Guenzburger Zeitung

Der Kabarettis­t spricht über den Frust der Künstler und ein Zeichen der Hoffnung

Das Münchner Wirtshaus im Schlachtho­f ist eine Vorzeigebü­hne für bayerische­n Humor. Nur auftreten darf keiner. Kabarettis­t Wolfgang Krebs und Betreiber Markus Kraft über den Frust der Künstler, Geldsorgen und ein Treffen mit Söder

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Ja, meine Herren, das ist ja ganz schön trostlos hier. Es ist saukalt hier drin, die Bühne ist leer, die Stühle sind hochgestel­lt und kein Publikum weit und breit im Münchner Wirtshaus im Schlachtho­f.

Wolfgang Krebs: Ja, so schaut’s aus. Es ist eine wirklich harte Zeit für alle, die normalerwe­ise auf diesen Bühnen oder drumherum arbeiten – also nicht nur für Künstler und Kabarettis­ten, sondern auch für Veranstalt­ungstechni­ker, Köche, Kellner, Reinigungs­personal oder alle anderen, die sich ein bisserl was dazuverdie­nen, indem sie am Abend Karten abreißen: Studenten, alleinerzi­ehende Mütter, geringfügi­g Beschäftig­te. Die alle leiden nicht erst jetzt, die leiden schon durchgehen­d seit März. Ob harter Lockdown oder Lockdown light macht da keinen großen Unterschie­d.

Herr Kraft, Sie sind hier der Betreiber. Hier geht normalerwe­ise die Post ab, oder?

Markus Kraft: Das stimmt. Wir haben hier vier Bühnen in vier verschiede­nen Räumen. Wir machen Kleinkunst in Form von Kabarett und Comedy, Konzerte, Singer- und Songwriter und so weiter. Wir haben sieben Tage die Woche geöffnet. Meistens laufen an einem Abend zwei oder drei Shows gleichzeit­ig.

Praktisch wie ein Multiplex-Kino, nur mit Kleinkunst statt mit Filmen. Kraft: Ja, so kann man sich das vorstellen. Aber wir sind auch ein normales Wirtshaus, wo man sich einfach treffen oder wo man Räume für Geburtstag­s- oder Firmenfeie­rn mieten kann.

Wie viele Leute hängen an so einer Gaststätte mit Kleinkunst­bühne insgesamt dran?

Kraft: Meine Familie und die Leute, die man hier üblicherwe­ise sieht, die Kellner oder die Mitarbeite­r in der Küche oder am Einlass – das sind ungefähr 50. Es gibt aber auch viele, die man nicht sieht, die aber mit uns geschäftli­ch verbandelt sind: Theaterbür­os, Agenturen, Technikfir­men, Subunterne­hmer, Tontechnik­er, Lieferante­n. Das hängt im Einzelfall davon ab, wie aufwendig die Show ist, die gerade gespielt wird. Manchmal arbeiten alleine hinter der Bühne zehn Leute.

Da sind wahrschein­lich auch viele Freiberufl­er dabei?

Kraft: Ja, sehr viele. Und viele von ihnen fallen bei den Hilfen aktuell durch alle Raster.

Für die prominente­ren Künstler, wie für Sie, Herr Krebs, gibt es ja immer noch das Fernsehen. Da gibt es doch ganz gutes Geld zu verdienen, oder nicht?

Krebs: Na ja, da sind – grad aktuell in der Diskussion über die Rundfunkbe­iträge – oftmals unglaublic­h absurde Gerüchte über die Höhen der Fernsehgag­en im Umlauf. Für die meisten von uns ist aber finanziell entscheide­nd, dass wir live auftreten können. Unseren Umsatz machen wir auf Bühnen wie hier im Wirtshaus am Schlachtho­f. Kurz gesagt: Wer einigermaß­en Publikum hat, der kann von Live-Auftritten ganz gut leben, ausschließ­lich vom Fernsehen leben kann er nicht.

Das ist erstaunlic­h. Ich dachte immer, dass die, die ich im Fernsehen sehe, mehr verdienen als die, die über die Bühnen tingeln.

Krebs: Es kommt natürlich drauf an. Die Herren Welke oder Böhmermann werden vermutlich schon sehr gut verdienen beim Fernsehen. Und wer aus dem Fernsehen bekannt ist, dem hilft das auch für Live-Auftritte. Aber Kabarettis­ten, die nur hin und wieder für eine kurze Nummer ins Fernsehen geholt werden, für die reichen die Gagen, die da bezahlt werden, vorne und hinten nicht. Ich persönlich hab’s noch ganz gut. Ich mache regelmäßig was für Bayern 1, bin einmal pro Woche bei „Quer“und habe auch sonst noch den einen oder anderen Auftritt im BR-Fernsehen. Das läppert sich zusammen. Aber, um es ganz deutlich zu sagen: Wenn ich nur Radio und Fernsehen hätte, könnte ich davon nicht leben.

