftsunterkünften kaum zu denken. So entstand unter der Federführung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) das neue Arbeitsschutzkontrollgesetz, das Union und SPD am Mittwoch mit ihrer Mehrheit im Bundestag beschließen wollen. Zu Beginn des kommenden Jahres soll das Regelwerk in Kraft treten. Es sieht in seinem Kern die starke Beschränkung von Leiharbeit und Werkverträgen vor. Ein komplettes Verbot, wie zunächst geplant, kommt aber nicht. In der Diskussion um das Gesetz hatte die Fleischindustrie auf Ausnahmen gedrängt und bei der Union Unterstützung gefunden. So ist der Einsatz von Werkverträgen mit meist ausländischen Fremdfirmen laut dem Regierungsentwurf zwar ab Januar verboten, ausgenommen sind aber Betriebe mit bis zu 50 Mitarbeitern. Der Einsatz von Leiharbeit ist ebenfalls verboten, aber erst ab April und nur für Betriebe mit mehr als 50 Mitarbeitern.
In den kommenden drei Jahren gilt zudem eine weitere Ausnahmeregelung. Auf Grundlage eines Tarifvertrags ist es Betrieben weiter möglich, Leiharbeiter zur Bewältigung von Auftragsspitzen einzusetzen. In der Diskussion im Vorfeld war dies damit begründet worden, etwa zur Grillsaison die Wurstproduktion zu gewährleisten. Dies gilt nur bei der Weiterverarbeitung von Fleisch, nicht aber beim Schlachten und Zerlegen. Außerdem muss den Leiharbeitern der gleiche Lohn bezahlt werden wie den regulär Beschäftigten, die Höchstüberlassungsdauer beträgt vier Monate.
Das Gesetz sieht außerdem eine Ausweitung von Arbeitsschutzkontrollen und höhere Bußgelder bei Verstößen vor. Pflicht wird in der Fleischindustrie eine elektronische Arbeitszeiterfassung. Verbessert werden soll zudem die Unterbringung von Mitarbeitern in Gemeinschaftsunterkünften.
Für SPD-Chef Norbert WalterBorjans ist das Gesetz ein „Meilenstein“. Unserer Redaktion sagte er: „Wohlstand und Anstand dürfen kein Gegensatz sein. Das ist aber der Fall, wenn wir das Angebot an preisgünstigem Fleisch mit ausbeuterischer Leiharbeit und gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen sichern – noch dazu in Betrieben ohne Tarifbindung.“Er verteidigte die Ausnahmen bei Produktionsspitzen – diese seien nur begrenzt zulässig, „wenn das von den Tarifparteien gebilligt und die Arbeit tariftreu entlohnt“werde. Damit werde gleichzeitig sichergestellt, „dass nur tarifgebundene Unternehmen eng limitierte Ausnahmen in Anspruch nehmen dürfen“.
Kritik am Gesetzeswerk kommt von der Linkspartei im Bundestag, Fraktionsvize Susanne Ferschl sagte unserer Redaktion: „Leider hat die Fleischlobby über CDU und CSU zahlreiche Schlupflöcher durchsetzen können.“Sie befürchte etwa, dass die Ausnahmeregelung für Leiharbeit in Produktionsspitzen in der Praxis zu einer „sehr langen Grillsaison“führen werde. Über Arbeitszeitkonten hätte sich das Problem besser lösen lassen, so die Gewerkschafterin. Das Arbeitsschutzgesetz, so Ferschl, sei „unklar, kompliziert in der Umsetzung und deshalb schwer zu kontrollieren“.
Die Grünen sehen das Vorhaben mit gemischten Gefühlen. Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für Arbeitsmarktpolitik der Bundestagsfraktion, sagte unsere Redaktion: „Es ist gut, dass die Blockade der Union beendet ist.“Das Gesetz sei die „Antwort auf den Missbrauch von Werkverträgen im Kernbereich der Fleischindustrie, mit dem sich die großen Schlachthöfe schon viele Jahre aus der Verantwortung stehlen – beim Arbeitsschutz und auch beim Lohn.“Wichtig sei aber, „dass jetzt auch lückenlos kontrolliert wird, ob die Leute wirklich direkt angestellt sind, ob die Beschäftigten richtig entlohnt werden und natürlich, ob der Arbeitsschutz jetzt wirklich eingehalten wird“. Denn das Arbeitsschutzkontrollgesetz, so die Grünen-Politikerin, „darf auf keinen Fall ins Leere laufen“.
Eine generelle Verbesserung der Stellung von Leiharbeitern fordern die Betriebsseelsorger im Bistum Augsburg. Laut ihrem Leiter Georg Steinmetz sollte Leiharbeit pro Person höchstens sechs Monate möglich sein – als Brücke in den ersten Arbeitsmarkt.