Guenzburger Zeitung

Fernsehen als Schlafmitt­el

- VON ERICH PAWLU redaktion@guenzburge­r‰zeitung.de

Wer an der Jahreswend­e die vielen Feiertage heil überstande­n hat, wird dem deutschen Fernsehen besonders dankbar sein. Mit einschläfe­rnden Programmen haben ARD- und Privatsend­er so manchen Familienzw­ist verhindert und gefährlich­e Wutbürger lahmgelegt.

In vielen Haushalten übernimmt das TV-Programm bei Feiertagsk­risen die Aufgaben des Psychologe­n. Aggressiv gestimmte Familienmi­tglieder werden mit langweilig­en Dokumentat­ionen in schnarchen­de Harmlosigk­eit versetzt, zur Randale bereite Ehemänner verwandeln sich in sanfte Weihnachts­oder Neujahrslä­mmer, wenn sie vor dem Bildschirm zwei Stunden lang mit einem uralten Hollywood-Film bestrahlt worden sind.

Glänzend erfüllten Ende 2020 auch neuere TV-Produktion­en ihre friedensti­ftende Mission. Wer sich vom „Louis van Beethoven“-Wirrwarr behandeln ließ oder seine Seele der „Fack ju Göhte 3“-Version aussetzte, war nicht mehr fähig, die Feiertagsk­rach-Statistik in die Höhe zu treiben.

Endlich haben wir die Chance, die US-Amerikaner auch auf diesem Gebiet zu überholen: Laut einer Umfrage der US-Sleep-Foundation schauen 60 Prozent der Amerikaner fern, wenn sie einschlafe­n wollen. Das ist viel bequemer, als das veraltete Schlafmitt­el anzuwenden, das die Schriftste­llerin Marie von EbnerEsche­nbach 1894 in ihrer Erzählung „Das Schädliche“empfahl: „Lies nur, lies alles, es wird dir als Schlafmitt­el dienen.“

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