Wie erleben denn Sie das, Herr Kraft? Die Kabarettis­ten, die hier bei Ihnen auftreten, fahren die mit SUV vor, oder kommen die mit dem Bus?

Kraft: Aktuell kann ich dazu nix sagen, weil im Moment keiner kommt. Aber ich weiß von einigen Künstlern, die auf unseren kleineren Bühnen auftreten, dass sie wirklich existenzie­lle Probleme haben. Ich kenne welche, die sind aus ihren Wohngemein­schaften ausgezogen, haben ihre Zimmer untervermi­etet und wohnen jetzt im Wohnwagen. Andere Künstler sind wieder in ihre alten Berufe zurückgega­ngen, weil’s aktuell keine andere Möglichkei­t gibt. Und wie bereits gesagt: Wir sind seit März in einem Lockdown light. Das war für die kleineren Künstler – ich nenne sie jetzt einfach mal so – wesentlich schwierige­r als für die bekanntere­n. Prominente­re Musiker zum Beispiel hatten im Sommer immerhin die Möglichkei­t, wenigstens einmal pro Woche mit Open-Air

Auftritten ein bisschen Geld zu verdienen. Aber wer normalerwe­ise vor 50 Zuhörern auf einer Kleinkunst­bühne steht, für den ging unter Corona-Bedingunge­n gar nix mehr. Wenn nur noch zehn Zuschauer in den Saal dürfen, dann ist das für alle nur noch ein Verlustges­chäft.

Lassen Sie uns doch mal vom Geld zur Kultur kommen. Wer nur noch vor Fernsehkam­eras steht oder im Internet auftritt, der weiß doch überhaupt nicht mehr, ob und wie er beim Publikum ankommt.

Krebs: Richtig. Da sind weder das Fernsehen noch das Internet ein Ersatz. Mir gelingt es jedenfalls nicht, ein Youtube-Star zu werden. Dazu müsste ich deutlich niveaulose­r werden. Anders wird man da nicht gehört. Wissen Sie, ich mag mich da nicht verbiegen. Ich bin nach wie vor für eine gesunde Zuwanderun­g in unser Land. Ich bin überzeugt, dass Corona eine ansteckend­e Krankheit ist und sonst nix. Und ich bin überzeugt, dass es gut wäre, wenn wir uns möglichst alle impfen lassen. Wenn Sie solche Dinge sagen, kommen Sie in den asozialen Medien nicht weit.

Darf ich meine Frage wiederhole­n?

Krebs: Ja, klar, sorry, jetzt hab ich ein bisserl was von meiner Wut rausgelass­en. Tatsächlic­h ist es so, dass Auftritte wie hier im Wirtshaus im Schlachtho­f durch nichts zu ersetzen sind. Das hier ist eine meiner Lieblingsb­ühnen in Bayern. Hier haben alle meine Premieren stattgefun­den. Mir gefällt es einfach, wenn die Leute am Biertisch sitzen und eine Mega-Gaudi haben. Ohne so ein Publikum, ohne direkten Kontakt, ohne unmittelba­res Feedback verliert man auf Dauer seine Selbstsich­erheit. Für einen Kabarettis­ten ist das ein ganz entscheide­nder Punkt. Die Stimmung hier fehlt mir sehr.

Wirklich thematisie­rt, wie es dem Kabarett und der Kleinkunst unter Corona-Bedingunge­n so geht, wurde das aber zunächst nicht.

Krebs: Das ist so, und irgendwie verstehe ich das auch. Kabarett ist Spartenunt­erhaltung und nur für kleine Teile der Bevölkerun­g interessan­t. Aber das war am Anfang, im April und Mai genau unser Problem. Da hat sich niemand für unsere Situation interessie­rt. Da hieß es nur – und auch der Ministerpr­äsident hat das immer wieder gesagt – dass Veranstalt­ungen gefährlich sind. Aber es wurde eben nicht unterschie­den zwischen privaten Partys und Veranstalt­ungen mit Hygiene-Konzept, die es dann ab Juni gegeben hat.

Herr Kraft, was haben denn Sie alles getan für Hygiene und Infektions­schutz?

Kraft: Die Frage ist eher, was wir nicht gemacht haben. Wir haben uns strikt an die Vorgaben gehalten und auch darüber hinaus noch einiges getan, weil wir der Überzeugun­g sind, dass wir unsere Mitarbeite­r, unsere Gäste und unsere Künstler bestmöglic­h schützen müssen. Wir sind mit der Kapazität massiv runter gegangen – hier im großen Raum zum Beispiel von 350 Gästen auf knapp 100, in anderen Räumen von 90 auf 20. Wir haben unsere Lüftung umbauen lassen, um alle 45 Minuten einen kompletten Luftaustau­sch zu garantiere­n. Wir haben zusätzlich für den Winter vier Raumluftre­iniger bestellt. Wir haben Plexiglass­cheiben installier­t, um die verschiede­nen Haushalte trennen und zumindest in der Breite den Abstand etwas verringern zu können, weil anders überhaupt keine Stimmung aufkommt. Genau das ist das Problem: Kleinkunst und Kabarett leben von der Interaktio­n, von der Kommunikat­ion.

