Lange Haft für Helfer des Terrors
Urteile im Prozess um „Charlie Hebdo“
Paris „Ihre Entscheidung wird geprüft, abgewägt, unter die Lupe genommen werden und als Maßstab dienen“, hatte Staatsanwältin Julie Holveck den fünf Mitgliedern des Pariser Spezial-Schwurgerichts bei ihrem Schlussplädoyer noch für die heikle Aufgabe mitgegeben, die diese am Mittwoch zu erfüllen hatten: ein Urteil im Prozess um die Attentate auf das Satiremagazin Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt „Hyper Casher“im Januar 2015 zu fällen. Ein Urteil, das dem Leid der insgesamt 17 getöteten Opfer, Überlebenden und Hinterbliebenen gerecht werden sollte – und zugleich den 14 Angeklagten.
Abgesehen von den drei Abwesenden hatten alle vor Gericht ihre Ahnungslosigkeit beteuert. Ihre Anwälte warnten die Richter davor, „koste es, was es wolle“Schuldige zu finden, um die Abwesenheit der Haupttäter auszugleichen. Diese starben damals bei Schusswechseln mit der Polizei. Vorgeworfen wurde den Angeklagten, ihnen logistisch und mit der Lieferung von Waffen, Autos und Material geholfen zu haben. Staatsanwältin Holveck sagte, wichtig sei, „die Lebenden für Fehler zu bestrafen, die den Toten das Morden ermöglicht haben“.
In Abwesenheit angeklagt war unter anderem Hayat Boumeddiene, die Lebensgefährtin des Attentäters Amedy Coulibaly. Kurz vor den Taten nach Syrien war sie ausgereist, um sich dem selbst ernannten „Islamischen Staat“(IS) anzuschließen. Sie wird noch immer in der Region vermutet. Sie erhielt wegen der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung und der Finanzierung von Terrorismus eine 30-jährige Haftstrafe, ebenso wie der FrankoTürke Ali Riza Polat, für den die Staatsanwaltschaft eine lebenslängliche Haftstrafe gefordert hatte. Die übrigen Männer, die teils der Komplizenschaft bei terroristischen Attentaten schuldig gesprochen wurden, müssen zwischen vier und 20 Jahren hinter Gitter.
Zu Prozessbeginn im September hatte Charlie Hebdo erstmals seit mehr als fünf Jahren wieder eine Karikatur des Propheten Mohammed auf dem Titel veröffentlicht. Drei Wochen später verletzte ein Islamist mit einem Fleischerbeil zwei junge Leute schwer, die zufällig vor dem früheren Gebäude der Redaktion standen. Ihm war entgangen, dass diese längst umgezogen war. Wenig später enthauptete ein weiterer Attentäter den Geschichtslehrer Samuel Paty, der Mohammed-Karikaturen im Unterricht gezeigt hatte. Es folgte ein islamistischer Anschlag auf eine Kirche in Nizza mit drei Toten. Die neuerlichen Terrorverbrechen belasteten die Verhandlungen. Rund 150 Experten und Zeugen traten dabei auf, unter ihnen Hinterbliebene und Überlebende.
So berichtete die Karikaturistin Corinne Rey alias Coco, wie die Brüder Saïd und Chérif Kouachi sie mit Waffengewalt zwangen, ihnen Zugang zu den abgesicherten Redaktionsräumen zu verschaffen. „Ich war in diesem Moment bereit zu sterben“, sagte sie. Innerhalb von wenigen Minuten erschossen die Terroristen zwölf Menschen und verletzten vier schwer. Später bekannte sich die Terrororganisation Al-Kaida zu dem Anschlag, während sich der dritte Attentäter Coulibaly in einem vorab aufgezeichneten Bekennervideo auf den IS berief. An den beiden Folgetagen nach deren Anschlag erschoss er eine Polizistin in einem Pariser Vorort und tötete vier Menschen in dem Supermarkt. Die Witwe des ermordeten Philippe Braham, Valérie Braham, erzählte mit Bitterkeit, wie sie ihren Mann noch schimpfte, weil er Produkte auf der Einkaufsliste vergessen hatte. Er ging nochmals los – und kam nie zurück.