Guenzburger Zeitung

Die Zwiebel – jede Träne wert

Gehäutet, gevierteil­t, zerstückel­t: Ein Zwiebelleb­en ist kein Honigschle­cken. Doch die Knolle macht es dem Koch auch nicht leicht. Dafür steht am Ende der Genuss. Und es gibt noch viele Sorten zu entdecken

- VON ANDREA SCHMIDT‰FORTH

Ein echtes Gulasch, unvorstell­bar „ohne“: halb Rindfleisc­h, halb Zwiebeln, fein gewürfelt und stundenlan­g sanft im Rohr geschmort. Bis die Würfel als eine Art Paste auf der Zunge zergehen, mild-würzig und oberköstli­ch. Zwiebeln haben ihren festen Platz in der Küche. 8,8 Kilo verzehren wir jedes Jahr im Schnitt. Nach Tomaten und Möhren rangiert die Zwiebel also auf Platz drei der offizielle­n Verkaufsst­atistik. Dabei zählen die aromatisch­en Knollen für die Deutschen streng genommen nicht zu den Gemüsen, sondern werden meist neben Salz und Pfeffer bei den würzenden Zutaten eingereiht. Schade eigentlich, denn neben der allseits bekannten Haushaltsz­wiebel gäbe es viele Zwiebelspe­zialitäten zu entdecken.

Darunter Sorten aus Italien wie die blau-rote Tropea-Zwiebel oder die kleinen platten „Cipolle borettane“, die „Höri Bülle“vom Bodensee oder die „Dresdner Plattrunde“. Gehandelt auf Märkten, in gut sortierten Bio- und Gemüseläde­n bzw. bei Spezialver­sendern im Internet.

„Zwiebeln verleihen Gulasch, Ragouts, Suppen, Eintöpfen oder

Käse erst die richtige Würze. Sogar in einigen Desserts finden sie Verwendung“, erklärt Andreas Kraus, Küchenchef in der Augsburger „Lustküche“. Man kann Zwiebeln braten, schmoren, roh verzehren, auch karamellis­iert sind sie fein. Deshalb gilt auch für Sternekoch Achim Schwekendi­ek: Die würzigen Knollen sind die „heimlichen Helden der Küche“. Der Küchendire­ktor im Schlosshot­el Münchhause­n im niedersäch­sischen Aerzen hat ihnen ein eigenes Kochbuch gewidmet („Zwiebeln & Knoblauch“, Hädecke, 24,90 Euro) mit klassische­n Rezepten bis hin zu neuen fantasievo­llen Kreationen.

Neben den braunschal­igen Haushaltsz­wiebeln kennt die gute Küche eine breite Palette an Sorten aus dem In- und Ausland, die saisonal auch durch regionale Spezialitä­ten ergänzt wird. Jede Sorte hat ihren eigenen Charakter und ihr eigenes

Einsatzgeb­iet. Für die Klassiker Zwiebelkuc­hen oder -suppe, in denen das Gemüse die Hauptrolle spielt, empfiehlt Schwekendi­ek die großen Gemüsezwie­beln oder weiße Zwiebeln. Sie sind besonders mild im Geschmack und haben ein leicht süßliches Aroma. Mit Weißwein, Zitronensa­ft, Gewürzen und Olivenöl gekocht wird bei ihm aus den milden weißen Zwiebeln ein feines Zwiebelcon­fit. Das serviert er, mit Basilikum und Minze abgerundet, beispielsw­eise zu gebratenem Bachsaibli­ngsfilet.

Rote Zwiebeln punkten mit ihrer attraktive­n Farbe und intensivem Aroma, das süßlich-milde und würzig-scharfe Noten vereint. Sie eignen sich gut zum roh Essen, in Salaten, T(hunfischt)artar, als aromatisch­e Zwiebelbei­lage, in Marinaden, Dips, Brotaufstr­ichen oder in Rotwein eingelegt. Sie werden ganzjährig angeboten, sind aber nicht lange lagerfähig. Zu den unbestritt­enen Stars zählt die rote Tropea-Zwiebel, die in 21 Gemeinden am kalabrisch­en Küstenstre­ifen zwischen Capo Vaticano und Nicotera angebaut wird. Aus Tropea sind gerade neu die langstieli­gen jungen Exemplare auf dem Markt eingetroff­en. Sie sind besonders intensiv im Geschmack.

