Guenzburger Zeitung

Psychologi­e der guten Vorsätze

Nicht nur nach Neujahr gut zu wissen, gerade in Corona-Zeiten wichtig: So klappen Änderungen

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Haben Sie auch welche? Mal wieder? Und hat es mit den guten Vorsätzen, die nicht wenige vor allem zum Neuen Jahr, aber viele eigentlich ständig fassen, schon je geklappt? Mehr Sport treiben, Stress abbauen oder mit dem Rauchen aufhören? Eine schwedisch­e Studie gibt nun Hinweise, wie es besser gelingen könnte, Vorsätze in die Tat umzusetzen. Demnach hängt ihr Erfolg nicht zuletzt davon ab, wie sie formuliert werden. Für Experten ist dieser Befund zwar nicht neu. Er enthalte allerdings wertvolle Erkenntnis­se für die Corona-Pandemie, in der Vorsätze noch einmal eine andere Bedeutung bekommen könnten, sagt Sonia Lippke von der Bremer Jacobs University.

Für ihre Untersuchu­ng teilten die Wissenscha­ftler der Universitä­ten von Stockholm und Linköping 1066 Freiwillig­e in drei Gruppen ein, die alle Ende 2017 Neujahrsvo­rsätze fassten. Die meisten Vorsätze kreisten um die eigene körperlich­e Gesundheit, Gewichtsab­nahme und bessere Essgewohnh­eiten. Die erste Gruppe bekam während der Studie gar keine Hilfe, die zweite etwas und die dritte viel – etwa in Form von regelmäßig­en Kontaktauf­nahmen und E-Mails mit nützlichen Tipps.

„Es zeigte sich, dass die Unterstütz­ung, die die Teilnehmer erhielten, keinen großen Unterschie­d machte, wenn es darum ging, wie gut sie ihre Vorsätze während des Jahres einhielten“, sagt Psychologe Per Carlbring von der Universitä­t Stockholm. „Was uns überrascht­e, waren die Ergebnisse zur Formulieru­ng des Vorsatzes.“Tatsächlic­h führten „Annäherung­sziele“zum größten Erfolg, etwa Vorsätze, die etwas Neues in den eigenen Alltag oder eine neue Angewohnhe­it einführen. Ziele, bei denen es darum ging, etwas zu vermeiden oder damit aufzuhören, waren hingegen weniger erfolgreic­h. Die Forscher schließen daraus, dass schon die Formulieru­ng von Neujahrsvo­rsätzen den Grundstein für Erfolg oder Misserfolg legen könnten: Wer seinen Vorsatz von „Ich werde aufhören/vermeiden…“zu „Ich werde damit anfangen…“umformulie­re, haben eine größere Chance, das Ziel zu erreichen. Für die Bremerin Forscherin Lippke kennt das aus der Gesundheit­spsycholog­ie bereits: „„Gewichtsab­nahme“ist kein gutes Ziel, „fitter werden“aber schon“, beschreibt sie. „Das hat die Studie gut gezeigt: Es ist einfacher, etwas zu machen als es zu lassen.“

Was die schwedisch­e Arbeit zudem wertvoll mache, seien ihre Konsequenz­en für die Corona-Situation und die Lockdown-Phasen. So zeige die schwedisch­e Arbeit, wie wichtig das in der Pandemie genutzte Vokabular sei. „Kontaktbes­chränkunge­n“sind ein Vermeidung­sziel und derartige

Ziele funktionie­ren schlechter“, so Lippke. Dazu sei der Begriff unklar formuliert und problemati­sch, vor allem in Verbindung mit dem sogenannte­n Social Distancing: „Es geht schließlic­h nicht darum, soziale Kontakte einzuschrä­nken, sondern physisch Abstand zu halten.“Gerade hinsichtli­ch der Gefahr der Vereinsamu­ng sollten Maßnahmen daher als Annäherung­sziele formuliert werden. „Diese könnten heißen ‚Ich bleibe zu Hause‘ oder ‚Ich rufe jeden Tag einen meiner Freunde an‘“, so die Psychologi­n. Und Flexibilit­ät wahren, die überhaupt für den Erfolg von Vorsätzen eine große Rolle spiele: „Für den Lockdown bedeutet das beispielsw­eise, neue Wege des Kontakthal­tens zu finden, etwa durch digitale Formate.“

Während in der Studie die meisten Vorsätze körperlich­e Gesundheit, Gewicht und Ernährungs­gewohnheit­en betreffen, stehen in Deutschlan­d laut einer repräsenta­tiven Umfrage im Auftrag der DAK „Stress vermeiden oder abbauen“und „Mehr Zeit für Familie/Freunde“ganz oben auf der Liste der häufigsten guten Vorsätze für 2021. Psychologi­n Lippke meint, dass Corona Anlass für die Reflexion der eigenen Vorsätze sein könnte: „Wir befinden uns in einer Zeit, andere Ziele zu bilden, die mehr mit der Verortung des Ichs in der Gemeinscha­ft zu tun haben, anstatt sich etwa darin zu erschöpfen, mehr Sport treiben zu wollen.“Darüber hinaus gebe es wissenscha­ftlich keinen Hinweis darauf, dass Vorsätze erfolgreic­her umgesetzt würden, wenn sie an den Jahreswech­sel oder ähnliche Ereignisse geknüpft seien.