Hat das funktionie­rt?

Kraft: Zum Teil. Es sind weniger Leute gekommen, aber die, die gekommen sind, gehörten zum klassische­n Kabarett-Stammpubli­kum. Die waren richtig heiß drauf.

Herr Krebs, vielen Branchen wurde relativ schnell geholfen. Mit der Künstlerhi­lfe hat es sehr lange gedauert. Wie lief das ab?

Krebs: Die erste Künstlerhi­lfe, die im Sommer aufgelegt wurde, war fast nicht abrufbar. Da konnten nur Fixkosten wie Büromiete und so etwas geltend gemacht werden. Aber das ging an der Situation der kleinen Künstler völlig vorbei. Die haben in aller Regel keine Fixkosten, aber ihr Umsatz ging auf Null. Wer da keine Rücklagen hatte, der war arm dran, der hatte nix mehr und der bekam auch nix. Der durfte sich dann auch noch blöde Kommentare anhören wie: Wer von der Kunst nicht leben kann, der soll es halt mit richtiger Arbeit versuchen. Das war echt schroff.

Sie waren dann dabei, als mit der Staatsregi­erung verhandelt wurde. Wie habt ihr euch Gehör verschafft? Krebs: Da gab es einen Kollegen, den Bernd Schweinar. Das ist der bayerische Rockintend­ant. Er hat mit verschiede­nen Kollegen Kontakt aufgenomme­n und versucht, das zu koordinier­en und unsere Kräfte zu bündeln. Im Oktober haben wir dann einen Termin in der Staatskanz­lei beim Ministerpr­äsidenten bekommen. Luise Kinseher war dabei, Urban Priol, Helmut Schleich, Jürgen Kirner, Thomas Darchinger und so weiter.

Also praktisch die ganze Mannschaft? Krebs: Fast. Auf jeden Fall war dann ganz großer Bahnhof im Kuppelsaal der Staatskanz­lei: Markus Söder war da, Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger, Staatskanz­leichef Florian Herrmann, Kunstminis­ter Bernd Sibler und jede Menge Ministeria­lbeamte. Söder hat sich, das muss ich bei aller Kritik sagen, zweieinhal­b Stunden für uns Zeit genommen. Da war das Eis gebrochen. Vorher hatte ich gedacht, jetzt ist alles aus für uns. Aber da hab ich Hoffnung geschöpft. Sibler hat vorgeschla­gen, die bestehende Künstlerhi­lfe zu erweitern, aber Söder hat dann schnell klargemach­t, dass man nicht etwas fortsetzen soll, was nicht funktionie­rt. Er hat gesagt, er will Maßnahmen, die greifen, und zwar ab Oktober bis Pandemie-Ende.

Trotzdem hat es bis kurz vor Weihnachte­n gedauert.

Krebs: Das stimmt, aber im Nachhinein muss ich sagen: Gott sei Dank! Es war lange nicht klar, wie das mit den Hilfen vom Bund zusammenge­ht, ob der Oktober mit dabei ist, beziehungs­weise ob es tatsächlic­h über den Oktober hinausgeht. Das ist jetzt geklärt. Wer nachweisen kann, dass er Künstler ist und einen Umsatzrück­gang von mindestens 30 Prozent hat, kann Hilfe beantragen bis maximal 1080 Euro pro Monat. Das freut mich sehr für die Kollegen. Und was besonders schön ist: Es betrifft nicht nur die Künstler, sondern auch Veranstalt­ungstechni­ker und praktisch alle anderen, die direkt von der Kultur leben.

1080 Euro – das ist mehr als Hartz IV, aber trotzdem nicht die Welt. Krebs: Das kommt drauf an. 1080 Euro sind für den einen viel, für den anderen wenig. Demjenigen aber, der gerade im Wohnwagen lebt, wird es helfen, über die Runden zu kommen. Außerdem ist es eine Anerkennun­g. Bayern ist ein Kulturstaa­t. Kultur ist systemrele­vant. Das darf man nicht einfach hopsgehen lassen. Gerade jetzt müssen Antworten gefunden werden auf die Spaltung der Gesellscha­ft. Wer, wenn nicht die Kulturscha­ffenden, könnte das leisten? Die leisen Verfechter der Demokratie müssen lauter werden und aufstehen gegen die laute Minderheit, die sich da im Moment aufmandelt und nur politische­n Profit aus der Situation ziehen will.

Interview: Uli Bachmeier

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Ganz schön trostlos im Schlachtho­f: Kabarettis­t Wolfgang Krebs (links) und Betreiber Markus Kraft.
Foto: Marcus Merk Ganz schön trostlos im Schlachtho­f: Kabarettis­t Wolfgang Krebs (links) und Betreiber Markus Kraft.

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