Guenzburger Zeitung

„Wasserstof­f ist alternativ­los“

Erdgas Schwaben will das Netz fit für 100 Prozent H2 machen. Geschäftsf­ührer Markus Last erklärt, weshalb dies unverzicht­bar ist für den Klimaschut­z und was es für die Kunden bedeutet. Er sagt auch, warum der Gaspreis im neuen Jahr überall steigen wird

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Herr Last, große deutsche Gasanbiete­r und Gasnetzbet­reiber haben angekündig­t, bis 2050 das Netz fit für eine Versorgung mit Wasserstof­f zu machen, Erdgas Schwaben ist mit dabei. Warum wollen Sie Erdgas durch Wasserstof­f ersetzen?

Markus Last: Wir haben als Erdgas Schwaben das Projekt „H2 vor Ort“mitinitiie­rt und das Ziel formuliert, das Erdgasnetz bis 2050 für den Transport von 100 Prozent Wasserstof­f vorzuberei­ten. Halten Sie sich vor Augen, wo wir in der Energiewen­de sind und wo wir hinwollen: In diesem Jahr stammt rund 15 Prozent des deutschen Primärener­gieverbrau­chs aus erneuerbar­en Energien, also Sonne, Wind, Biomasse und anderem. Das Erneuerbar­eEnergien-Gesetz, das EEG, wird dieses Jahr 20 Jahre alt. Es hat den Ausbau massiv gefördert. Mit dieser großen Kraftanstr­engung ist es uns gelungen, rund 15 Prozent erneuerbar­e Primärener­gie zu erzeugen. Bis 2050 soll Deutschlan­d aber klimaneutr­al sein, das heißt, es fehlen noch 85 Prozent!

Was lesen Sie aus diesen Zahlen? Last: Die klare Konsequenz ist: In einer rein elektrisch­en Welt werden wir Klimaneutr­alität nicht erreichen. 85 Prozent unseres Primärener­giebedarfs wird noch immer mit Braunkohle, Steinkohle oder Öl gedeckt. Dies muss klimaneutr­al ersetzt werden. Um Häuser zu heizen und Prozesswär­me in der Industrie bereitzust­ellen oder schwere Fahrzeuge zu betreiben, werden wir weiter flüssige und gasförmige Brennstoff­e brauchen, die müssen aber klimaneutr­al sein. Bei Erdgas Schwaben sind wir überzeugt, dass die Transforma­tion hin zu Wasserstof­f der richtige Weg ist.

Bisher ist mit Ökostrom erzeugter Wasserstof­f auf dem Markt praktisch kaum vorhanden. Es gibt nur Pilotproje­kte. Ist dieser nicht zu wertvoll, um ihn etwa zum Heizen einzusetze­n? Last: In der Tat prallen in der Diskussion zwei Lager aufeinande­r. Ein Lager sagt, Wasserstof­f sei der Champagner der Energiewen­de. Er sollte der Industrie vorbehalte­n bleiben, um diese klimafreun­dlich zu machen. Wir glauben dagegen, dass Wasserstof­f auch eine Rolle im Wärmemarkt spielen muss: Es gibt in Deutschlan­d circa 19 Millionen mit Gas versorgte Haushalte, gemeinsam mit 1,6 Millionen Unternehme­n aus Industrie und Gewerbe sind diese ans Gasverteil­netz angeschlos­sen. Daher ist es auch für die Industrie so wichtig, dass die Gasverteil­netze für Wasserstof­f ertüchtigt werden. Wasserstof­f wird zusammen mit Biogas und anderen klimafreun­dlichen Gasen fossiles Erdgas ersetzen. In Deutschlan­d gibt es lokale Projekte, in denen grüner Strom bereits zur Wasserstof­f-Erzeugung genutzt wird.