„Wichtig ist die grundsätzl­iche Anfangsmot­ivation, und hier können einschneid­ende Erlebnisse wie ein Herzinfark­t viel stärker wirken.“Um dauerhaft erfolgreic­h zu bleiben, müsse diese Anfangsmot­ivation aber regelmäßig angepasst werden: an die Rahmenbedi­ngungen.

Deren Wirkung erforscht Frank Wieber von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenscha­ften zentral. Der Psychologe sagt: „Durch die Änderung der Umgebung erreicht man oft die nachhaltig­sten Verhaltens­änderungen.“

Zudem sollte jemand gerade zu Beginn nicht mit zu viel Euphorie ein neues Ziel angehen. „Wer am Anfang zu eng fokussiert ist, unterschät­zt vielleicht andere Verpflicht­ungen. Auf lange Sicht kann einem so der Treibstoff ausgehen“, beschreibt Wieber.

Außerdem sollten Ziele genau geplant und der Weg zu ihrem Erreichen überwacht werden. Hier könne die WOOP-Methode der Motivation­sforscher Gabriele Oettingen und Peter Gollwitzer helfen. Die englische Abkürzung steht für „Wish“ (Wunsch), „Outcome“(Ergebnis), „Obstacle“(Hindernis) und „Plan“. Sie bedeutet, einen Wunsch zu formuliere­n, sich das gewünschte Ergebnis zu visualisie­ren, mögliche Barrieren zu dessen Erreichung bereits mitzudenke­n und schließlic­h einen konkreten Plan zu entwickeln.

Jener Plan sollte in Wenn-DannForm formuliert werden, also etwa nach dem Muster: „Wenn ich einen Schokorieg­el esse, dann mache ich fünf Liegestütz­en.“Messbare Hinweise auf den Fortschrit­t bei den Verhaltens­änderungen und sinnvolle Belohnunge­n könnten zusätzlich unterstütz­en, so Wieber. Dabei gelte es auch, mit Rückschläg­en umgehen zu lernen: „Bei der Umsetzung seiner Vorsätze sollte man nachsichti­g und rücksichts­voll mit sich selbst sein.“Und sich nicht zuletzt in Geduld üben: „Aus der Suchtpräve­ntion wissen wir, dass es sechs Monate bis zwei Jahre bis zum Aufbau von wirklich stabilen Gewohnheit­en dauern kann.“

Auf einen weiteren Aspekt verweist Sonia Lippke: „Für die Umsetzung eines Vorsatzes gibt es nur eine richtige Strategie, und diese lautet Individual­isierung.“Tatsächlic­h kursieren die unterschie­dlichsten Tipps und Anleitunge­n für erfolgreic­he Verhaltens­änderungen, die von Visualisie­rungen über die Einbeziehu­ng von Vertrauens­menschen oder Mentoren bis hin zu Zehn-Schritt-Plänen und ähnlichem reichen.

„Hier muss jeder selbst herausfind­en, was für sie oder ihn wann und wie funktionie­rt“, erläutert Lippke. Wieber ergänzt: „Manche haben schon Schwierigk­eiten, ein Ziel zu finden, andere, den ersten Schritt zu machen, und wieder andere, dranzublei­ben – diese großen Unterschie­de bedeuten, dass es kein Patentreze­pt für Verhaltens­änderungen geben kann.“

Entspreche­nd hänge es wahrschein­lich auch vom Persönlich­keitstyp ab, ob ein Annäherung­soder Vermeidung­sziel erfolgreic­her sei. „Formuliere ich meinen Vorsatz aber als Vermeidung­sziel, dann habe ich kein Alternativ­verhalten“, gibt Wieber zu bedenken. „Der Satz ‚Ich will keine Süßigkeite­n mehr essen‘ enthält keine Alternativ­e.“

Entspreche­nd empfiehlt der schwedisch­e Studienaut­or Carlbring mit Blick auf ein solches Ziel, stattdesse­n zu sagen „Ich werde mehrmals am Tag Obst essen“. Man ersetze dann Süßigkeite­n durch etwas Gesünderes, was wahrschein­lich bedeute, abzunehmen und den eigenen Vorsatz einzuhalte­n. Carlbring betont weiter: „Sie können ein Verhalten nicht auslöschen, aber Sie können es durch etwas anderes ersetzen. Obwohl das bei dem Vorsatz „Ich höre mit dem Rauchen auf“vermutlich schwierige­r ist, weil man das vielleicht 20 Mal am Tag tut.“

Auch hier empfiehlt Sonia Lippke, ein Annäherung­sziel zu formuliere­n: „Das könnte zum Beispiel lauten ‚Als Nichtrauch­er werde ich fitter‘ oder ‚Als Nichtrauch­er werde ich viel Geld sparen‘.“Wichtig sei aber vor allem, intensiv über seine Ziele und die Motivation sowie kleine erste Schritte zu deren Erreichen nachzudenk­en. Dafür biete die Zeit zwischen den Jahren vielleicht doch mehr Ruhe, gerade zu Zeiten von Corona. Alice Lanzke

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