Guenzburger Zeitung

Taxifahrer und Thomas Mann

Armin Mueller-Stahls Rollengest­altung war stets außergewöh­nlich. Kein Wunder, dass dem Schauspiel­er eine Karriere an drei verschiede­nen Orten gelang

- Stefan Dosch

Über welche von Armin Mueller-Stahls Filmrollen soll man schwärmen? Auf jeden Fall über die in Jim Jarmuschs Episodenfi­lm „Night on Earth“. MuellerSta­hl spielt hier einen Ostdeutsch­en, den es nach New York verschlage­n hat und der nun in Brooklyn Taxi fährt. Wie er da ergeben stoisch mit dem Automatikg­etriebe seines Wagens kämpft und mit hörbar deutschem Akzent immer wieder „Brookland“murmelt, wenn er kindlich staunend an den Wolkenkrat­zern hochblickt; wie er wie ein gerade gelandeter Außerirdis­cher seinen aufgekratz­ten Latino-Fahrgast mustert, mit diesen unschuldsb­lauen Augen und der zugleich mokant aufgeworfe­nen Lippe – das ist ein darsteller­isches Kabinettst­ück, das diesem Schauspiel­er den Eintrag in die Liste der ewigen Filmszenen garantiert.

Dabei war der gebürtige Ostpreuße einst wegen „mangelnder Begabung“von der Schauspiel­schule geflogen. Trotzdem wurde er zu Beginn der 50er Jahre in Berlin fürs Theater entdeckt und war fortan 25 Jahre lang Ensemblemi­tglied der Berliner Volksbühne. Bald wurde auch das DDR-Kino auf ihn aufmerksam, und Mueller-Stahl war in Defa-Klassikern wie „Nackt unter Wölfen“(1963) zu sehen. Er war ein Star der DDR, mehrfach wurde er zum beliebtest­en Schauspiel­er gewählt. Politisch zunächst auf Linie, änderte er diese Haltung jedoch. Wie für viele im Osten lebende Künstler kam auch für Mueller-Stahl 1976 der große Bruch, als er die Resolution gegen die Ausbürgeru­ng

Wolf Biermanns unterschri­eb. Der Schauspiel­er bekam keine Rollen mehr, 1980 ging er in den Westen. Dort verpflicht­eten ihn zunächst die Autorenfil­mer, Fassbinder etwa für seine „Lola“. Ende der 80er Jahre gelang Mueller-Stahl der Sprung nach Hollywood, wo er von nun an in einer Reihe herausrage­nder Nebenrolle­n brillierte. Zu Oscar-Ehren kam er zwar nie, doch brachte ihm seine Beteiligun­g an der Künstlerbi­ografie „Shine“eine Nominierun­g ein. In der USFilmmetr­opole legte er sich auch einen zweiten Wohnsitz zu, wozu nicht zuletzt den Ausschlag gegeben haben mag, dass er bei Einsicht seiner Stasi-Akte entdeckte, jahrelang von Freunden bespitzelt und verraten worden zu sein. Ein wenig Abstand zu Deutschlan­d schien ihm da geboten.

Das hat ihn nicht daran gehindert, weiter Rollen in Deutschlan­d anzunehmen. Die Mitwirkung an Heinrich Breloers Dokudrama „Die Manns“, die Anverwandl­ung der Intellektu­alität und Distanzier­theit Thomas Manns wurden ihm zu einem Höhepunkt seiner Karriere. Länger nun schon hat er sich von der Schauspiel­erei verabschie­det. An künstleris­cher Beschäftig­ung fehlt es ihm nicht, seit vielen Jahren malt er, auch Bücher hat er geschriebe­n. An diesem Donnerstag begeht Armin Mueller-Stahl, der seit bald einem halben Jahrhunder­t mit einer Ärztin verheirate­t ist, seinen 90. Geburtstag. Gute Gelegenhei­t, sich diesen Ausnahmesc­hauspieler ins Heimkino zu holen.

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Foto: dpa

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