Taxifahrer und Thomas Mann
Armin Mueller-Stahls Rollengestaltung war stets außergewöhnlich. Kein Wunder, dass dem Schauspieler eine Karriere an drei verschiedenen Orten gelang
Über welche von Armin Mueller-Stahls Filmrollen soll man schwärmen? Auf jeden Fall über die in Jim Jarmuschs Episodenfilm „Night on Earth“. MuellerStahl spielt hier einen Ostdeutschen, den es nach New York verschlagen hat und der nun in Brooklyn Taxi fährt. Wie er da ergeben stoisch mit dem Automatikgetriebe seines Wagens kämpft und mit hörbar deutschem Akzent immer wieder „Brookland“murmelt, wenn er kindlich staunend an den Wolkenkratzern hochblickt; wie er wie ein gerade gelandeter Außerirdischer seinen aufgekratzten Latino-Fahrgast mustert, mit diesen unschuldsblauen Augen und der zugleich mokant aufgeworfenen Lippe – das ist ein darstellerisches Kabinettstück, das diesem Schauspieler den Eintrag in die Liste der ewigen Filmszenen garantiert.
Dabei war der gebürtige Ostpreuße einst wegen „mangelnder Begabung“von der Schauspielschule geflogen. Trotzdem wurde er zu Beginn der 50er Jahre in Berlin fürs Theater entdeckt und war fortan 25 Jahre lang Ensemblemitglied der Berliner Volksbühne. Bald wurde auch das DDR-Kino auf ihn aufmerksam, und Mueller-Stahl war in Defa-Klassikern wie „Nackt unter Wölfen“(1963) zu sehen. Er war ein Star der DDR, mehrfach wurde er zum beliebtesten Schauspieler gewählt. Politisch zunächst auf Linie, änderte er diese Haltung jedoch. Wie für viele im Osten lebende Künstler kam auch für Mueller-Stahl 1976 der große Bruch, als er die Resolution gegen die Ausbürgerung
Wolf Biermanns unterschrieb. Der Schauspieler bekam keine Rollen mehr, 1980 ging er in den Westen. Dort verpflichteten ihn zunächst die Autorenfilmer, Fassbinder etwa für seine „Lola“. Ende der 80er Jahre gelang Mueller-Stahl der Sprung nach Hollywood, wo er von nun an in einer Reihe herausragender Nebenrollen brillierte. Zu Oscar-Ehren kam er zwar nie, doch brachte ihm seine Beteiligung an der Künstlerbiografie „Shine“eine Nominierung ein. In der USFilmmetropole legte er sich auch einen zweiten Wohnsitz zu, wozu nicht zuletzt den Ausschlag gegeben haben mag, dass er bei Einsicht seiner Stasi-Akte entdeckte, jahrelang von Freunden bespitzelt und verraten worden zu sein. Ein wenig Abstand zu Deutschland schien ihm da geboten.
Das hat ihn nicht daran gehindert, weiter Rollen in Deutschland anzunehmen. Die Mitwirkung an Heinrich Breloers Dokudrama „Die Manns“, die Anverwandlung der Intellektualität und Distanziertheit Thomas Manns wurden ihm zu einem Höhepunkt seiner Karriere. Länger nun schon hat er sich von der Schauspielerei verabschiedet. An künstlerischer Beschäftigung fehlt es ihm nicht, seit vielen Jahren malt er, auch Bücher hat er geschrieben. An diesem Donnerstag begeht Armin Mueller-Stahl, der seit bald einem halben Jahrhundert mit einer Ärztin verheiratet ist, seinen 90. Geburtstag. Gute Gelegenheit, sich diesen Ausnahmeschauspieler ins Heimkino zu holen.