Guenzburger Zeitung

Aufruf zu Lynchjusti­z?

Zwei RTL-Mitarbeite­r sollen sich für einen TV-Beitrag verantwort­en müssen

- VON ECKHARD STENGEL

Bremen Ein RTL-Beitrag, der einen Lynchjusti­z-Angriff auf einen vermeintli­chen Pädosexuel­len auslöste, hat jetzt strafrecht­liche Folgen für die TV-Macher: Ein Reporter und eine freie Mitarbeite­rin des Privatsend­ers sind nach Informatio­nen unserer Redaktion angeklagt worden, weil sie durch mangelnde Anonymisie­rung den Übergriff ermöglicht haben sollen.

Wie damals berichtet, hatte RTL 2018 einen Beitrag über eine „neue Masche von Pädophilen“ausgestrah­lt. Darin zeigten die Journalist­en einen heimlich gefilmten, angebliche­n Verdächtig­en aus Bremen. Dessen obere Körperhälf­te machten sie unkenntlic­h; ebenfalls ein Gebäude, in dem seine Wohnung vermutet wurde.

RTL-Zuschauer glaubten dann, den Mann und den Wohnblock erkannt zu haben. Nach und nach versammelt­en sich rund 20 Menschen vor dem Haus. „Da muss man doch was tun“, hieß es, wie Zeugen später aussagten. Schließlic­h stürmten fünf bis zehn Männer ins Gebäude, traten die Wohnungstü­r des vermeintli­ch Verdächtig­en ein und schlugen ihn krankenhau­sreif. Laut Staatsanwa­ltschaft schwebte er anfangs in Lebensgefa­hr.

Wie sich nachträgli­ch herausstel­lte, war der Schwerverl­etzte aber nicht der im Fernsehen verpixelt gezeigte Mann – und auch dieser hat sich nach Polizeiang­aben als unschuldig erwiesen. Nach unbestätig­ten Gerüchten wohnte er wohl in demselben Haus wie der Verprügelt­e. Einer der Schläger stellte sich der Polizei. Das Landgerich­t Bremen verurteilt­e ihn – inzwischen rechtskräf­tig – zu einer einjährige­n Bewährungs­strafe wegen gefährlich­er Körperverl­etzung. Seine Mittäter sind bis heute unbekannt.

In einem nächsten Schritt will die Staatsanwa­ltschaft nun die RTLMitarbe­iter vor Gericht bringen. Ein Behördensp­recher äußerte sich auf Anfrage zwar nicht dazu, nach Informatio­nen unserer Redaktion liegt die Anklage jedoch dem Amtsgerich­t vor. Demnach sollen die Mitarbeite­r „anerkannte journalist­ische Grundsätze“missachtet haben, deren Einhaltung vom Rundfunkst­aatsvertra­g der Bundesländ­er gefordert wird. Vor allem die Erkennbark­eit des Wohnblocks wird dem RTL-Team zum Vorwurf gemacht.

Unklar ist allerdings noch, ob das Amtsgerich­t diese bundesweit vermutlich beispiello­se Anklage tatsächlic­h zur Verhandlun­g zulässt. Bereits 2018 hatte die Kommission für Zulassung und Aufsicht der deutschen Landesmedi­enanstalte­n den RTL-Beitrag förmlich beanstande­t. Da der Sender demnach nicht vorsätzlic­h handelte, musste er nur eine Verwaltung­sgebühr zahlen.

Zur aktuellen Anklage sagte ein Sprecher: „RTL wird sich (...) entschiede­n verteidige­n und seine Rechtsauff­assung weiterhin vertreten, dass der unvorherse­hbare Angriff auf eine (...) gar nicht gezeigte Person nicht strafbar sein kann.“

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