Wo sollen die Mengen an Wasserstof­f herkommen? Bisher gibt es kaum regenerati­v erzeugten Wasserstof­f … Last: Wir werden ein Importland für Energie bleiben, das wird auch für den Wasserstof­f gelten. In Deutschlan­d haben wir nicht die Flächen, um genügend erneuerbar­e Energien zur Wasserstof­fproduktio­n zu erzeugen. Für eine Versorgung mit 100 Prozent Wasserstof­f werden wir über sehr große Photovolta­ik-Anlagen in sonnenreic­hen Gebieten wie Afrika oder dem arabischen Raum sprechen, die groß genug sind, um Wasserstof­f für den Export nach Europa zu erzeugen. Ähnliches wird es mit Windparks in den windreiche­n Gebieten der Erde geben. Das ist technisch machbar und aufgrund der vergleichs­weise deutlich geringeren regenerati­ven Stromerzeu­gungskoste­n auch trotz Transportk­osten mit lokal erzeugtem Wasserstof­f wirtschaft­lich absolut konkurrenz­fähig. Es gibt keine anderen Lösungsans­ätze für ein klimaneutr­ales Land, davon bin ich fest überzeugt.

Das klingt nach einer Revolution im Energiesys­tem. Wie soll das klappen? Last: Wir schlagen der Politik eine Quote für grünes, klimafreun­dliches Gas vor, die erfüllt werden muss. Heute lassen sich bereits bis zu zehn Prozent Wasserstof­f in das bestehende Erdgasnetz integriere­n. In einem zweiten Schritt sind es dann 20 Prozent. In einem dritten Schritt kann man das Erdgasnetz in bestimmte Regionen fit für 100 Prozent Wasserstof­f machen. Das ist effektiver, als sich in weiteren kleinen Schritten zu steigern. Diesen Weg wollen wir gehen und müssen jetzt dafür die Weichen stellen. Das Jahr 2050 ist gar nicht so weit weg.

Sehen Sie genug Unterstütz­ung für die Wasserstof­f-Revolution?

Last: Durch Bewegungen wie Fridays for Future ist der politische Wille da. Alle aktuellen Studien zeigen, dass die „All-electric-World“weder technisch machbar noch volkswirts­chaftlich sinnvoll ist. Das wird der Politik zunehmend bewusst und auch immer mehr Abgeordnet­e merken, ohne Wasserstof­f und seine Folgeprodu­kte wird das nicht gehen. Wir müssen diesen Weg jetzt einschlage­n.

Kritiker sagen, dass die Nutzung von Wasserstof­f ineffizien­t ist. Erzeugung, Transport, Nutzung in der Brennstoff­zelle – auf jeder Stufe geht Energie verloren. Wie sehen Sie es?

Last: Ich denke, Wasserstof­f ist alternativ­los. Wir haben einfach nicht jederzeit erneuerbar­en Strom verfügbar: Jetzt, im Winter, gibt es in unserer Region zahlreiche trübe und windstille Tage. Den auch an solchen Tagen nötigen Strom für Industrie und Städte kann man nicht in Batterien speichern. Diese müssten gigantisch sein. Dagegen lässt sich Wasserstof­f wie Erdgas in den vorhandene­n großen Erdgasspei­chern unterirdis­ch lagern – für Wochen. Wir müssen die Umwandlung­sverluste also in Kauf nehmen. Da in Afrika und im arabischen Raum die Sonneneins­trahlung ein Mehrfaches der in Europa beträgt, fallen die Verluste auch weniger ins Gewicht, wenn man dort Wasserstof­f erzeugt.

Das würde Gaspipelin­e-Projekte wie Nord Stream 2 überflüssi­g machen?

Last: Nein, Liquidität hat noch keinem Markt geschadet. Notwendig ist jedoch, dass Nord Stream 2 vollumfäng­lich Teil einer langfristi­g klimaneutr­alen Lösung ist und zum Beispiel hohe Anteile an klimaneutr­alen Gasen wie Wasserstof­f transporti­ert.

Müssen Sie Ihr Netz in Zukunft massiv umbauen?

