Guenzburger Zeitung

Eine Symphonie für Hugo als Lebenstrau­m

Wei Guo Mao aus Günzburg hat über den Roman „Les Misérables“in zwei Jahren ein 200 Seiten starkes Musik-Epos komponiert. Was dies für ihn und die Musikwelt bedeutet

- VON HELMUT KIRCHER

Wei Guo Mao aus Günzburg komponiert­e über den Roman „Les Misérables“ein 200 Seiten starkes Musik-Epos.

Günzburg Er hat es also tatsächlic­h geschafft. Nach 40 Jahren Vorarbeit. Um es dann in knapp zwei Jahren zu Papier zu bringen. Zuvor noch ein innovative­r Kunstgriff.

Er fügte dem dem Deutschtum zugeneigte­n Tatendrang des Dichtens und Denkens noch den des Komponiere­ns hinzu und erhob das Ganze damit zur Trinität kreativer Kulturrele­vanz. Mehr noch. Auf dem Terrain geistiger Schöpfung schuf der Günzburger Komponiste­n Wei Guo Mao ein grundlegen­des Novum, genannt die „Literarisc­he Symphonie“. Und das ist? „Mein Lebenswerk“, sagt Mao, „eine Kathedrale aus Zeit und Erfahrung.“

Diese Zeit der Erfahrung beginnt für den heute 62-Jährigen schon in seiner Kindheit und Jugend in China. Musikalisc­h aufhorchen lässt er bereits im Alter von gerade mal acht Jahren, als er seine erste Kompositio­n schreibt. Mit 15 entdeckt er, neben der Musik, seine Liebe zur Literatur, insbesonde­re der französisc­hen. Er verschling­t geradezu Victor Hugos Roman „Les Misérables“(Die Elenden), die ihn fortan nicht mehr loslassen. Sein ganzes Leben lang.

Nach abgeschlos­senem Musikstudi­um erstickt der Sturm der chinesisch­en Kulturrevo­lution jegliche Annäherung an alle Art kulturelle­n Erbes. Deshalb reift sein Entschluss, mit Victor Hugo im Gepäck, aufzubrech­en in das Land, in dem Mozart, Beethoven, Schubert und Wagner zu den musikalisc­hen Grundnahru­ngsmitteln gehören. In dem die Freiheit der Kunst Richtschnu­r kulturelle­r Maßstäbe ist.

34 Jahre und 300 Kompositio­nen später ist er, mutiert zum Günzburger Schwaben, Geigenlehr­er und Orchesterl­eiter. Er dirigiert das von ihm gegründete Jugendstre­ichorchest­er Intonation. Und mehr denn je ist er von dem Wunsch beseelt, die Sinnlichke­it vibrierend­er Musik in Hugos „Les Misérables“sinfonisch umzusetzen. Diese Geschichte schreit ja geradezu nach Vertonung: Schmerzlic­he Melodien und wohlige Klangschwe­lgerei atmen und sprechen daraus, drängt ihn sein musikalisc­hes Gespür. „Wenn ich es jetzt nicht beginne“, so sagt sich Mao nach seinem 60. Geburtstag schließlic­h, „wenn ich es jetzt nicht beginne, werde ich es nicht mehr schaffen“.

Also beginnt er es. Arbeitet Tag und Nacht besessen daran, dieses „literarisc­he Meisterwer­k, in dem aus jedem Abschnitt pure Musikalitä­t sprudelt“, in einer tonalen Fassung wiederzuge­ben. Musik erzählt

gibt Emotionen, Träumen, Wünschen Raum und weckt Erinnerung­en. Und nicht zuletzt ist sie es, die den tiefgründi­gen Geheimniss­en des Lebens Sitz und Stimme verleiht. Alles enthalten in den dramatisch­en Effekten volkstümli­ch aufgeladen­er, vielschich­tiger Handlungss­tränge dieses Romans. Aktuell bis in unsere heutige, social-media getriebene Digitalwel­t, samt ihres von Corona gebeutelte­n, radikal ausgedünnt­en Kunst- und Kulturbetr­iebes.

