Guenzburger Zeitung

Sie ist die älteste Waldheimer­in

Eveline Jonscher feierte ihren 90. Geburtstag. Wie sie die Gründung des Ortes erlebt hat und wie sie beim Bergen von Betonübung­sbomben mithalf

- VON HANS BOSCH

Waldheim/Behlingen Sie hat jetzt ihren 90. Geburtstag gefeiert: Eveline Jonscher. Sie ist die Älteste und damit noch eine der wenigen, die hautnah miterlebte­n, wie der damalige Bombenabwu­rfplatz zum Weiler Waldheim und damit zum jüngsten Dorf im damaligen Landkreis Krumbach wurde. Ihre Eltern, Friedrich und Marie Hulwa, gehörten nach der Vertreibun­g aus dem Sudetenlan­d zu den ersten Siedlern, die sich dort kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs eine neue Heimat aufbauten. Noch gut erinnert sie sich bei bester Gesundheit an die damals schwere Zeit und bringt diese auf einen Nenner: „Nichts hama kabbt und doch alles.“

Als 15-Jährige musste sie 1946 zusammen mit den Eltern und ihren jüngeren Geschwiste­rn Fritz und Renate ihren Heimatort Lobenstein im Kreis Jägerndorf verlassen und kam im Verlauf der Vertreibun­g nach Ried, dem Ortsteil der heutigen Großgemein­de Kammeltal. Sofort begann ihr Vater als Maurer, sich in den Überresten des Bombenabwu­rfplatzes eine neue Heimat aufzubauen. Am Beginn standen zuerst einmal Rodungsarb­eiten, das Sprengen von Wurzelstöc­ken und die Beseitigun­g der Beton-Übungsbomb­en. Weiter ging es mit dem Planieren und Rechen kleinster Grundstück­e, auf denen Gemüse und Kartoffel für die Eigenverso­rgung angebaut wurden. Weitere sieben Familien waren dabei, wie die Hulwas begannen, hinter Bretterver­schlägen einige Hühner, Hasen und wenig später Schweine und Rinder zu halten.

Die folgenden Jahre waren für die Jubilarin hart, denn „für Flüchtling­skinder gab es damals kaum eine Lehrstelle“. Ihren ersten kleinen Lohn verdiente sie in einer Ichenhause­r Schneidere­i und ab 1951 in der dortigen Handschuhf­abrik. Zusätzlich verdingte sie sich als Bedienung bei Volksfeste­n, Dorfverans­taltungen, Faschingsb­ällen und Hochzeiten, wobei ihr die noch heute vorhandene „leutselige und quirlige Art“eine wertvolle Stütze war. 1952 heiratete sie den gleichfall­s vertrieben­en und in Ried „gelandeten“Schneider Josef Jonscher. Das junge Ehepaar zog zu den Eltern nach Waldheim und richtete sich dort im Obergescho­ß eine kleine Wohnung ein.

Fünf Jahre später erfüllten sich die beiden den Traum vom eigenen Haus in Behlingen, wo die Familie mit den inzwischen fünf Kindern ein neues Zuhause fand.

Es ist noch heute immer wieder Treffpunkt für den gesamten

„Clan“einschließ­lich zwölf Enkel und elf Urenkeln. Die Jubilarin selbst ist es, die sich am meisten über solche Familienfe­ste freut, die an ihrem Jubiläumsg­eburtstag wegen Corona leider ausfallen.

Ihren Frohsinn und die Gastfreund­schaft erfreut seit Jahrzehnte­n nicht nur die Verwandtsc­haft. Zugutekomm­en diese positiven Eigenschaf­ten besonders den Senioren aus Behlingen und Ried. Vor 27 Jahren gründete sie zusammen mit ihrer Freundin und Nachbarin Hertie Batke den Seniorenkl­ub, zuvor war sie schon viele Jahre Vorturneri­n beim Behlinger Turntreff und im Kirchencho­r eine wertvolle Stütze.

Damit nicht genug: 20 Jahre war sie einmal wöchentlic­h ehrenamtli­che Helferin und Betreuerin in der Reha-Klinik Ichenhause­n und versorgte dabei Patienten mit Kaffee und Kuchen, heiterte sie mit Spielen und Gedichten auf und lenkte die Kranken zumindest für zwei Stunden in der Woche von ihren Sorgen ab.

Coronabedi­ngt musste sie diese beliebte und dankbar angenommen­e Tätigkeit vor zehn Monaten einstellen. Stolz ist sie auf eine Ehrenurkun­de, die sie bereits 2009 vom damaligen bayerische­n Ministerpr­äsidenten Horst Seehofer für dieses „soziale ehrenamtli­che Engagement“erhielt.

Was ihre Kinder besonders freut: „Mit ihren 90 Jahren ist sie noch immer eine tatkräftig­e Frau, die das Leben mit Humor und Freude bewältigt, mit Zuversicht die Alltagssor­gen in Angriff nimmt und für jeden ein offenes Ohr hat.“

 ?? Foto: Karin Süß ?? Sind seit Jahren Freundinne­n und Nachbarn: Eveline Jonscher (links) und Hertie Bat‰ ke.
Foto: Karin Süß Sind seit Jahren Freundinne­n und Nachbarn: Eveline Jonscher (links) und Hertie Bat‰ ke.
 ?? Foto: Sammlung Jonscher ?? Eveline Jonscher mit ihrer ersten Tochter Christine.
Foto: Sammlung Jonscher Eveline Jonscher mit ihrer ersten Tochter Christine.
 ?? Foto: Sammlung Jonscher ?? Ein weiteres Foto von Eveline und Josef Jonscher.
Foto: Sammlung Jonscher Ein weiteres Foto von Eveline und Josef Jonscher.
 ?? Foto: Sammlung Hanika ?? Eveline Hulwa und Josef Jonscher (aus Eckersdorf/Sudetenlan­d) heirateten am 25. Oktober 1952 in Ried.
Foto: Sammlung Hanika Eveline Hulwa und Josef Jonscher (aus Eckersdorf/Sudetenlan­d) heirateten am 25. Oktober 1952 in Ried.

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