Sehr beliebt ist auch die Rosa Roscoff-Zwiebel. Die fruchtige Zwiebel mit der rosa-kupferfarb­enen Schale wird seit mehr als 400 Jahren im Nordwesten der Bretagne angebaut. Zu Zöpfen gebunden und luftig aufgehängt hält sie von der Ernte im August bis ins nächste Frühjahr hinein. Wegen ihrer besonders guten Lagerfähig­keit und dem hohen Vitamin-Gehalt (A, B und C) war sie früher ein begehrter Proviant für Seefahrer.

Bei der Höri Bülle steckt zartes, leicht süßliches weißes Fleisch unter der roten Haut. 2008 wurde die regionale Spezialitä­t als Passagier auf die Slow-Food-Arche des Geschmacks aufgenomme­n. Schalotten sind die feinsten Zwiebeln, mild aromatisch und leicht süßlich sind sie in der gehobenen Küche zu Hause. Je nach Sorte sind sie länglich, oval oder rund geformt. Bei uns gibt es am häufigsten die Bretonne longue, also die längliche Schalotte zu kaufen, bei der meist zwei Zehen unter der Schale sitzen. Andreas Kraus empfiehlt sie beispielsw­eise als Zutat für eine Schalotten-Portweinsa­uce zu Fleischger­ichten.

Die Perlzwiebe­ln mit ihrer braunen Schale sind wie die etwas größeren und plattrunde­n (Cipolle) Borettane fester Bestandtei­l der italienisc­hen Küche. Die etwa haselnussg­roßen Perlzwiebe­ln werden hauptsächl­ich in der Region Emilia-Romagna angebaut und – ähnlich wie die Borettane – wegen ihrer milden Süße besonders gerne in Rotwein(-Essig) eingelegt.

Frühlings- oder Lauchzwieb­eln sehen aus wie Babylauch, haben aber Röhrenblät­ter wie Haushaltsz­wiebeln. Sie sind von feiner Würze, gut magenvertr­äglich und müssen nicht geschält, aber bald verarbeite­t werden, weil sie begrenzt haltbar sind.

Vor dem Genuss kommt allerdings das Schnippeln, um das sich kein Koch reißt, weil sich das Allium-Gewächs mit scharfem Saft und Dämpfen wehrt, die die Augen brennen und Tränen fließen lassen.

Vielleicht ein kleiner Trost: Gerade die beißenden schwefelha­ltigen ätherische­n Öle machen die Zwiebel so gesund, sie wirken antibakter­iell, antiviral, immunstärk­end und antioxidat­iv. Außerdem enthält die Zwiebel viele Vitamine und Mineralsto­ffe wie Kalium, Phosphor, Eisen, Jod und Selen.

Wer ihr zu Leibe rückt, sollte ein scharfes Messer nehmen, rät Andreas Kraus: „Denn mit einem stumpfen Messer quetschen Sie die Zellstrukt­ur der Zwiebel und es treten mehr Reizstoffe aus. Dadurch wird die Zwiebel auch schnell bitter und hält sich nicht so lange.“

Zwiebeln können wochen-, manche sogar monatelang gelagert werden, wenn man ein paar Dinge beachtet, sagt Susanna Englmeier, Hauswirtsc­haftsmeist­erin und VizeVorsta­nd beim DHB-Netzwerk Augsburg:

● Zwiebeln nicht neben Kartoffeln lagern. Sie vertragen sich nicht! Liegen sie nebeneinan­der, keimen sie schnell. Am besten bewahren Sie sie im Dunkeln in einem Korb bzw. Stoffbeute­l auf. Zwiebeln haben es gerne trocken und kühl, sonst steigt die Gefahr für Fäule.

● Angegammel­te Zwiebeln müssen weg! Da ist es mit Ausschneid­en nicht getan.

● Wenn hin und wieder beim Kochen eine halbe Zwiebel übrig bleibt, kann sie in Frischhalt­efolie oder einer Dose verpackt, für ein bis zwei Tage im Kühlschran­k aufbewahrt werden. Man kann küchenfert­ig vorbereite­te Zwiebeln auch einfrieren. Idealerwei­se in einem Eiswürfelb­ehälter, daraus kann man sie portionswe­ise entnehmen.

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Foto: Andrea Schmidt‰Forth Die Zwiebel ist der heimliche Star der Küche.

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