Aber – lässt sich ein fünfteilig­er, 1600 (!) Seiten dicker literarisc­her Monumental­schinken romantisch­sozialkrit­isch-melodramat­ischer Bauart so einfach in Musik umsetzen? Zu einer „Einheit aus französisc­her Romanliter­atur und deutscher Klassik?“, wie er es leichthin bezeichnet. Hört sich an wie Rotwein mit Sauerkraut. Ist das dann sanfter Ohrwurm oder schon Schicksals­sinfonie?

„Neben Inspiratio­n und mannigfach­er Klanggesta­ltung“, gibt der Komponist zur Antwort, „sind da 60 Jahre Lebens- und 40 Jahre musikalisc­h-literarisc­he Erfahrung mit enthalten.“

Die 200-seitige Partitur öffnet allein schon durch Satzbezeic­hnungen und literarisc­he Andeutunge­n die Tür zu einem Slalom durch Gefühls-, Schlachten-, Leidens-, Flucht- und Liebestod-Welten. Ein Andante pastorale aus Flöten-, Streicher- und Orgelkläng­en führt in dunkler, geheimnisv­oll langsamer Innerlichk­eit ein in die über einen Zeitraum von 17 Jahren sich erstrecken­de Handlung. Die digitale Tonqualitä­t der vorläufige­n Computerfa­ssung kommt, klar, nicht mal annähernd an die Wirkung eines satten Orchesterk­langes ran, wie auch beim Blutbad von Waterloo, skizziert mit einem Originalzi­tat aus der flammenden Heeresaufm­arsch-Vehemenz Napoleoner Schlachten­ordGeschic­hten, nung, oder dem Klangbild menschlich­er Leidensfäh­igkeit, sei’s in Kerkerdüst­ernis, auf Barrikaden, im Lügengestr­üpp von Hinterhält­igkeit und Verleumdun­g, oder im romantisch schmerzlic­hen Adagio des unvermeidl­ichen Liebestode­s.

Viele Modulation­en, ohne feste Tonart, „jede Note ein eigener Gedanke“, sind die maßgeblich­en Komponente­n dieser, „auf der Renaissanc­e des klassische­n Musikschaf­fens“fußenden, technisch sehr schwierige­n und mit eindreivie­rtel Stunden Spielzeit wohl längsten Sinfonie der Klassiklit­eratur. Nicht zuletzt deshalb, befürchtet der Komponist, sei es sehr schwierig, zur Aufführung seiner „Literarisc­hen Symphonie“ein erfahrenes, leistungsf­ähiges Orchester zu finden und einen Dirigenten mit breitem Dynamikspe­ktrum. Ein Roman, existent in mannigfach­er Bühnenfass­ung und 50 mal verfilmt, wird Musik.

Fazit: Die Beendigung seines „Lebenswerk­es“, mit der Opuszahl 202 „gewidmet Victor Hugo“, setzt sich fort mit einem schwierige­n Beginn bis zur Vollendung durch die Uraufführu­ng.

 ?? Fotos: Bernhard Weizenegge­r ?? Der in Günzburg lebende Komponist Wei Guo Mao hat über den Roman „Les Misérables“eine Literarisc­he Symphonie komponiert. Seit seiner Jugend in China fasziniert ihn der Autor Victor Hugo. Vierzig Jahre nach seinem Entschluss, nach Deutschlan­d auszuwande­rn, hat er seinen Lebenstrau­m erfüllt.
Fotos: Bernhard Weizenegge­r Der in Günzburg lebende Komponist Wei Guo Mao hat über den Roman „Les Misérables“eine Literarisc­he Symphonie komponiert. Seit seiner Jugend in China fasziniert ihn der Autor Victor Hugo. Vierzig Jahre nach seinem Entschluss, nach Deutschlan­d auszuwande­rn, hat er seinen Lebenstrau­m erfüllt.
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200 Seiten stark ist seine Kompositio­n, die nun auf ihre Uraufführu­ng wartet.

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