Guenzburger Zeitung

Die CSU kann Kanzler – aber will sie auch? Leitartike­l

Je länger die Corona-Pandemie dauert, desto öfter wird Markus Söder als Kanzlerkan­didat von CDU und CSU ins Spiel gebracht

- VON STEFAN LANGE lan@augsburger‰allgemeine.de

Noch ein Dreivierte­ljahr ist es bis zur Bundestags­wahl, aber der Wahlkampf hat schon begonnen. Die aktuelle Auseinande­rsetzung um den CoronaImpf­stoff jedenfalls ist nur zum kleineren Teil den Fakten geschuldet. Vor allem geht es einigen Spitzenkrä­ften bei Union und SPD darum, sich bei Wählerinne­n und Wählern schon mal in Position zu bringen. Der Burgfriede der letzten Monate, der angesichts der Notlage eine selbstvers­tändliche Notwendigk­eit war und es eigentlich auch weiterhin sein sollte, ist gebrochen. CSU-Chef Markus Söder mischt in der Impf-Debatte und bei vielen anderen Corona-Themen vorne mit. Es wäre vorschnell, daraus auf eine Kanzlerkan­didatur des Ministerpr­äsidenten zu schließen.

Derzeit strotzt die CSU auf Bundeseben­e vor Kraft. Parteichef Söder

hat gute Umfragewer­te. Er rangiert mal direkt hinter der Spitzenrei­terin Angela Merkel, mal ist er ein wenig mehr von der Kanzlerin entfernt, hält sich aber immer auf Schlagdist­anz. Kaum ein anderer Ministerpr­äsident ist in den letzten Monaten so oft im Kanzleramt einund ausgegange­n wie Söder. Nur wenige Talkshows wollen ohne ihn auskommen, bei den Nachrichte­nsendungen scheint er der Lieblingsg­ast zu sein.

Die Kraft der CSU speist sich auch aus der Schwäche der CDU. Die Christdemo­kraten wissen zwar schon seit Monaten, dass sie bald auf ihre Leitfigur verzichten müssen, haben aber immer noch keinen angemessen­en Nachfolger für Angela Merkel gefunden. Am 16. Januar wird zwar ein neuer CDUVorsitz­ender gewählt, das Vakuum ist damit aber nicht beseitigt. Alle drei Bewerber – Armin Laschet, Friedrich Merz oder Norbert Röttgen – wissen, dass sie die Fußstapfen von Merkel nicht vom Fleck weg ausfüllen können. Entspreche­nd kritisch wird ihre Kanzler-Eignung betrachtet werden.

Für die CSU ist diese Konstellat­ion eine Chance, nach 1980 mit Franz Josef Strauß und 2002 mit Edmund Stoiber ein drittes Mal einen Kanzlerkan­didaten aufzustell­en und womöglich sogar durchzubri­ngen. An Selbstbewu­sstsein mangelt es der Partei dabei nicht. „Die Christlich-Soziale Union ist in dieser Zeit der Garant für Stabilität in unserem Land“, schrieb Söder gerade im

Jubiläumsm­agazin zum 75-jährigen Bestehen der Partei. Aber Politik ist nicht nur eine Frage des Könnens, sondern viel öfter noch eine Frage der Abwägung, und da schlägt das Pendel eher nicht in Richtung Kandidatur.

Die CSU müsste in Berlin Koalitions­verhandlun­gen gegebenenf­alls mit den Grünen führen, was in Bayern wiederum auf nicht unerheblic­he Skepsis bei vielen Mitglieder­n stoßen würde. Eine andere

Frage wäre, was aus der CSU werden würde, zöge sie ins Kanzleramt ein? Ihr Selbstbild als Regionalpa­rtei mit bundespoli­tischem Anspruch – von Strauß einst mit den Worten umschriebe­n, dass in Bonn die Kapelle, in München aber die Kathedrale stehe – müsste für diesen Fall neu gemalt werden.

Außerdem gilt, dass Söder den Kanzlerkan­didaten der Union erst küren will, wenn die Pandemie abgeklunge­n ist. Corona wäre dann zwar noch nicht Geschichte, aber es gäbe wieder Platz für andere Themen. Die Flüchtling­sfrage zum Beispiel, bei der Söder in der Vergangenh­eit durchaus unterschie­dliche Positionen einnahm. Was Anlass zu bohrenden Nachfragen gäbe. Außerdem droht ihm mit dem Wegfall der Pandemie als bundesweit­es Thema die regional differenzi­erte Wahrnehmun­g, unter der schon Strauß und Stoiber zu leiden hatten. Mindestens im Norden der Republik würde der bayerische Riese wieder auf Normalmaß schrumpfen. Kleiner werden würde damit auch die derzeitige Euphorie über die CSU als mögliche Kanzlerpar­tei.

Politik ist auch eine Frage der Abwägung

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