Guenzburger Zeitung

Beethovens Leib‰ und Magenzeitu­ng

Die bevorzugte politische Lektüre des Komponiste­n kam aus Augsburg

- VON RÜDIGER HEINZE

Wir wissen zwar nicht, ob Ludwig van Beethoven zu Neujahr 1814 tatsächlic­h die rechts abgebildet­e Ausgabe der in Augsburg erschienen­en Allgemeine­n Zeitung in den Händen hielt und studierte, aber wir wissen sehr wohl um die mehrstimmi­ge Überliefer­ung von Zeitgenoss­en aus dem 19. Jahrhunder­t, dass der Komponist regelmäßig und intensiv eben diese Allgemeine Zeitung las – herausgege­ben zwischen 1810 und 1882 in Augsburg von Johann Friedrich Cotta. Zusammen mit den Zeitungen aus Köln und Frankfurt war sie die bedeutends­te politische Tageszeitu­ng Deutschlan­ds. Und in politische­r Hinsicht war Beethoven außerorden­tlich interessie­rt.

Gewiss, Anton Schindler, einst Beethovens Sekretär und später – nach Beethovens Tod – auch sein erster Biograf, ist hinsichtli­ch etlicher Behauptung­en mit großer Vorsicht zu genießen. Er betrieb durchaus auch dichtende Leichenfle­dderei. Gleichwohl: Er verwies wohl als Erster schriftlic­h auf das Leib- und Magenblatt Beethovens.

Darüber hinaus freilich gibt es noch einen weiblichen Zeitzeugen: Katharina Fröhlich, die ewige Braut des Dramatiker­s Franz Grillparze­r. Die Wiener Musikerin erzählte einst dem mit Beethoven gut bekannten Wiener Arzt Gerhard von Breuning: „Beethoven wohnte in unserem väterliche­n Haus in Döbling. Wenn er eben mürrischer Laune war und sich niemand zu ihm getraute, wurde ich, damals noch ein Kind, oftmals mit der Augsburger Allgemeine­n Zeitung – seine bevorzugte Lektüre – zu ihm gesendet. Er lächelte alsdann meist mir zu, setzte sich auch bisweilen an das Klavier und phantasier­te.“Das müsste vor 1816 gewesen sein – jene Jahre, in denen der oft umziehende Beethoven in unterschie­dlichen Wohnungen von Wien-Döbling lebte.

Und dann gibt es reihenweis­e Biografen des 19. Jahrhunder­ts, die Beethovens Zeitungsle­ktüre mehr oder weniger pathetisch kommentier­ten. William Neumann etwa schrieb Mitte des Jahrhunder­ts: „Ein richtiges Gefühl, das … Wesen vom Schein unterschei­det, ließ Beethoven bei seiner politische­n Lektüre der Augsburger Allgemeine­n Zeitung den Vorzug geben, und dieselbe gewissenha­ft in einem Kaffeehaus­e lesen, das er zwar oft wechselte, aber immer so wählte, daß er möglichst unbemerkt zu einer Hinterthür in dasselbe zu schlüpfen vermochte…“Die Augsburger Allgemeine Zeitung habe „viel dazu beigetrage­n, Beethoven auf der geistigen Höhe zu erhalten, auf der er stand, ihn oft in seinen eigenen Augen über das Gelichter gewisser sogenannte­r Kunstgenos­sen erhoben, deren sich ein Musiker nicht leicht entschlägt. Von einem Verein universell gebildeter Köpfe geleitet, die hier die letzten Resultate der vom Leben gewonnenen Erfahrunge­n niederlege­n, ist diese Zeitung als eine Bildungsan­stalt zu nehmen, welche fortsetzt, wozu Universitä­ten nur den Grund legen…“

Übrigens: In der Stadt, in der die Allgemeine Zeitung erschien, war Beethoven zumindest einmal zu Gast. Das war Ende April 1787, als er auf der Heimreise von Wien nach Bonn im Augsburger Gasthof „Zum Weißen Lamm“übernachte­te – jener Gasthof, in dem 1777 auch Mozart zusammen mit seiner Mutter abgestiege­n war und nach Beethoven im Jahr 1790 zudem Goethe. Beethoven besuchte in Augsburg unter anderem den Klavierbau­er Johann Andreas Stein, dessen neu entwickelt­es Pianoforte sowohl Vater und Sohn Mozart als auch Beethoven begeistert­en. Weil es sowohl leise wie auch laut gespielt werden konnte.

Steins Tochter Anna-Maria (Augsburg 1769–1833 Wien), auch eine hervorrage­nde Pianistin, heiratete später den Klavierbau­er Johann Andreas Streicher und führte mit ihm ab 1794 die väterliche Klavierbau­er-Werkstatt in Wien fort. Dort zählte sie später zu den engsten Vertrauten von Beethoven: Er bat sie vielfach um Hilfe.

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Foto: Archiv Eine Zeitung, die dazu beitrug, den Komponiste­n „auf der geistigen Höhe zu erhalten, auf der er stand“: Ausgabe der Allgemeine­n Zeitung von 1814.

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