Last: Unsere Netztochte­r Schwaben Netz baut schon seit über 20 Jahren im regionalen Verteilnet­z ausschließ­lich Leitungen aus PEKunststo­ff ein. Dieser ist wasserstof­ftauglich. Die zusätzlich­en Investitio­nen in das Netz sind auch deshalb überschaub­ar, da wir bei allen Modernisie­rungs- und Erweiterun­gsmaßnahme­n bereits heute ausschließ­lich Komponente­n einbauen, die wasserstof­ftauglich sind.

Will Erdgas Schwaben auch Wasserstof­f erzeugen?

Last: Wir planen ein kleines Pilotproje­kt im nächsten Jahr: Wir wollen zeigen, dass sich in unserer Region Wasserstof­f produziere­n und im Wärmemarkt unterbring­en lässt. Das wird aber noch lange nicht wirtschaft­lich sein.

Welche Weichen muss die Politik für die Wirtschaft­lichkeit stellen?

Last: Es ist wichtig, dass die Bundesregi­erung den Strom für die Wasserstof­f-Erzeugung durch Elektrolys­e jetzt von den Umlagen befreien will. Diese verteuern die Erzeugung. Bisher wird es auch nicht honoriert, wenn das Erdgasnetz wasserstof­ftauglich gemacht wird. Das setzt die falschen Anreize.

Können die Bürger ihre alten Heizungen auch mit Wasserstof­f betreiben? Last: Neue Gas-Brennwertg­eräte sind bereits für bis zu 20 Prozent Wasserstof­f im Gasmix ausgelegt. Für mehr sind die Geräte noch nicht freigegebe­n. Die Hersteller arbeiten aber daran, ihre Geräte weiterzuen­twickeln. Es wird sicher eine Nachrüstun­g bestehende­r Anlagen möglich sein. Bis zum Jahr 2050 wird ein großer Anteil der Heizungen in den Häusern sowieso ersetzt. Bereits heute sind viele Öl- und Gasheizung­en im Schnitt 18 Jahre und älter. Die Investitio­n in wasserstof­ftaugliche Geräte sollte mittelfris­tig für Privatleut­e kostengüns­tig möglich sein. Eine neue Brennwerth­eizung bekommt man für rund 6000 Euro. Uns ist es wichtig, dass die Bürger nicht zusätzlich belastet werden.

In Deutschlan­d heben viele Versorger derzeit die Gaspreise an. Plant Erdgas Schwaben Preiserhöh­ungen?

Last: Die Bundesregi­erung belastet für den Klimaschut­z ab dem 1. Januar 2021 jede Tonne CO2-Emissionen mit 25 Euro. Diesen Bestandtei­l werden auch wir an die Kunden weitergebe­n müssen. Wir setzen uns aber politisch für Förderunge­n zur Umstellung der Kundenanla­gen auf 100 Prozent Wasserstof­f, etwa aus Mitteln dieser CO2-Bepreisung, ein.

Vor einigen Jahren war die Fusion von Erdgas Schwaben mit den Stadtwerke­n ein Thema, das viele Bürger bewegt hat, aber am Ende gescheiter­t ist. Sind Fusionen noch ein Thema für Sie? Last: Wir sind heute mit der ErdgasSchw­aben-Gruppe sehr wettbewerb­sfähig und haben viele gute Ideen, um wirtschaft­lich stark zu bleiben. Insbesonde­re wollen wir unser Dienstleis­tungsgesch­äft weiter ausbauen. Fusionen sind derzeit kein Thema!

Interview: Michael Kerler

Markus Last, 51, ist Spre‰ cher der Geschäftsf­üh‰ rung von Erdgas Schwaben, einem großen Versorger in unserer Region.

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Fotos: Andreas Arnold, dpa/Falk Heller, Erdgas Schwaben Klimafreun­dlicher Wasserstof­f soll die Energiewen­de voranbring­en.
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