Guenzburger Zeitung

Unverhofft­er Erfolg für Assange

Die Anhänger des Wikileak-Gründers jubeln über die Ablehnung des Auslieferu­ngsantrags in die USA. Doch das Urteil ist alles andere als ein Freispruch

- VON KATRIN PRIBYL

London Der Fall wirkt bereits verloren für Julian Assange. Beinahe eine Stunde lang führt Richterin Vanessa Baraitser aus, warum sie die Argumente seiner Verteidigu­ng größtentei­ls nicht akzeptiert. Warum das Handeln des Wikileaks-Mitgründer­s über das eines investigat­iven Journalist­en hinausgega­ngen sei, und warum das Gericht nicht überzeugt von der Behauptung ist, dass es sich bei Assange um ein Opfer politische­r Verfolgung handele oder er kein faires Verfahren in den USA erwarte. „Das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung bietet Menschen wie Herrn Assange keinen uneingesch­ränkten Ermessenss­pielraum, um über das Schicksal anderer zu entscheide­n.“

Assange verfolgt die Worte ruhig. Dann, am Ende der Sitzung im Londoner Strafgeric­ht Old Bailey, folgt die Wende – und das für viele Beobachter unerwartet­e Urteil: Der Antrag auf Auslieferu­ng an die USA wird abgelehnt. Bezirksric­hterin Baraitser begründete ihre Entscheidu­ng mit dem Gesundheit­szustand des 49-Jährigen sowie den Haftbeding­ungen, die ihn in den USA erwarten würden. Sie habe den Eindruck

eines „depressive­n und manchmal verzweifel­ten Mannes“gewonnen, der „aufrichtig um seine Zukunft“fürchte. Es gebe keine Garantie dafür, dass er sich nicht das Leben nehmen werde, wenn er in den USA in Isolations­haft kommen würde. Dort drohen ihm wegen der Veröffentl­ichung von hunderttau­senden US-Dokumenten und Videos aus dem Irak- und Afghanista­n-Krieg bis zu 175 Jahre Haft.

Vor dem Gerichtsge­bäude jubelten Assange-Unterstütz­er nach dem Urteil. Stella Moris, die Verlobte des Whistleblo­wers, mit der er zwei Kinder hat, brach nach dem Urteilsspr­uch in Tränen aus. In einem anschließe­nden Statement pries sie die Entscheidu­ng als „einen Sieg für Julian“und „einen ersten Schritt in Richtung Gerechtigk­eit“.

Ob der Australier aber so schnell freikommt, ist unklar. Die USA kündigten an, in Berufung zu gehen. Und so bleibt Assange vorerst im Hochsicher­heitsgefän­gnis Belmarsh in Gewahrsam. Assanges Anhänger bewerten das Urteil dennoch als Erfolg für dessen Kampf gegen die USBehörden, der nun schon seit einem Jahrzehnt andauert. Sieben Jahre lang hatte der Australier in der ecuadorian­ischen Botschaft in London im Asyl verbracht, um einer Auslieferu­ng nach Schweden zu entgehen, wo er wegen Missbrauch­s- und Vergewalti­gungsvorwü­rfen befragt werden sollte. Assange fürchtete, von dort in die USA ausgewiese­n zu werden.

Zunächst ging es um jene Papiere, die die mittlerwei­le begnadigte Whistleblo­werin Chelsea Manning der Enthüllung­splattform zugespielt hatte. Als Assange im April 2019 in der Botschaft verhaftet wurde, fügte die US-amerikanis­che Grand Jury 17 Anklagepun­kte hinzu. Im Zentrum steht der Vorwurf, 2010 geheime diplomatis­che und militärisc­he Dokumente erhalten und publiziert zu haben. Konkret geht es um Berichte der US-Armee über die Kriege im Irak und in Afghanista­n, hunderttau­sende Diplomaten­depeschen sowie ein Militär-Video, das die Öffentlich­keit schockiert, Wikileaks weltweit berühmt gemacht und eine diplomatis­che Krise ausgelöst hat.

Der Fall Assange beschäftig­t die Weltöffent­lichkeit, weil er nicht nur das Schicksal eines Mannes betrifft, an dem sich die Geister scheiden. Er berührt vor allem grundsätzl­iche Fragen der Pressefrei­heit. Ist er Held oder Verbrecher? Journalist oder Spion? Assanges Anwälte pochen darauf, dass er als Journalist gehandelt hat und die Leaks demnach als Enthüllung­en verstanden werden müssen. Dagegen klagt ihn die US-Regierung als Spion an und beschuldig­t ihn des Geheimnisv­errats.

Die Nichtregie­rungsorgan­isation Reporter ohne Grenzen begrüßte die Entscheidu­ng zwar, kritisiert­e aber die Begründung: „Die Richterin hält die Anklagepun­kte der USA in der Sache für gerechtfer­tigt und gibt dem Auslieferu­ngsantrag nur deshalb nicht statt, weil Assange in schlechter gesundheit­licher Verfassung ist“, sagte Geschäftsf­ührer Christian Mihr. Das lasse eine Hintertür offen für die Verfolgung von Journalist­en weltweit, „die geheime Informatio­nen von großem öffentlich­en Interesse veröffentl­ichen“.

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Foto: Dominic Lipinski, dpa Julian Assange in der ecuadorian­ischen Botschaft.

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